Eine Bandbiografie ohne ein einziges Foto? Das ist mehr als nur ungewöhnlich, eigentlich schon ganz schön unnormal. Passt also wie die Faust aufs Auge zu der Truppe, die sich selbst als »eine unnormale Band« oder gar »verrückteste Rockband Deutschlands« bezeichnet.
Wer nun im Rock-Business wie normal, unnormal oder verrückt ist, sei dahingestellt und soll hier ganz sicher nicht weiterdiskutiert werden. Dass das Siebengestirn um Sänger Micha Rhein eine ziemlich liebenswert-anarchistisch-chaotische Truppe ist, sei ebenfalls unbestritten. Mit Wolf-Rüdiger Mühlmann fanden die Sieben den passenden, Rock Hard-erprobten Schreiber, um ihre Bandgeschichte in eine unterhaltsam und spritzig geschriebene Form zu bringen.
Ganz zurück in die Anfänge geht es dabei, damals, noch in der DDR, als Kay Lutter als 13-jähriger in seiner Band Kräuterbutter den Bass zupft, zu dem ihn sein Stiefvater 'Zonen-Elvis' gebracht hatte, weil der Gitarrenkurs schon voll belegt und Kay für den Schlagzeugkurs noch zwei Jahre zu jung war. Sein weiterer Weg führt ihn unter anderem in die Ostlegende Freygang, wo er den späteren In Extremo-Drummer Reiner Morgenroth kennenlernt und zu Kerschowski, die als Vorband von Rio Reiser in der Werner-Seelenbinder-Halle spielen darf.
Zeitgleich lernt Micha Rhein am Lagerfeuer in Thüringen die Lektion 'Lieder-Singen bedeutet Weiber-Kriegen' und schafft es mit dem Eisenacher Projekt Liederjan erstmals auf die Bühne. Seine erste eigene Band Nr. 13 eröffnete das Hase-und-Igel-Spiel aus Verbot und Umbenennung, das die Band Noah hervorbringt, in der sich mit Kay Lutter, Reiner Morgenroth und Thomas Mund die spätere 'Rockfraktion' von In Extremo erstmals zusammenfindet.
Noah wird durch eine junge, aufstrebende Rockband in ihrem Vorprogramm inspiriert, härtere Gitarrenriffs in ihren Sound einfließen zu lassen – Ironie des Schicksals? Die junge aufstrebende Rockband soll den späteren In Extremos noch mehrfach über den Weg laufen – direkt und indirekt. Ihr Name? Rammstein!
Zur Mittelalterfraktion – ursprünglich bestehend aus Micha, Christina Mühleck und Conny Fuchs, stößt nach Christinas kurzfristigem Ausstieg Marco 'Flex der Biegsame' und kurze Zeit später Michas späterer WG-Mitbewohner Andre 'Dr. Pymonte' dazu. Conny beendet ihre In Extremo Zeit nach der Geburt ihres Sohnes, die anderen drei finden mit der Rockfraktion zusammen und werden vom Label Vielklang unter Vertrag (und wohl auch aus-) genommen. Die ersten Alben stehen noch unter dem Einfluss des Labels, das mit bewährten Methoden (»da muss was englisches mit drauf« [endlich weiß ich, woher das - sorry - grottenschlechte Sisters Of Mercy-Cover "This Corrosion" rührt], sowie »wir orientieren uns an dem, was schon Erfolg hat« Rammstein-Anleihen unterpflügt). Doch der Erfolg gibt dem Siebengestirn Recht und Rückhalt beim Durchsetzen ihres eigenen Stils.
Die Bandbiografie würde jedoch dem Siebengestirn nicht gerecht, wenn sie sich auf die reine Schilderung der Fakten beschränken würde. Passend zum Image der Truppe, wird ihre Laufbahn von allerlei skurrilen, chaotischen und aberwitzigen Anekdoten begleitet: davon, wie Micha der DDR-Staatsmacht (inklusive NVA) immer wieder neue Schnippchen schlägt, die Chaoten in einer Autobahnmeisterei den Dienst-LKW um die Batterie erleichtern, um damit ihr altersschwaches Gefährt wieder flott zu kriegen, wie Kay bei Noah einen Vibrator zum Instrument umfunktioniert und jede Menge mehr.
Von den absoluten Anfängen der Band bis zum 70000 Tons Of Metal im Januar 2012 wird hier berichtet, vom "Sängerkrieg" mit Subway To Sally, lebenslangen Flugverboten bei spanischen Airlines, den Umbesetzungen an Gitarre und Schießbude, Managementwechsel, Tourleben, sehr viel Suff, sehr viel Gras und sehr viel Spaß. Vom Schelmenstreich bis zum mehr oder weniger groben, jedoch nie wirklich schlimmen Unfug berichtet Mühlmann und verleitet den Leser zum Schmunzeln und Auflachen.
Das ganze Buch ist so locker und unterhaltsam zu lesen, dass es sehr wahrscheinlich auch dann Spaß machen kann, wenn man mit Mittelalterrock überhaupt nichts am Hut hat. Obwohl das Zusammenfinden der Band, die Einzelpersonen und die Entstehung einzelner Songs und Alben durchaus Raum finden - "Wir werden niemals knien" lässt sich als eine höchst unterhaltsame Abenteuergeschichte lesen, die auf keiner der 270 Seiten Langeweile aufkommen lässt.
Und die Fotos? - Hab ich ehrlich gesagt gar nicht wirklich vermisst, denn die Geschichte dieser 'unnormalen Band' ist so lebendig erzählt, dass die Bilder dazu ganz von allein im Kopf entstehen.
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