Man muss über keine schwimmerischen Fähigkeiten verfügen oder gar Muscheltaucher sein, um Edgar Knechts "Good Morning Lilofee" zu entdecken und an die Oberfläche zu befördern. Was der Pianist mit diesem Album aus den vermeintlichen Tiefen des deutschen Liedguts ans Tageslicht holt, ist in seiner Weise neu. Der Mann widmet sich mit seinen Musikern dem Volkslied.
Wenn sich hier schon jemand unter die Wasseroberfläche begeben hat, dann ist es Michel Roggo, der für das wunderschöne Coverbild verantwortlich zeichnet. Dann stockte mir für einen Moment der Atem, als der zweite Blick auf die Tracklist der Platte fiel. Tatsächlich: Sechs der acht Nummern »basieren auf Volksliedthemen.« Würde man die englische Sprache hernehmen und stattdessen Traditionals einsetzen, hätte es nicht die Wirkung.
Edgar Knecht, der sein Wissen und Können auch als Lehrer in seiner 'Klavier Aktiv'-Schule an Interessierte allen Alters weitergibt, bringt den Hörer ohne Pause zum Staunen. Durch seine musikalischen Vorlagen-Verfilmungen geht der Knopf stante pede auf und nicht mehr zu. Die Interpretationen selbst sind tonale Reisen mit unterschiedlichen Hörenswürdigkeiten. Natürlich ist der Heimatbahnhof vom Knecht der Jazz, allerdings lassen sich unschwer klassische Anleihen sowie Ausflüge in lateinamerikanische Gefilde erkennen. Darüber hinaus gibt es auch sphärisch schwebende Abschnitte und alleine diese Routenplanung macht einen (neu)gierig auf Volklieder.
Druckfehler? Heißt es nicht "Heißa Kathreinerle"? Edgar Knecht nimmt sich die Freiheit und deutet für den Hörer bereits in der leichten Abwandlung des Themas in "Heisses Kathreinerle" Nebenwirkungen an. Schön ist, dass Kontrabassist Rolf Denecke sowie Stephan Emig am Schlagzeug in den gut sechs Minuten ihren solistischen Einstand geben. Unglaublich geschickt tanzen Knechts Finger über die schwarzen und weißen Tasten. Schon der Opener bietet einen Pool an verschiedenen Schwingungen und Atmosphären. Die an- und abschwellende Dynamik ist da nur ein Element in der Vielfältigkeit und mit der Klassik hat man einen weiteren Trumpf im Interpretationsköcher. Jeden Track hat der Protagonist mit einem Untertitel versehen. Zum wohl ursprünglich aus dem Elsässischen stammenden Lied heißt es: »Alter Dancehit frisch renoviert.«
"Nachts um ¾" ist die erste von zwei Eigenkompositionen. Für Emig ist in drei Tracks Tobias Schulte an den Drums zu hören und hier werden wir sowohl vom Piano als auch von der Udu verzaubert. Man gibt dem Hörer Gelegenheit für ferne Träumereien. Bleiben wir doch in Knechts eigenem Garten. "Valse Bleu" ist ein fröhlich gestimmtes Stück Jazz auf leichtem Fuß. Herrlich, welche Tastenläufe der Mann am Klavier einschiebt. Was man durch das Verschieben von Betonungen erreichen kann, macht dann eben die andere Art des Walzers aus. Alles klingt locker und so verdammt selbstverständlich. Aber dahinter steckt eine Menge an Einfallsreichtum. Dazu brillant ist die rhythmische Zeichnung der Nummer.
Mit einem festen Blick auf seine Künste ist Edgar Knecht auch Schönheitschirurg. "Thule" geht zurück auf Johann Wolfgang von Goethes Gedicht "Der König von Thule". Vertont wurde es unter anderem von den zwei Franz' ( Schubert und Liszt) sowie Robert Schumann. Die Vorlagen dienen nicht nur dem Pianisten zum Ausleben von Fantasien. Bands wie Faun, die sich der mittelalterlichen Musik verschrieben haben, bleiben an der entsprechenden Zeit haften. Knecht ist anders. Er macht sein über zehnminütiges Ding daraus und verbindet Vergangenheit sowie Gegenwart auf dramatische Weise.
Mit Wolfram Geiss' Violoncello wirkt "Maria" zunächst wie drohendes Unheil, doch die doomige Stimmung wissen das Streichinstrument und Piano schnell in die Flucht zu schlagen. In einem Part vordergründig vom gezupften Kontrabass und nur leicht abgewandelten Klavierriffs bestimmt, hat das Stück herzzerreißenden Charakter. Dann löst sich die beklemmende Stimmung und der flottere Teil beinhaltet Fröhlichkeit.
"Simsala" ("Auf einem Baum ein Kuckuck saß") ist etwas ganz anderes. Einerseits wird der Track durch das gesprochene Wort von Chris Mueller eingeleitet, andererseits hören wir Knechts Stimme, durch einen Vocoder verfremdet. Fremd und doch bekannt, so kommt einem dieses Stück vor. Man ist von diesem Highlight hin und her gerissen. Es groovt auf noch nicht gehörte Art und gerappt wird auch noch. Wenn für "Froh ..." als Untertitel »Afrikanischer 6/8 mit deutschem ¾ im Freudentanz« steht, dann darf ich dieser Interpretation nichts hinzufügen. Auf ungewöhnlich swingende Weise schickt man uns zum Schlummern.
Edgar Knecht hat mit "Good Morning Lilofee" bei einem von mir nie und nimmer zu erahnendem musikalischen Fass den Deckel der Hörfreude geöffnet. Es wundert einen nicht, dass er dafür 2009 beim Jazz Festival Havanna gefeiert wurde. Aus meiner Sicht schreiben die acht Songs Geschichte. Das macht dem Mann so schnell kein anderer Musiker nach ... einzigartig.
Line-up:
Edgar Knecht (piano, vocoder - #6)
Rolf Denecke (bass)
Stephan Emig (drums)
Tobias Schulte (drums - #4,6, udu - #2)
With:
Wolfram Geiss (violoncello - #4)
Chris Mueller (words - #6)
Tracklist |
01:Heisses Kathreinerle (6:12)
02:Nachts um ¾ (5:01)
03:Thule (10:28)
04:Maria (6:29)
05:Valse Bleu (5:42)
06:Simsala (4:48)
07:Froh... (7:09)
08:Schlaf (5:11)
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