Ideal / Live At Rockpalast 1981
Ideal – Live at Rockpalast 1981 Spielzeit: 74:00
Medium: DVD
Technik: PAL
Bildformat: 4:3
Region: 2
Tonformate: PCM Stereo
Sprache: Deutsch
Label: Sony Music - Kulturspiegel Edition, 2012
Stil: NDW


Review vom 07.12.2012


Sabine Feickert
Puuuuh, ich werd' alt!!! Jetzt wird das, was in meiner Jugend aktuell in den Hitparaden war, auf jeder Party rotierte und aus jedem Walkman quäkte, zur Zeitreise! Gute dreißig Jahre ist es her, dass diese Musik meinen Alltag begleitete und quasi unausweichlich war.
Drei Jahre bestand die Band. Drei Alben entstanden in dieser Zeit. Besonders die beiden ersten Langrillen, "Ideal" und "Der Ernst des Lebens" schrieben eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht.
Cool, unnahbar und sehr avantgardistisch-elektronisch hatte ich sie im Gedächtnis. "Blaue Augen", "Eiszeit", "Sex in der Wüste" und "Berlin" – das waren Titel, die mir sofort wieder durch die Gehörgänge hallten, als die Ankündigung dieser DVD kam. Und das obwohl sie für mich in den Achtzigern in der Versenkung verschwunden waren und aus dieser auch nur höchst selten mal wieder auftauchten – wenn dann via Radio oder YouTube.
Umso spannender gestaltet sich jetzt diese Wiederbegegnung auf der Rockpalast-DVD.
Gut dreißig Jahre nach der Aufzeichnung stellt der Gig ein Zeitdokument dar und wiedermal fällt mir auf, dass so mancher Text für heutige Jugendliche wahrscheinlich schon fast so unverständlich sein könnte wie so mancher literarische Klassiker.
"Erschießen" beispielsweise – ist bei jungen Leuten die Assoziation zur Berliner Mauer mit ihren Selbstschussanlagen bei der Textstelle »komm wir lassen uns erschießen, an der Mauer Hand in Hand« noch sofort präsent? Oder aber die Schilderung Berlins im gleichnamigen Song – das Berlin der 80er Jahre war wohl doch sehr anders als das heutige. Der Mariannenplatz, den schon die Scherben in ihrem "Rauch-Haus-Song" zur Spielstätte ihrer Hausbesetzerhymne machten, spielt der heute noch so eine herausragende Rolle oder ist er nicht ziemlich bürgerlich-bieder geworden? Der absurde "Luxus" hingegen scheint mir heute ein gängigeres Phänomen als damals Anfang der 80er Jahre, als die Auswüchse des Markenwahn sich noch auf die Anzahl der Streifen auf den Turnschuhen beschränkten.
Als Vorreiter der Neuen Deutschen Welle werden die Berliner um Frontfrau Annette Humpe heutzutage gehandelt. Betrachtet man die weitere Entwicklung dieser Richtung in den Folgejahren, die mit "Knutschfleck"-"Hohe Berge"-"Ich will Spaß"-Mentalität oder gar 'da-da-da-istischer' Persiflierung auf diesen Zug aufgesprungen sind, so zeigt Ideal ganz klar ideale Trendsetter-Qualitäten.
Mag sein, dass ich mich hier täusche, die altbekannten Songs kommen mir auf dieser Aufnahme insgesamt einen Tacken rauer vor als die Studioaufnahmen, die mein inneres Ohr in Erinnerung hat. Ein Blick auf die Tracklist zeigt, dass neben den oben bereits angesprochenen Hits etliche weitere Nummern damals ausgesprochen populär waren. Das von Gitarrist 'Eff Jott' (R.I.P.) herrlich diabolisch vorgetragene "Schwein" ist genauso unvergesslich wie sein psychopathisches "Hundsgemein". Ebenso in Hirn und Ohr eingebrannt hat sich Annette, die in "Telephon" an selbigem sitzt und mit genial gelangweilt-nörgeliger Stimme lamentierend auf den Anruf ihres Mackers wartet. Gerade jetzt beim Schreiben fällt mir auf, dass auch diese Situation im Zeitalter der Smartphones schon nahezu historischen Wert hat - also zumindest am Telefon sitzen bleiben muss heute keine mehr, wenn er (das "Schwein"?!?) schon nicht anruft.
Oder "Irre", bei dem Humpe das 'R' fast schon Nina-like rollt, der oben schon angerissene supercoole "Luxus", "Monotonie" – irgendwie hat diese DVD fast so was von einem Klassentreffen. Lange nicht gesehen (respektive gehört) und doch fast alle auf Anhieb wiedererkannt. Und irgendwie sind sie ja doch alle ziemlich cool und brauchen sich eigentlich gar nicht so sehr in der Versenkung zu verstecken.
Doch zurück zur DVD. So spartanisch wie die Bühne, ist auch die (praktisch nicht vorhandene) Bühnenshow. Wie lange die Ideal-Musiker wohl trainiert haben, um ihre Gesichter so unbewegt-beherrscht zu lassen? Das Publikum jedenfalls ist nicht so gut im Training, auch wenn es sich anfangs noch beherrscht und cool zeigt, fängt so etwa ab der halben Laufzeit der DVD doch die Bewegung gewordene Begeisterung vor der Bühne an. Genauso spartanisch ist übrigens die DVD selbst gehalten, keine Interviews, kein Bonus, nur das reine Konzert.
Schmunzelnd stelle ich zum Abschluss fest, dass Rock hin, Palast her schon der prüde Zeitgeist der 80er durch die Hütte wehte – "Sex in der Wüste" musste (nix Sex'n'Drugs – nur Rock'n'Roll!) außen vor bleiben.
Line-up:
Annette Humpe (Gesang, Keyboards)
Ernst Ulrich Deuker (Bass, Gesang)
Frank Jürgen 'Eff Jott' Krüger (Gitarre, Gesang)
Hans-Joachim Behrendt (Schlagzeug)
Tracklist Sartory-Säle Köln 17.07.1981
01:Das Geheimnis der Großstadt
02:Schwein
03:Telephon
04:Rote Liebe
05:Telepathie
06:Acryl (Kopf aus Chrom)
07:Feuerzeug
08:Spannung
09:Monotonie
10:Erschießen
11:Hundsgemein
12:Eiszeit
13:Irre
14:Luxus
15:Da leg' ich mich doch lieber wieder hin
16:Berlin
17:Immer frei
18:Blaue Augen
19:Männer gibt's wie Sand am Meer
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