Brett Kull / The Last Of The Curlews
The Last Of The Curlews Spielzeit: 51:27
Medium: CD
Label: Eigenproduktion, 2009
Stil: Singer/Songwriter


Review vom 18.03.2009


Ingolf Schmock
Es muss diesen amerikanischen Bengel doch sehr umfassend fasziniert haben, als er 1973 den preisgekrönten Zeichentrickfim, nach der literarischen Vorlage von Fred Bodsworth, über das letzte Paar Eskimo-Brachvögel, dessen Millionen-Bestand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts brachial dezimiert wurde, für sich medial verinnerlichte.
Der sonst hauptamtlich als Gitarrist bei der Art Rock-Kapelle Echolyn beschäftigte Brett Kull, erzählt im Titelsong seines mittlerweile zweiten musikalischen Solo-Ausfluges, eben diese Geschichte vom Leben und Sterben des kleinen gefiederten Freundes aus seinen Kindheitserinnerungen.
»Ich kann mich noch genau an das Gefühl dabei erinnern. Es war am späten Nachmittag, bevor mein Vater nach Hause kam«, erzählt Kull »und wir (Mutter und mein älterer Bruder) sahen diesen Cartoon über die Vernichtung eines Vogels mit eben diesen seltsamen Namen. Mein kleiner Bruder Tim schlief wahrscheinlich nebenan, und kaute friedlich auf seinen Hot Wheels oder GI Joe's herum.
Die letzten ihrer Vogelart, ein männlicher und weiblicher, suchten verzweifelt den jeweils Anderen, bevor ein Jäger der Geschichte ein tragisches Ende bereitete. Dieses Gespenst von Traurigkeit bohrte sich augenblicklich tief in mein Unterbewusstsein, und verlangte irgendwann geradezu nach einer Aufarbeitung in Form von Liedern.«
So schrieb der mittlerweile etablierte Musiker aus Pennsylvania nebenher freundliche Stubenhockerlieder, welche seine kindlich geprägten Traumata mit einer gehörigen Portion musischer Melancholie und schmissig anrührendem, etwas schüchternem Humor vermischen. "The Last Of The Curlews" ist jedenfalls kein veritabler Ersatz für die Echolyn-Klientel, sondern der Liederzyklus eines notorischen Neurotikers, welcher Umweltklischees glorifiziert, oder einfach nur die Nabelschau des Trivialen und meisterliche Beobachtungsgabe eines hervorragenden Musikers.
Brett Kull hat sich bei seinem Solo-Zweitling, abgesehen von einigen Gastvokalisten, auf den Schlagzeuger und Bandkumpel Paul Ramsey beschränkt. Wo Kull früher sonst mehr Musiker beschäftigte, bedient er jetzt das aufgebotene Instrumentarium höchstpersönlich. Stilistisch setzt er dabei auf die formalen Kompositionsstrukturen der populären Musiknischen, wobei er neben einem Schuss extrovertierten Post-Rock, auch einen leichten beatles'ken und floyd'schen Beigeschmack hinterlässt.
Die zwölf leichtfüßigen Songs kriechen förmlich einnehmend und melodiös aus den heimischen Boxen, und Kull singt bestenfalls hierbei mit sich selbst oder im Chor neckischer Weibsbilder, welche neben ihren geölten Stimmen auch teilweise Hörbuchqualitäten einzubringen vermögen.
Des Protagonisten wärmende Vokalkünste versuchen mit aller Gewalt das Oberwasser zu halten, verlieren dabei aber keinesfalls an Ästhetik bzw. Poesie und bewegen sich stets im Einklang mit der unkitschigen instrumentalen Ummantelung. Synthetische Klänge, außer ein paar festplattengenerierten Streichern, werden überwiegend ausgespart, Brett verlässt sich dagegen mehr auf die solide Raffinesse seiner handwerklichen Fähigkeiten, und somit auf die Langlebigkeit eingängiger Melodien.
Dieser musikalische Soloausflug ist daher unbestritten kein erwünschter Artrock-Untrieb, sondern ein Songschreiber-Output, ein zartes Requiem an unseren Planeten und das Leben, eine rührende Reminiszenz an die Siebziger, in denen Kull mit warmen freundlichen Farben malt, obgleich er hier und da auch einige Irritationen aufpinselt.
Brett Kull präsentiert seine ausgetüftelten Singer/Songwriter-Nummern stets abwechslungsreich und verpackt sie in seine sehr eigene staubfreie und gezuckerte Harmonien-Landschaft.
Teils erinnert das Ganze an akustische Momente eines Paul McCartney, teils regiert eine schleichende Opulenz an wattierten Gitarren, perlendem Piano oder warmen Keyboards, anderseits vermag der Konsument auch kleinere komplexe Einschübe zu vernehmen, welche die musikalische Duftmarke seiner Hausband nicht verleugnet.
Somit pulsiert hinter dem Folk-verhuschten Spiel und der beherrschten Phrasierung, eine kurrente Mischung aus Atmosphärik und sublimen Melodien, aber in den leisen Tönen auch der Hauch eines leicht angestaubten Zeitgeistes.
Geschmackssicher navigiert der Songtroubadour nebst Unterstützung zielsicher hypnotische Grooves und eine verneigende Gitarre in "Acadia Gulls", scheint der tobende Wind und das bewegte Meer die Fantasie zu berauschen, philosophiert im emotionalen "If She Could Be Who She Wanted" anhand des Bildes zweier aus dem World Trade-Center springenden Menschen über die Liebe in uns, verpasst der Leonard Bernstein / Stephen Sondheim-Komposition "There Was A Place For Us" einen frischen Farbstrich, vermag uns während der ewigen Suche nach der Erfüllung eines Lebenszieles bei "Windows Of Light" in spürbarer, von zarten Streichern bezwungenen, Andacht erstarren zu lassen.
Überhaupt sind die Texte sehr persönlich, dabei aber soweit verschlüsselt, dass eigenen Assoziationen genügend Raum bleibt. Die Bilder, welche Kull hierbei entwirft, sind deshalb so pastoral, wie ein Gemälde des Museum Of Modern Art. Der Genuss ist auch seiner griffigen Stimme geschuldet, der Leichtigkeit seiner Erzählungen zu lauschen, von der Schönheit und Härte des Lebens, welches manchmal nahe am Schnulzigem vorbeischrammt, aber dann am stärksten wirkt, wenn bescheiden die folkige Essenz greifbar wird. Bei all der wehmütigen Patina, dem urwüchsigen Charme und der amerikanischen Ostküsten-Kauzigkeit, hat der Musikant eben auch die kritische Menge zerklüfteter, aber auch zerbrechlicher Töne zu bieten.
Nichtsdestotrotz ist Brett Kull mit seinem neuesten musikalischen Egotrip, ein Mainstream- und Kunst vereinendes Gesellenstück gelungen, welches jeden vom lärmenden Alltag ausgelutschten Genre-Probanten, eine kleine Oase zu projizieren vermag. Den treuen Anhängern der Indie-Artrocker Echolyn, bereitet Kull hingegen keine musikalische Makulatur, sondern mit der tönenden Entrümpelung einen neuen Horizont und mit dieser Platte in Öko-Pappe ein nachhaltiges Geschenk.
Tracklist
01:Acadia Gulls
02:Lullabies And Starlings
03:Hey Horizon
04:If She Could Be Who She Wanted
05:Nightingale
06:Halos
07:Love Is On The Discarded Street
08:Become A Ghost
09:Autumn Endings
10:Last Of The Curlews
11:There Was A Place For Us
12:Windows Of Light
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