Crazy Chris Kramer / ...unterwegs
...unterwegs Spielzeit: 57:45
Medium: CD
Label: Blow Till Midnight Records/Musikverlag, 2008
Stil: Blues Rock

Review vom 10.10.2009


Jürgen Hauß
Blues mit deutschen Texten? Um den kritischen Unterton dieser Frage vorweg zu entschärfen: Ja, das geht. Zumal, wenn diese deutschen Texte in einem eher anglo-amerikanischen Stil vorgetragen werden.
Eine weitere sich aufdrängende Frage kann ebenfalls vorweg beantwortet werden: "…unterwegs" ist keinesfalls ein Live-Album, auch wenn der Protagonist für die hier versammelten Tracks viel unterwegs war und die Aufnahmen nicht nur in mehreren Studios in Deutschland, sondern auch in UK sowie USA entstanden sind.
Und schließlich sei auch die sich aus diesem Umstand ergebende Frage vorweg beantwortet: Ein Studio-Album von Chris Kramer, können denn da die Songs die Wirkung entfalten, die bei Live-Auftritten insbesondere durch die Interaktion mit dem Publikum entsteht? Ja, möglicherweise auch nur vielleicht, jedenfalls aber kommen die vorliegenden Studioeinspielungen gut rüber.
Doch genug der vorweg beantworteten Fragen:
Crazy Chris Kramer, einer der angesagtesten Bluesharp-Spieler in Deutschland, war mal wieder verrückt genug, für sein neuestes Werk in der Welt herumzureisen und mit einer Vielzahl begnadeter Musiker ein Album einzuspielen, das in seiner Vielfältigkeit kaum zu übertreffen ist. Und so ist das unten dargestellte Line-up der beteiligten Künstler fast länger als manche Reviews.
Verrückt genug, ein Blues-Album in deutscher Sprache aufzunehmen, ist Crazy Chris Kramer jedenfalls zum wiederholten Male, vgl. nur den Review von Joachim 'Joe' Brookes über die Vorgänger-Scheibe Komm mit. Oder soll man einfach sagen, dass er - zu Recht - genügend Selbstbewusstsein dafür hat? Vielleicht sogar ein bisschen zu viel Selbstbewusstsein, wenn man Songs wie "Meister Igel" oder auch "Es gibt gut, besser und es gibt mich", in denen er sich selbst als das Non-plus-ultra in seinem Revier beschreibt, zu ernst nehmen würde. Aber mit "Bleib bis zum Frühstück" gibt es umgekehrt auch einen Track, wo man den armen Protagonisten wegen seiner geringen Erfolge bei Frauen fast schon bedauern möchte. Dies alles zeigt, dass man die Songs mit einer angemessenen Prise Humor wahrnehmen sollte - ganz schön crazy!
Der erste Track, "Meister Igel", startet mit einer schrammelnden Blues-Ouvertüre, bevor das einsetzende Schlagzeug die Führung übernimmt und zu klarem Klang und Gesang überleitet. Hier ist bereits zum ersten Mal Mick Taylor im Einsatz. Den durchweg amüsanten Inhalt des Tracks hatte ich bereits angedeutet. Noch einen Tacken witziger ist das bluesrockige "Du gabst mir 7 Kinder" (»keins davon sieht aus wie ich«), die Geschichte eines gehörnten Ehemannes, dem seine Frau (»mindestens«) sieben "Kuckuckseier" (»und fast alle von unterschiedlichen Vätern!«) ins Nest gelegt hat - köstlich! Zum ersten Mal lässt Chris Kramer seine Bluesharp aufjaulen.
Bluesig - nicht nur musikalisch (mit E-Slidegitarre), sondern auch textlich - geht es mit "Ich hab Scheiß gebaut" weiter. Im mit 5:50 Minuten längsten Stück der Scheibe beschreibt Kramer im klassischen 12-Takter das ebenso klassische Missverständnis zwischen Mann und Frau - perfekt!
Melancholie pur im nächsten Track, "Dein Herz schlägt wie es schlägt". Die vergebliche Liebe des 'besten Freundes' zu einer tollen Frau, die 'ihn' als besten Freund, aber auch nicht mehr haben will. Zurückhaltende Gitarrenmusik, im Hintergrund zudem Bass und Percussion, sowie in Zwischenphasen wiederum die jaulende Bluesharp unterstreichen die Stimmung äußerst wirkungsvoll.
Mit kräftigem Soul und entsprechendem Humor geht es weiter. "Ich wollte immer klingen wie James Brown" mit Bläser-Ensemble und einem abgehackten Gesang von Chris Kramer klingt die Nummer tatsächlich so, wie das im Titel angesprochene Vorbild - nur eben nicht, wenn das Instrument zum Einsatz kommt, um das es in dem Song geht: das Banjo! Gespielt zwar nicht von Chris Kramer, dafür von dem ebenso genialen Dirk Edelhoff, muss man der Aussage des Songs zustimmen: Banjo und Soul, die beiden passen nicht zusammen; aber so, wie das Thema hier präsentiert wird, ist das erste Sahne!
Als harter Blues Rock startet "Nichts dauert ewig", bevor er in einen wippenden Boogie-Rhythmus übergeht. Auch wenn in erster Linie wiederum die Bluesharp stilprägend ist, interessant wird der Song nicht zuletzt wegen des hier zum ersten Mal zum Einsatz kommenden Background-Chors.
Rhythmus-getrieben ist der Versuch von Kramer, in Track sieben den ganz besonderen Ton für ein Liebeslied zu suchen, vielleicht ein bisschen zu hart für das Thema, aber musikalisch einwandfrei dargeboten.
Harter Stilwechsel - Country ist angesagt: "Hätt ich nur einen Moment Zeit". Die 'weinende' Pedalsteel von Michael Mitzkus prägt diesen Song, der an der Grenze zur Schnulze angesiedelt ist, diese aber nie überschreitet.
Fast schon 'brutal' der Übergang zu "Biggis Bier Bar": Harter Funk und Soul, begleitet von der schon aus "Ich wollte immer klingen wie James Brown" bekannten Bläser-Sektion, bilden den Hintergrund für den Song eines Machos, der seine Kneipe gar nicht - wie er vorgibt - »nur mal so auf'n Bier« besuchen will, sondern in erster Linie wegen deren Besitzerin, für die er schwärmt. Der Song schließt mit einem Kommentar von Helge Schneider: »Ja sicher«, womit die Frage beantwortet wäre.
Erneuter absoluter Stilbruch: Beim reinen Akustik-Titel "Benedicita" übernimmt die Mundharmonika von Chris Kramer im Stile des Jazz-Mundharmonika-Spielers Toots Tielemans die Melodieführung. Entsprechend 'jazzig' klingt der Song. Hervorzuheben ist die Begleitung von keinem Geringeren als Chuck Leavell sowohl am Klavier als auch an der Hammond B3. Lounge-Music as its best!
Bluesig-groovig der bereits eingangs kurz angesprochene Track elf, "Bleib bis zum Frühstück", wiederum mit tollen 'Fingerübungen' von Chuck Leavell am Klavier. Auch zu "Es gibt gut, besser und es gibt mich" gibt es nicht mehr zu ergänzen, als dass dieser Song in Austin, Texas, mit dem legendären, mittlerweile schon 95-jährigen Pinetop Perkins und seiner Begleit-Combo eingespielt wurde. Das swingt, und ich frage mich, was wohl die Amis bei dem deutschen Text gedacht haben mögen.
Mein absolutes Lieblingsstück ist allerdings der mit denselben Musikern, ergänzt um Mick Taylor, eingespielte Track 13: "Ich beiß mich da jetzt durch"; ein Blues über den Stress eines Mannes, im Supermarkt den Einkaufszettel von 'Ihr' mit all' den ihm völlig unbekannten Spezialitäten abzuarbeiten. Hat das nicht jeder Mann schon einmal erlebt? Wunderbar in diesem Zusammenhang wieder die jaulende Bluesharp.
Nach meinem Geschmack viel zu früh endet eine tolle CD mit dem "Work Song", dem einzigen Stück mit einem englischen Titel. Kleine Ironie am Rande - es handelt sich um einen reinen Instrumental-Track! Er stammt aus der Feder des amerikanischen Jazz-Trompeters Nat Adderly, seines Zeichens Bruder des legendären Jazz-Saxophonisten Julian 'Cannonball' Adderly. Für die mitspielenden Musiker war die Aufnahme aber offenkundig keine Arbeit, zu sehr ist ihre Spielfreude wahrnehmbar. Allen voran die Spencer Davis Group-Mitglieder Pete York und Colin Hodgkinson. Den Saxofonpart hat Mr. Supercharge Albie Donnelly übernommen, und Helge Schneider an der Hammond B3 beweist wieder einmal, dass er mehr kann als nur "Katzeklo"!
Mein Resümee ist eine eindeutige Empfehlung für diese Scheibe! Mehr aber noch die Empfehlung, unbedingt einen Live-Auftritt von Crazy Chris Kramer zu erleben. Einen kleinen Appetizer hierauf bietet ein fast zehnminütiges Video auf Youtube, das am einfachsten über die Homepage von Crazy Chris Kramer gefunden werden kann: Wie er die Bluesharp quasi 'in mouth' spielt (ab 1:35), ist einfach sensationell!
Line-up:
Chris Kramer (Gesang, Mundharmonikas, E-Slidegitarre - #3, ak, Gitarre - # 4, 8, 11)
Mel Gaynor (Schlagzeug - #1-7, 9, 10)
Martin Engelien (Bass - #1-7, 9, 10)
Dirk Edelhoff (Banjo - #5, ak. Gitarre - #4, 8, E-Gitarre - #7, 9, 10)
Jens Filser (E-Gitarre - #2, 6)
Malte Triebsch (E-Slidegitarre - #3)
Mick Taylor (E-Gitarre - #1, 13)
Carsten Steffens (Schlagzeug - #4, 8, 11, Percussion - #4, 8, 8, 10, Chor - #5, 7, 9)
Wolfgang Engelbertz (Kontrabass - # 4, 8, 11)
Chuck Leavell (Klavier - # 10, 11), Hammond B3 - # 9, 10)
Hennes Bender, Jochen Malmsheimer, Pavel Popolski, Giovanni Arvaneh, Katrin Ritt, Nils Brunkhorst (Chor - # 6, 9)
Michael Mitzkus (Pedalsteel - # 8)
Niclas Floer (Klavier - # 8)
Tobias cosler (Orgel - # 7)
Bernd Kullack (Geige - # 8)
Helge Schneider (Hammond B3 - # 14)
Pete York (Schlagzeug - # 14)
Colin Hodgkinson (Bass - # 14)
Albie Donnelly (Saxophoon - # 14)
Herbie Klinger (E-Gitarre - # 14)
Pinetop Perkins (Klavier - # 12, 13)
Willie "Big Eyes" Smith (Schlagzeug - # 12, 13)
Bob Stroger (Bass - # 12, 13)
Little Frank Karkowski (E-Gitarre - # 12, 13)
Olaf Krüger (Trompete - # 5, 9)
Jörg Wippich (Saxophon - # 5, 9)
Daniel Fellmann (Posaune - # 5, 9)
Tracklist
01:Meister Igel (3:58)
02:Du gabst mir sieben Kinder (3:11)
03:Ich hab Scheiß gebaut (5:50)
04:Dein Herz schlägt wie es Schlägt (3:59)
05:Ich wollte immer Klingen wie James Brown (3:47)
06:Nichts dauert Ewig (3:30)
07:Ich such den ganz besonderen Ton (3:39)
08:Hätt ich nur einen Moment Zeit (4:18)
09:Biggis Bier Bar (3:43)
10:Benedicta (5:29)
11:Bleib bis zum Frühstück (3:52)
12:Es gibt gut, besser und es gibt mich (4:24)
13:Ich beiß mich da jetzt durch (3:21)
14:Work Song (4:44)
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