The Imaginary Suitcase / Full Moon Fever
Full Moon Fever Spielzeit: 53:00
Medium: CD
Label: Eigenproduktion, 2013
Stil: Singer/Songwriter


Review vom 27.11.2013


Sabine Feickert
Einen imaginären Koffer hat uns der belgische Sänger und Gitarrist Laurent Leemans ins Haus geschickt. Angefüllt ist er - laut Aussage des Künstlers - mit »our dead or barely breathing illusions and the images of our life as we fantasize it«. Angekommen ist er hier, prall gefüllt mit 12 Songs, die sich über eine ungewöhnliche Bandbreite erstrecken.
Laurent Leemans ist musikalisch kein unbeschriebenes Blatt, er spielt seit 1996 in der Akustik Folk-Gruppe Ceili Moss und zuvor bei Vierge du Chancelier Rolin. The Imaginary Suitcase ist sein Solo-Projekt, in dem er das verwirklicht, was nicht ins Ceili Moss-Umfeld passt.
Dieser Hintergrund klingt auch auf "Full Moon Fever", dem dritten 'homemade' Album des Belgiers ein Stück weit durch.
Das Tempo ist eher slow, doch Leemans bringt auch dunkle Elemente mit ein. Bei seinen Einflüssen gibt er unter anderem Joseph Arthur, The Smiths, Wovenhand und Paul Roland an. Neben akustischer und elektrischer Gitarre kommen auch eine (zitherähnliche) Autoharp und Percussion sowie einige skurrile Geräuschquellen (siehe Line-up) zum Einsatz.
Der Opener "Yer Mother" gibt sich ziemlich dark, sehr voluminös und wabernd-treibend. In einigen Passagen erinnert mich der Song ein wenig an eine sehr düstere und rockig-scheppernde Ausgabe von Merzhin. Akustische Gitarre macht den Anfang bevor Laurents getragener, ausdrucksvoller Gesang beim Traditional "Bonny At Morn" einsetzt. Cécile Gonay unterstützt mit ihren sehr klaren Backing Vocals die schöne, eher schlicht gehaltene Interpretation und wird sicher dem ein oder anderen Hörer eine Gänsehaut bescheren. "Electric" wird lange von elektrischer Gitarre und langsamem Gesang dominiert, im Hintergrund hört man Klanghölzer, der Mittelteil des Songs wird dynamischer und kriegt beim Einstieg der Percussion ein orientalisches Flair. "Stay Awhile", ein Pterodactyl Plains-Cover, lebt vom bedächtigen Gesang über einem sehr relaxten Rhythmus, während die Gitarre beides mit ihrer Lebendigkeit verbindet. Klasse interpretiert, gefällt mir gut.
"Moonlight On The Water" zeigt dann eine andere, dramatische Seite. Laurents Gesang wird höher, die E-Gitarre verzerrt, Basstöne brechen immer wieder aus dem tiefen Keller aus. Mir kommt das grad vor wie eine subtile Parodie auf Blues, Soul und Gospel. "Every Little Thing" eröffnet geradezu sakral mit instrumentalem Intro und feierlichem, geradezu erhabenen Gesang. Streicher und Gitarren geben dem Lied eine ernsthafte und etwas sentimentale Note, ohne dabei aber ins Bedeutungsschwanger-Übertriebene abzugleiten. Nicht nur der Text, sondern auch die Melodie bei "A une passante" ist 'très français'. Ein Sonett aus den "Fleurs du mal" von Charles Baudelaire liefert den literarischen Anteil, Leemans Gitarrenarbeit wird hier mit einer sehr passend und gefühlvoll eingesetzten Fiddle von Jean-François Durdu ergänzt. Mein ganz persönlicher Favorit auf der CD!
"It Is He" greift "Yer Mother" zunächst stilistisch wieder auf, entwickelt dann aber eine ziemlich experimentelle Dynamik, die ganz sicher polarisiert. Die Instrumente werden an ihre Grenzen gebracht, im Magen des Zuhöreres kitzeln die tiefen Bass- und Percussiontöne, die Fiddle von Cécile kratzt (gekonnt und gewollt!) vor sich hin und auch die Vocals werden extremer. Keine einfache Nummer, aber ziemlich geil!!!
"(make up your own title)" fordert Laurent den Zuhörer im neunten Track auf. Der Titel ist Programm für eine langsame und relativ sanfte Instrumentalnummer, die wirklich alles offen lässt und ganz sicher in jeder psychischen Verfassung bei jedem Zuhörer unterschiedlichste Assoziationen hervorruft. "Where Are We?" ist in weiten Teilen eher Klangcollage, denn 'echtes' Lied, zupfende Akustikgitarre, gezupfte tiefe Töne, Finger, die über die Saiten quietschen, sehr langer Instrumentalpart, tiefe geheimnisvolle Sprechstimme erzeugen eine verstörende, beängstigende Stimmung. Mein Film im Kopfkino dazu wäre: Ein Mensch steigt langsam unter die Erde in geheimnisvolle Gänge, schaut sich immer wieder um. Bei der Steigerung am Ende des zehnminütigen Stummfilms, nach der Begegnung mit der unheimlichen Sprechstimme, rennt er im Kanalsystem, unter einer Fabrik mit stampfenden Maschinen entlang - das abrupte Ende lässt auf kein gutes Finale schließen.
Üppige Harmonika bei "Whatever Keeps Us Entertained" (hier bin ich mir allerdings nicht ganz sicher, ob das abrupte Ende so geplant war) und eine letzte sehr harmonische Singer/Songwriter-Nummer ("You Know You're Always Welcome") lassen das mir vorliegende Album ausklingen.
Spannendes Teil, das mit jedem Hördurchgang dazugewinnt. Wirkte es anfangs, im Auto gehört, noch ein wenig wie 'Kraut und Rüben' auf mich, zeigte sich der rote Faden später nach ein paar intensiven Hördurchgängen per Kopfhörer immer deutlicher. Muss ich noch extra erwähnen, dass das definitiv nichts für Freunde des Easy Listening ist? Gefallen hat "Full Moon Fever" mir schon bei der ersten Hörprobe, mein Vergnügen daran wurde immer größer.
Erhältlich ist das Album (für kleines Geld) bei den gängigen Download-Portalen, auf der Bandcamp-Seite sind übrigens auch die Lyrics hinterlegt. Wer in der Grenzregion zu Belgien/Niederlanden lebt, könnte auch Glück haben und einen der Live-Auftritte Laurents miterleben.
Line-up:
Laurent Leemans (vocals, guitars, bass, drums, autoharp, jawharp, percussions, harmonica, banjo, lyrics, arrangements, lawn mower, dishwasher, vacuum cleaner et un raton laveur [Waschbär]...)
Cécile Gonay (vocals - #2, fiddle - #8)
Jean-François Durdu (viola - #6, fiddle - #7)
Tracklist
01:Yer Mother
02:Bonny At Morn
03:Electric
04:Stay Awhile
05:Moonlight On The Water
06:Every Little Thing
07:A Une Passante
08:It Is He
09:(make up your own title)
10:Where Are We?
11:Whatever Keeps Us Entertained
12:You Know You're Always Welcome
Externe Links: