Ein Engländer in Berlin
Joe Jackson (JJ) hat in Berlin eine neue Heimat gefunden und sein aktuelles Album, schlicht "Rain" betitelt, in der Bundeshauptstadt aufgenommen.
Eine Retrospektive sei an dieser Stelle erlaubt.
Mit 25 Jahren haute er uns 1979 in der Post Punk-Ära sein "Look Sharp!"-Album um die Ohren. Der in Burton-upon-Trent (in der Nähe von Birmingham gelegen) geborene Pianist und Sänger kann zweifelsfrei auf eine beeindruckende Karriere zurückblicken und ohne Motivationsverlust in die Zukunft schauen.
Bereits in jungen Jahren bekam er ein Stipendium, welches ihm das Studium an der Londoner Royal Academy of Music ermöglichte. Anfang 1976 gründete er seine erste Band (Arms And Legs), die sich nach drei erfolglosen Singles auflöste.
1977 kam es zu einer lange andauernden Zusammenarbeit mit Graham Mayby (bass), Gary Sanford (guitar) und Dave Houghton (drums). Man firmierte unter dem Namen Joe Jackson Band. Es brauchte einige Anläufe, inklusive der Veröffentlichung der Singles "Is She Really Going Out With Him?" und "Sunday Papers", die sich inhaltlich mit der Anzüglichkeit der Boulevardpresse auseinander setzte.
Schließlich erhielt "Look Sharp!" Aufmerksamkeit und enterte die Charts, auch in Amerika. Für "Is She Really Going Out With Him?" gab es gleich eine Grammy-Nominierung.
Mit "I'm The Man" wurde ebenfalls im Jahr 1979 zügig ein Nachfolger veröffentlicht und Ende 1980 folgte "Beat Crazy", mit dem er den musikalischen Tellerrand der ersten beiden Platten um Reggae und Soul erweiterte.
1981 expandierte Jackson seine Musik in Richtung Jazz oder besser geschrieben Swing, zum Teil im Big Band-Sound ("Jumpin' Jive"). Hochgelobte, erfolgreiche Alben, die stets Touren nach sich zogen.
Joe Jackson, der Workaholic:
Es folgten die jährlichen Alben und Touren. 1982 zog er nach New York und seine Eindrücke dieses Tapetenwechsels mündeten in "Night And Day", einem seiner mit Recht erfolgreichsten Alben überhaupt, das in keiner Plattensammlung fehlen darf.
"Big World" (1986) war eine besondere CD, weil sie ein Zwitter zwischen Live- und Studio-Album war. Die Songs wurden vor einem Publikum, das sich allerdings mucksmäuschenstill verhalten musste, gespielt. Die Tretmühle Album-Tour-Album hatte zur Folge, dass Jackson kürzer trat und prompt mit "Live 1980/87" aufwartete. Der Doppeldecker dokumentiert vier Welttourneen und beinhaltet "Is She Really Going Out With Him?" gleich drei Mal, unter anderem als a capella-Ausgabe und auch in einer akustischen Variante.
'Nebenbei' komponierte Jackson immer wieder Filmmusik und zauberte mit "Summer In The City: Live In New York" ein Album, das 2000 auf den Markt kam, in Trio-Besetzung (Joe Jackson, Graham Mayby, Gary Burke) aus dem Ärmel.
Und siehe da, 2002 kam es zur Wiederbelebung der Joe Jackson Band in Urbesetzung. Resultat war "Volume 4", dem Debüt auf dem Rykodisc-Label und nun haben wir es mit "Rain" zutun, das, wie bereits weiter oben erwähnt, in Berlin aufgenommen und 'from the man himself' produziert wurde.
Auch dieses Album wurde im Trio, jedoch mit Dave Houghton am Schlagzeug, eingespielt. Zu dem Titel der Platte sagt Jackson: »Der Regen schien mein ständiger Begleiter zu sein. Es schien immer zu regnen, wenn ich an den Songs gearbeitet habe, und es hat jeden Tag geregnet, wenn wir im Studio waren. Aber ich mag Regen, … .«
Bereits nach einem Hördurchgang geht es dem Rezensenten genau so.
"Rain" ist ein unwerfendes Album geworden und es reflektiert, meines Erachtens die unwiderstehliche Art eines Joe Jacksons Songs für die Ewigkeit zu schreiben. Diese Platte hat auch in vielen Jahren noch seine Gültigkeit und zementiert, nach "Look Sharp!" sowie "Night And Day" einen weiteren Meilenstein an den Wegesrand seines Erfolgs.
Joe Jacksons Musik hatte und hat einen hohen Wiedererkennungswert. So ist es auch mit "Rain". Mit typischen Trademarks stempelt der Engländer seine Songs. Attraktive, fesselnde Melodien, eine sehnsüchtige Stimme, die er ohne Probleme auch in höhere Lagen schrauben kann, ein Pianist mit magischer Ausstrahlung und eine (hoffentlich) nie versiegende Quelle an Ideen.
Das Album kommt einem Kaleidoskop gleich. Joe Jackson hat es fertig gebracht, uns eine CD zu offerieren, die zehn lebendig-bunte Bilderfolgen ergeben, welche sich eine nach der anderen in den Lauschern des Hörers festsetzen wie in Stein gemeißelte Lettern.
Bereits "Invisible Man" hat die Intensität des gesamten Albums in sich vereint. Temporeich im Refrain, dazwischen ruhiger und verträumt. In diesen Phasen bekommt man die Empfindung, als würde der Pianist in Töne gefasste sanfte Regentropfen über uns ausbreiten. Houghton trommelt versiert, der Stimmung angemessen und Mayby unterfüttert das Ganze mit magischen Basslinien. Ein Opener nach Maß, liebe Leser. So etwas kann nur aus einer inneren Zufriedenheit heraus geschrieben werden.
Das langsamere, in einen schleppenden Rhythmus gepackte "Too Tough" ist eine Liebeserklärung par excellence. Zeitweise singt Jackson mit einer rauen Stimme.
Das treibende "Citizen Sane" gemahnt an die guten alten Zeiten des "Look Sharp!"-Debüts. Ein Dave Houghton in Hochform. Wie differenziert er die Felle bearbeitet, mal zartfühlend, mal heftig… das hat was! Mayby lässt seinen Bass aus der tiefsten Sohle pumpen, um im nächsten Moment in luftige Höhen zu entschweben.
Weitere Reminiszenzen an die Vergangenheit gibt es allerdings noch, denn "Citizen Sane" war nur eine Art Aufgalopp für "King Pleasure Time". Das ist gereifter Punk der Extraklasse. Was Jackson hier in einen Song packt, zeugt von Größe.
In "Good Bad Boy" wird dieses Feeling voll ausgekostet. Der Schlagzeuger macht mächtig Druck. Kontra punktierend, fast frech, setzt JJ dem nur wenige Pianotöne entgegen. Mayby befindet sich einerseits auf Houghtons Seite, andererseits geht er in diesem Track schottisch mit seinen Beiträgen um. Wenn die Rhythmusabteilung nicht nur für das Songfundament sorgt, sondern auch am Gesang beteiligt ist, hat das Hand und Fuß. Auch dann fügen sich die Puzzleteile geschmeidig ineinander. Fast unbemerkt lässt Jackson eine jazzige Passage einfließen, die organisch zurück zum Thema führt.
Joes Klavier in "The Uptown Train" hat etwas von Gershwin. Schwerelos perlen die zuweilen jazzigen Pianoläufe aus den Boxen und dieser Track bietet im Mittelteil eine schöne Überraschung, weil Mayby und Jackson unisono spielen. Man findet stets einen Diamanten im Gemisch der Edelsteine.
Für knapp sechs Minuten unterhält uns JJ alleine. Dem elegischen Stück hat er den Titel "Solo (So Low)" gegeben. Phasenweise ist der Song filigran, wie eine hauchdünn geblasene Vase, die schon beim Anschauen zerbrechen könnte. Auch in den nachdenklichen Momenten ist Jackson ganz stark.
In "Rush Across The Street" nimmt sich Mayby die Zeit für ein kurzes Solo und dieser Track ist abermals ein Beispiel für das Talent des Protagonisten, eindrucksvolle Melodien zu produzieren.
Abgerundet wird die Platte durch die wunderschöne Ballade "A Place In The Rain", auf die man nun wirklich nicht näher eingehen muss. Hört selber!
Zur CD gibt es eine Bonus-DVD, über die ich leider, leider kein einziges Wort schreiben kann, weil sie nicht Inhalt des Promo-Materials war.
Joe Jacksons "Rain" lässt sich so recht in keine Schublade stecken. Vielleicht auch gut so, denn das spricht nur für seine Authentizität. JJ eben!
Bereits nach dem ersten Hördurchgang war mir klar, dass das Album 9 von 10 RockTimes-Uhren verdient hat.
Übrigens hat es während des Schreibens der Rezension geregnet.
Line-up:
Joe Jackson (piano, vocals)
Graham Mayby (bass, vocals)
Dave Houghton (drums, vocals)
Tracklist |
01:Invisible Man (5:07)
02:Too Tough (4:37)
03:Citizen Sane (4:20)
04:Wasted Time (5:10)
05:The Uptown Train (5:46)
06:King Pleasure Time (2:47)
07:Solo (So Low) (5:55)
08:Rush Across The Street (5:21)
09:Good Bad Boy (3:18)
10:A Place In The Rain (5:20)
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