Jelonek / Same
Same Spielzeit: 49:44
Medium: CD
Label: Mystic Production, 2009
Stil: Instrumental


Review vom 20.02.2010


Boris Theobald
'Rock trifft auf Klassik' - ausgelutschter geht's ja kaum noch, möchte man meinen. Das hat die Rock- und Metal-Welt schließlich schon in vielfacher Weise erleben dürfen. Es gibt altgediente und blutjunge Bands mit Geiger an Bord (Kansas, Relocator). Es gibt Künstler, die ihre Leidenschaft für Barock und Klassik in ihren Heavy Metal einbauen (Yngwie Malmsteen, At Vance). Es gibt längst Streicher-Ensembles, die den Metal auf klassischem Gerät riffen und rocken (Apocalyptica). Und wenn du es als Rockband nicht schon mal mit komplettem Orchester auf der Bühne getan hast, dann hast du's entweder noch vor dir, oder du wirst bis zum Ende deiner Tage von Minderwertigkeitskomplexen um den Schlaf gebracht.
Wetten, dass Jelonek anders ist? Violinen-Virtuose Michael Jelonek hat vor rund 20 Jahren sein entsprechendes Studium abgeschlossen und seitdem mit vielen Orchestern und zahlreichen Rockbands zusammengearbeitet. Nun wird sein 2007 entstandenes erstes Solo-Album auch hierzulande vertrieben - ein außergewöhnliches Machwerk mit großem Begeisterungspotenzial für aufgeschlossene Metaller mit einem Faible für 'klassische' Musik. Die sind ja nicht wenige, denn gute Musik ist schließlich zeitlos und wurde keineswegs von Rockmusikern neu erfunden.
Was Jelonek anders macht? Meist ist die Geige in der Rockmusik als Gastinstrument für ein paar lyrische Einsprengsel am Start - oder, siehe Kansas, ein Melodieinstrument von mehreren. Jeloneks Debütalbum ist dagegen ein waschechtes Violinenwerk, bei dem der Namensgeber sein Instrument in der maximalen Bandbreite der technischen Möglichkeiten einsetzt. Überdies vereint er ein enormes Spektrum stilistischer Einflüsse in seinen Stücken. Die meisten kommen aus dem Bereich der 'klassischen' Musik. Aber auch experimentellen Art Rock und Weltmusik atmet diese Scheibe - und natürlich durchweg Rock und Heavy Metal.
Backcover Los geht es mit dem 'Earcatcher' des Albums: "BaRock" - der Titel sagt eigentlich schon fast alles. Mit großartiger Präzision wirbelt Michael Jelonek durch typisch Bach'sche Harmoniegebilde, und das in bestechend präzisem Zusammenspiel mit dem treibenden Metal-Drive aus Drums, Bass und Rhythmusgitarre. Eine klasse Hintermannschaft hat der Chef da am Start. Und nie hat man das Gefühl, dass die eine Seite gegenüber der anderen zurückstecken müsste - die Balance zwischen Geige und elektrisch verstärktem Instrumentarium gelingt perfekt. Auch bei der nächsten Nummer: Das musikalische "B.East" lebt vom fesselnden Zusammenspiel dramatischer, tonnenschwerer Riffs und spannungsgeladener, unruhiger Streicherkunst. Von wegen lyrisches Gestreiche und Balladenkost... mit unheilschwangeren Zuspitzungen in Form 'näher kommender' Crescendo-Flageolett-Töne landet das Stück auf der 'Balladen'-Skala in etwa bei Psychothriller.
Nicht nur hier versucht Michael Jelonek mit seiner Musik ganz bestimmte Bilder und Stimmungen zu erzeugen - mit genialem Erfolg! Sei es das ziemlich schräge "Elephant's Ballet" mit Unterstützung eines tieftönigen Cellos, das mechanisch stampfende, beklemmende "Machine Hat" oder der ordentlich Tempo machende Metal-Kracher "Mosquito Flight", bei dem auch eine frickelnde und jaulende Lead-Gitarre an vorderster Front mitmischt. Das geht schon stark in Richtung Jeff Waters - mag man kaum glauben, aber wir haben es bei ein paar Tracks wirklich mit saftig arschtretendem Heavy Metal zu tun!
Atmosphärischer geht es natürlich bei Ausflügen in die Weltmusik zu... vom meditativen "Steppe" mit elektronischen Samples über "Vendome 1212" mit Balkan-Einflüssen bis hin zum zauberhaften "Akka", dessen Reise zunächst Folk-angehaucht durch die schottischen Highlands zu führen scheint, den Hörer dann aber plötzlich mit orientalischen Skalen ins Reich von 1001 Nacht entführt - großartig!
Zu Experimenten aufgelegt ist Meister Jelonek unter anderem beim "War In The Kids Room". Die Jelonek'sche 'Toy Story' ist ein rasant-rhapsodischer Mix aus aufgewühltem, dramatischem Heavy-Geriffe, leicht abgedrehten Violin-Parts zu Wah Wah-Gitarre, und gezupften Tonleiter-Fragmenten. Das ist ziemlich zirkusreif und erinnert - um wieder 'klassische' Referenzen anzubringen - an Edvard Grieg (genauer gesagt zum Beispiel an "Anitras Tanz"). Genauso hat das nicht minder wechselhafte und emotionale, Pathos-beladene "A Funeral Of A Provincial Vampire" durchaus etwas 'Russisches' à la Mussorgsky oder Prokofjew in sich. Den Höhepunkt der Experimentierfreudigkeit setzt Jelonek ganz zum Schluss. Die traurig anmutenden, minimalistischen Klänge von "Pizzicato - Asceticism" - nur Geige, ohne weitere Instrumente - wirken wie ein wehmütiger Nachhall.
Jeloneks Solo-Debüt ist enorm facettenreich und ebenso kurzweilig. Die technischen Qualitäten des Solisten lassen einen mit den Ohren schlackern, die musikalischen Ideen sowieso - und: Das Teil rockt. Außerdem ist das Artwork des Albums auch noch sehr pfiffig geraten - ich empfehle zum Beispiel die Detailbetrachtung von Vorder- und Rückseite der CD - und Jelonek und Konsorten haben nicht nur Talent, sondern auch Humor. Hier empfehle ich das bei MySpace verfügbare Video zu "BaRock".
Also: Wer glaubt, in Sachen 'Rock trifft auf Klassik' sei alles gesagt und getan, der sollte sich schleunigst Jelonek zulegen, ab damit in den CD-Spieler und noch einmal tief Luft holen - es wird das letzte Mal sein in den folgenden 49 Minuten und 44 Sekunden. Der Geiger-Zähler schlägt fast voll aus und zeigt 9 von 10 RockTimes-Uhren an.
Line-up:
Michael Jelonek (violin)
Andrzej Karp (bass guitar)
Pawel Grzegorczyk (guitar)
Grzegorz Slawinski (drums)
Karol Ludew (drums)
Artur Lipinski (drums)
Dawid Somló (percussion)
Robert Fijalkowski (guitar)
Justyna Osiecka (cello)
Tracklist
01:BaRock (3:07)
02:B.East (3:30)
03:Vendome 1212 (3:05)
04:Akka (2:36)
05:Steppe (4:52)
06:A Funeral Of A Provincial Vampire (3:26)
07:Lorr (3:56)
08:Beech Forest (2:46)
09:War In The Kids Room (3:05)
10:Misere Mei Deus (2:06)
11:Mosquito Flight (4:00)
12:MachineHat (3:08)
13:Elephant's Ballet (3:14)
14:Pizzicato - Asceticism (6:45)
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