"Control" heißt der Debütfilm des Fotografen Anton Corbijn, der den Sänger Ian Curtis und die Band Joy Division zum Thema hat.
Das Drehbuch zum Film basiert auf "Touching From The Distance", dem Buch von Curtis' Witwe Deborah.
Zu diesem Film erscheinen drei Doppel-CDs als Collector's Edition.
Die Alben vom Factory Records Label hatten stets geschmackvolle Cover-Gestaltungen, waren aber immer mit sehr spärlichen Informationen versehen.
Gemäß dieser Praxis könnte man zu Joy Division schreiben:
Gegründet Ende 1977, zwei Alben veröffentlicht, aufgelöst Mitte 1980, weil der Sänger Ian Curtis, geboren 15.07.1956, am 18.05.1980 Selbstmord beging.
Zugegeben, etwas dürftig, denn diese richtungweisende englische Band sollte man schon ausführlicher würdigen.
Die Joy Division-History begann mit einem Sex Pistols-Konzert in der Lesser Free Trade Hall, Manchester. Im Publikum befanden sich Bernard Sumner, Peter Hook, Terry Mason sowie Ian Curtis mit seiner Frau Deborah.
Man probte im Black Swan, einer Kneipe in Salford. Ian kannte Pete Shelley von den Buzzcocks und deren Manager Richard Boon. Da das Quartett noch keinen Namen hatte, schlugen Boon und Shelley Stiff Kittens vor. Keiner der Jungs war damit zufrieden und es gab nur einen Auftritt unter diesem Namen.
Am 29.05.1977, an den Drums wurde Terry Mason durch Tony Tabac ersetzt, ergab sich die Gelegenheit, in Manchester mit den Buzzcocks aufzutreten. Kurz vor dem Gig nannte man sich Warsaw, inspiriert durch David Bowies Song "Warzawa" aus seinem Album "Low".
Tabac, der nicht so richtig in eine Punk-Band passte, war fünf Wochen an Bord und ihm folgte Steve Brotherdale. Man spielte in den Pennine Sound Studios "The Warsaw Demo" ein. Auch Brotherdale verließ die Band nach kurzer Zeit und Steve Morris, der ebenfalls, wie Ian und Deborah, in Macclesfield lebte, passte dann sehr gut ins Band-Gefüge.
Im Dezember 1977 nahm man 4 Songs auf, die später als "An Ideal For Living"-EP veröffentlicht wurde.
Nachdem die Londoner Band Warsaw Pakt eine Platte auf den Markt brachte, waren Verwechslungen nicht gewollt und schließlich wurde Joy Division aus der Taufe gehoben.
Anfang 1978 spielten die Jungs in Manchester ihren ersten Gig unter dem neuen Namen und im März wurden Songs für das Debüt-Album eingespielt, unter anderem "Shadowplay" und "Transmission", die später zu Markenzeichen der Band werden sollten. John Anderson, einer der Verantwortlichen an den Reglern, mischte den Tracks Synthesizer-Sounds bei und schon war Thermik angesagt, denn keinem der Musiker gefiel das Ergebnis.
Das Album wurde erst 1995 unter dem Titel "Warsaw" veröffentlicht.
Tony Wilson gründete das Factory-Label, bei dem auch Martin Hannett aktiv wurde. Mit "Digital" und "Glass" erschienen zwei Joy Division-Songs, von Hannett produziert, auf dem Sampler "A Factory Sample".
Ende 1978 spielten Joy Division vor ganzen 30 Zuschauern im Londoner Club Hope And Anchor einen fürchterlichen Gig, weil Bernard Sumner durch einen grippalen Infekt geschwächt war und Ian Curtis nach dem Konzert einen heftigen Anfall hatte.
Im Januar 1978 dekorierte die Titelseite des New Musical Express ein Bild von Ian Curits. Man hatte sich einerseits einen Bekanntheitsgrad erspielt, andererseits wurde beim Sänger Epilepsie diagnostiziert. Nun waren Anfälle in unterschiedlichen Abständen und Heftigkeit präsent.
Im Januar 1979 spielte die Band bei John Peel (vom BBC im Februar ausgestrahlt). Joy Division waren angesagt und eröffneten im März ein Konzert für The Cure im Marquee.
Kurz darauf ging es mit dem Produzenten Martin Hannett für Aufnahmen zu "Unknown Pleasures" in die Strawberry Studios. Das erste offizelle Joy Division-Album wurde im Juni 1979 veröffentlicht und nun liegt dem Rezensenten das Debüt als Collector's Edition im Digipack, remastered, mit Bonus-CD und 18-seitigem Booket, in schwarz-weißem Design, vor.
Hannett hat es fertig gebracht, die für ihre unbändigen Live-Auftritte bekannte Band zu zähmen.
Das, was an Emotionen in die zehn Songs gepackt wird, ist fürchterlich gut. Das Album-Design von Peter Saville drückt die musikalische Stimmung perfekt aus:
"Unknown Pleasures" hat eine gespenstische packende Atmosphäre mit einem theatralischen Ian Curtis am Mikrofon.
Beginnen wir die Reise ins Innere des Sängers mit dem Track "She's Lost Control", denn seine Inspiration zu diesem Song fand er in seiner Krankheit, der Epilepsie. Hypnotische Drums, tiefer gelegte Gitarre, am oberen Ende des Griffbretts gespielter Tieftöner und zirpende, minimalistisch eingesetzte Synthesizer bringen zum Ausdruck, wie ein Mensch sich bei einem Anfall fühlen muss.
Joy Division sind Synchronie: Curtis' Gefühlswelt setzen Peter Hook (bass), Bernard Sumner (guitar, syntheziser) und Stephen Morris (drums) in perfekte Klangwelten um.
Sumner definiert das Gitarrenspiel, aus der damaligen Sicht, neu. Metallische, megacoole Riffs lassen einen erschaudern. In der nächsten Sekunde hören wir herrlich melodische Noten, immer wieder durch Synth-Gimmicks ergänzt. So z.B. im nervösen Opener "Disorder". Absolut deliziös ist Peter Hooks Bassspiel, immer und zu jeder Zeit. Er verfügt über die Gabe, seinen Tieftöner auch als zweite Gitarre zu spielen. Wen wundert's: In den frühen Tagen der Band überließ er dem Bernard die Gitarre und stieg auf den Bass um.
"Day Of The Lords", eines dieser Wechselbäder der Gefühle: Bedrohlicher, fast im Sprechgesang zelebrierter Text, dann dieser kontrastierende melodische Refrain, der zum Ende fast ausufert.
Sumners Feedback-Gitarre in "Candidate" ist mystisch, während sich Bass, Schlagzeug und Gesang ergänzen.
Ohne Gitarre, dafür ordentlich viel Synthies gibt es in "Insight". Curtis Stimme klingt wie die bei einem Telefongespräch, Distanz ausdrückend.
"Interzone" ist treibender Großstadt-Rock. Neben Curtis singt Peter Hook. Die Nummer ist nicht so düster wie manch anderer Track auf "Unknown Pleasures".
In "I Remember Nothing", dem mit Abstand längsten Track auf dem Album, wurden Sound-Effekte wie zerbrechendes Glass eingebaut. Psychedelisch ist der Song, hypnotisierend wenn Curtis abermals in seinen Sprechgesang verfällt. "I Remember Nothing" ist so schwarz wie das Cover.
Die Musik von Joy Division ist gleißende Isolation. Ein Widerspruch in sich, aber für das Album einfach treffend.
"Shadowplay": Beseelter Tanz in den Abgründen des eigenen Ichs. Unendliche Emotionen in der Folterkammer der Synapsen-Hölle.
In "Wilderness" wird Curtis von seinen ungebetenen Visionen verfolgt:
» I travelled far and wide through many different times
What did you see there? I saw the saints with their toys
What did you see there? I saw all knowledge destroyed
I travelled far and wide through many different times
I travelled far and wide to prisons of the cross
What did you see there? The power and glory of sin
What did you see there? The blood of Christ on their skins
I travelled far and wide through many different times
I travelled far and wide where unknown martyrs died
What did you see there? I saw the one-sided trials
What did you see there? I saw the tears as they cried
They had tears in their eyes
Tears in their eyes«
Stephen Morris trommelt stoisch und der gesamte Song transportiert das Feeling, als wäre er in einer riesigen Werkshalle mit abstoßender Atmosphäre gespielt worden.
Joy Division drehen permanent am Regler und die Raumtemperatur befindet sich in einem stetigen Sinkflug.
Joy Division waren kraftvoll, aber kontrolliert. Wut, Zorn, Ekel, Selbstzweifel….
Joy Division waren dazu bestimmt, nach innen zu schauen.
Joy Division machten fassettenreich geschliffene Edelsteine der Rock-Musik.
Zur Bonus-CD, einem Konzert vom 13.07.1979 in der Factory, Manchester.
Joy Division waren kraftvoll und unkontrolliert.
Joy Division waren dazu bestimmt, vehemente Konzerte zu geben.
Joy Division machten live die fassettenreich geschniffene Edelsteine zu Attacken auf die Gehörgänge.
Wer die CD-Box "Heart & Soul" besitzt, kennt das Konzert der Band, mit Ausnahme der Songs "Shadowplay" und "Transmission".
Joy Division hatte live eine andere Dimension als auf der Studio-CD.
Auf der Bühne waren sie eine raue Punk-Band, die die Fetzen fliegen ließ, mit weniger Syntheziser-Einsatz.
Genauso ungeschliffen ist der Klang der Bonus-CD: Einige Rückkopplungen hier und da, mal ein zu lautes Schlagzeug.
Bernard Sumner erweist sich als ein unbändiger Gitarrist und Hooky pumpt den Bass.
Mit "Dead Souls", "The Only Mistake" und "Novelty" wirft das Quartett einen Blick zurück auf ältere Songs und bietet durch "Atrocity Exhibition" einen Vorgeschmack auf das kommende zweite Album "Closer".
Kompromisslose Härte, wenige Atempausen in Form langsamer Stücke, sind Joy Division live.
Insgesamt gibt es 9 von 10 RockTimes-Uhren.
Line-up:
Ian Curtis (vocals, guitar)
Peter Hook (bass, vocals)
Bernard Sumner (guitar, syntheziser)
Stephen Morris (drums)
Tracklist |
CD 1 (Original Album):
01:Disorder (3:36)
02:Day Of The Lords (4:43)
03:Candidate (3:00)
04:Insight (4:00)
05:New Dawn Fades (4:47)
06:She's Lost Control (3:40)
07:Shadowplay (3:50)
08:Wilderness (2:35)
09:Interzone (2:10)
10:I Remember Nothing (6:00)
|
CD 2 (The Factory, Manchester - Live 13.07.1979):
01:Dead Souls (4:25)
02:The Only Mistake (4:12)
03:Insight (3:52)
04:Candidate (2:07)
05:Wilderness (2:32)
06:She's Lost Control (3:47)
07:Shadowplay (3:34)
08:Disorder (3:28)
09:Interzone (2:05)
10:Atrocity Exhibition (6:14)
11:Novelty (4:28)
12:Transmission (3:49)
|
|
Externe Links:
|