Als der Schreiber dieser Zeilen am 24.05.2012 die Rodahalle im niederländischen Kerkrade verließ, war er (und einige andere auch…) gerade Zeuge eines der letzten Auftritte der NWoBHM-Götter
Judas Priest geworden, die im Zusammenspiel mit den Kollegen von
Saxon eine Double Headliner-Show gegeben hatten. Auch der geschätzte Kollege
Holger hatte sich bereits zuvor ein
letztes Mal aufgemacht, seine Helden von früher zu sehen. So viel zur damals noch 'aktuellen' Theorie. Der Rücktritt von der Bühne wurde ja bekanntermaßen in einen Rücktritt vom Auf-Welttourneen-Gehen umgewandelt und so dürfen wir frohlocken und nach wie vor hoffen, die Urgesteine noch das eine oder andere Mal live erleben zu können. Denn, schließlich war die letzte Tour durchweg von guten Shows gekennzeichnet und Frontmann
Halford in bester stimmlicher Verfassung. Zudem hatte die Verjüngungskur der Band in Form des 'neuen' Gitarristen
Richie Faulkner ja ebenfalls Wirkung gezeigt und so durfte die komplette Epitaph World-Tour mit Fug und Recht als Erfolg verbucht werden.
Als knapp 48 Stunden später die Zuschauer im englischen London das Hammersmith Apollo verließen, waren sie ebenfalls Zeugen eines historischen Moments geworden: Die alten Priester hatten das komplette Konzert mitgeschnitten, um diese 'denkwürdige' Tour für die Nachwelt festzuhalten. Mit einer absolut identischen Setlist wie bei der Show in den Niederlanden ist das Ergebnis nun als DVD in den Regalen der einschlägigen Läden und somit für mich zu einem ebenso absoluten Muss geworden. Nicht viel Neues im Grunde, denn irgendwie hatten wir das alles schon einmal. DVDs der Herren aus Britannien findet man durchaus in der offiziellen Diskografie und nicht offizielles Material gibt es eh. Nur als Beispiel sei
Rising In The East genannt, jenes Zeugnis der Wiedervereinigung von Band mit Frontmann, aufgenommen im altehrwürdigen Nippon Budōkan zu Tokio, das eine ähnlich beeindruckende Setlist vorweist. Nichtsdestotrotz darf der Fan beim aktuellen Zeitdokument beruhigt zugreifen. Sämtliche Alben der Band (mit Ausnahme der
'Ripper'-Ära logischerweise) wurden bei der Tour mit mindestens einem Song bedacht, manch eines wird mehrfach berücksichtigt. Schon beim Durchlesen der Trackliste muss einem der sprichwörtliche erwartungsfrohe Schauer den Rücken hinab laufen. Wer die Band bei einer der Shows im Rahmen der Tour erwischen konnte, der wird sich mit Freude an die Reichhaltigkeit erinnern - für alle anderen Fans gibt es Masterc…, äh, diese DVD.
Etwas mehr als zwei Stunden hat die Band pro Abend in die Show investiert und den Fans damit einen richtig guten Gegenwert für deren investiertes Geld geboten. Es wurde aber auch rein gar nichts ausgelassen: von der "Battle Hymn" als altbewährtes Intro, über "Judas Rising", "Starbreaker" und "Turbo Lover" bis hin zur letzten Zugabe in Form von "Hell Bent For Leather" und "Living After Midnight".
»Living after midnight, rockin' to the dawn
Lovin' 'til the morning, then I'm gone, I'm gone.«
Halford schafft (fast) jede Höhe, scheint stimmlich noch klar auf eben dieser zu sein. Die Band haut alles raus, was sie geben kann und der neue Axtmeister erweist sich nicht nur akustisch als Magnet (neben
Rob natürlich). Ab und zu muss sich der Betrachter jedoch fragen, ob sein Gebahren nicht ein klein wenig übertrieben scheint. Er haut in bester
Rick Nielsen-Manier gefühlte 200 Plektren in die Menge (aber vielleicht vermische ich hier zu stark persönlich Erlebtes mit den Eindrücken der DVD). Dass er auch verhalten sein kann, beweist er u. a. auf der Akustischen bei "Diamonds And Rust" (übrigens sehr gut und gefühlvoll vorgetragen von
Halford), das natürlich auf dieser Setliste nicht fehlen durfte. Klar, dass bei dieser Coverversion des alten
Joan Baez-Titels der getragene akustische Anfangsteil bald in feinsten
Priest-Metal übergeht.
Der Frontmann zieht seinen Streifen wie eh und je durch. Gefühlt hat er für jeden Song ein neues Outfit an, stakst wie weiland 1980 mit fetten Stiefeln über die Bühne und schreit sich die Seele aus dem Leib. Das ist ebenso No-Nonsense wie auch die vorliegende Produktion: Intro, Vorhang runter und ab geht die Post. Da wird nicht lange gefackelt und mit ewigen Menüunterpunkten hantiert, Boni gibt es eh nicht und von daher erübrigt sich die Frage sowieso.
Das Bühnenbild ist recht einfach und trotzdem gut, überall mit fetten Ketten behängt. Meister
Travis thront auf einem Podest und auf dem Backdrop sieht man meist die zu den Songs passenden jeweiligen Cover der Alben. Neben roten und blauen Spots komplettieren Laser und Feuer die Lichtchoreografie und von der Harley brauchen wir ja gar nicht zu reden. Der Rest lebt von der Musik - und das Publikum in London lebt lautstark mit!
Sehr schön eindrücklich sind die ab und zu stattfindenden kleinen gemeinsamen Gitarrenausflüge festgehalten, während sich
Ian Hill in altbewährter Manier bescheiden im Hintergrund hält (immerhin ist er das einzig verbliebene Gründungsmitglied).
Die Produktion ist technisch gelungen, Bildqualität und Sound stimmen wirklich - da gibt es ganz andere Beispiele, auch aus der jüngeren Vergangenheit.
Wer sich mit mit dieser Doku die Freude machen machen möchte, und die Erlebnisse der Epitaph-Tour noch einmal und noch einmal und immer wieder neu aufkommen lassen möchte, dem sei versichert, dass hier jeder Cent gut investiert ist. Danke, Sony!