Dass grundehrlicher Straßenrock auch lange nach dem Split der Böhsen Onkelz funktionieren kann, zeigen die Ruppichterother Kärbholz in Form ihres Albums "Mit Leib und Seele". Die nunmehr vierte Scheibe des Quartetts aus dem Bergischen Land offeriert dem geneigten Hörer fast eine Stunde lang ein qualitativ hochwertiges Gemisch aus räudigem Rock mit Punk-Anleihen, lässt dabei aber auch die Eingängigkeit nicht außer Acht.
So reihen sich hier böse, laute Straßenkompositionen sowie moderatere Töne aneinander und passen trotzdem (oder gerade deshalb?) ganz wunderbar zusammen. Welche musikalische Richtung Kärbholz auch einschlagen, die whiskygeschwängerte Stimme von Frontmann Torben Höffgen erzählt sechzehn Geschichten von den Schattenseiten des Alltags und der Gesellschaft. Kärbholz spielen handgemachte Musik von der Straße für die Straße, verstehen sich als Sprachrohr von Minderheiten und Subkulturen und klingen dabei immer echt. Man glaubt den Jungs jeden Ton und jedes Wort, das sie hier auf Silberscheibe gebannt haben - Authentizität wird somit großgeschrieben, und der Albumtitel "Mit Leib und Seele" darf ganz genau wortwörtlich verstanden werden.
Damit dürfte auch klar sein, dass sich die Combo mitnichten in politisch zweifelhaften Gewässern tummelt, sondern einfach nur Spaß an ihrem (Skinhead-) Lebensstil hat und den ehrlichen, schweißtreibenden Rock'n'Roll hundertprozentig auslebt. Der Refrain des Titeltracks rotzt dies auch dem letzten Skeptiker ins Gesicht: »Mit Leib und Seele/ Mein Herz für die Musik/ Vollgas-Rock'n'Roll/ Ist und bleibt mein Lebensweg« - das und nichts anderes haben sich die Jungs auf die Fahnen geschrieben, und man nimmt es ihnen gern ab.
Dieser besungene 'Vollgas-Rock'n'Roll' beinhaltet hier und da auch moderatere Töne bzw. genreübergreifende Versatzstücke. Nicht einfach nur Punk, Rock und Oi! findet sich auf dem Album, stellenweise gibt es auch Country- bzw. Rockabilly-Einflüsse sowie akustische Singer/Songwriter-Balladen zu hören. Die Songs "Sei ein Schwein" und "Weil hier alles Wichser sind…" dienen als gute Beispiele dafür, aber auch "Hier!", eine wundervolle Liebeserklärung an die Kärbholz-Heimat Ruppichteroth, muss an dieser Stelle erwähnt werden.
Die textliche Ausrichtung der Gruppe wird an diesen Liedern deutlich: Einerseits zieht sich eine wahrlich kompromisslose Schnauze durch die Stücke, mit der man die essenzielle 'Fuck Off'-Attitüde, diese Punk-Energie transportiert - ein Blatt vor den Mund zu nehmen, daran verschwenden Kärbholz nämlich keinen Gedanken. Stattdessen regieren ebenso einfache wie deutliche Botschaften, wie sie in diesem Genre eben zum guten Ton gehören.
Auf der anderen Seite zeigen die Jungs hier und da in ruhigen Momenten ihr tiefgründiges, nachdenkliches Gesicht, wie z.B. das soeben erwähnte "Hier!", aber auch das bittere Liebeslied "Nur für Dich" verdeutlichen.
Vom atmosphärischen, instrumentalen "Intro" sollte sich niemand irritieren lassen, denn schon der erste reguläre Track, die Suffhymne "Kein SOS" macht deutlich, dass die Reise punkig bis rockig wird. Bei "Fahre wohl" wird dann zum gepfiffenen Intro erstmals die Akustikgitarre ausgepackt und eine melancholische Seefahrer-Ballade hingezaubert, die gleichzeitig das Albumartwork rechtfertigt. (Einige Unverbesserliche werden hierbei zwar 'Kommerz! Kommerz!' krakeelen, aber Kärbholz ist die stilistische Vielfalt nun mal wichtiger als verbohrte Stumpfsinnigkeit.) "Unangenehm" ist daraufhin vielleicht DIE Hymne für alle Underdogs, denn der großartige, rebellische Refrain wird jedem Außenseiter aus der Seele sprechen: »Denn in Dir trägst Du einen Stolz, den nur wenige spüren/ In Dir brennt ein Feuer, das nur die Wenigsten sehen/ Was auch kommen mag, Du wirst immer aufrecht stehen/ Du bleibst wie Du bist, für immer unangenehm«.
Fazit: Stilistische Vielfalt und nicht vorhandene Scheuklappen lassen Kärbholz aus der grauen Straßenrock-Masse herausragen. Dass die Band dabei immer hundertprozentig glaubwürdig ist, machen die bitteren, ehrlichen Liedtexte unmissverständlich deutlich. Jeder aufgeschlossene Punk, jeder melancholische Skin sollte dieser Band eine Chance geben. Zutätowierte Fans von Social Distortion oder Johnny Cash, von Tiger Army, späten Onkelz oder auch Volbeat sollten mal ein Ohr riskieren.
Kärbholz haben mit "Mit Leib und Seele" somit ein rundum gelungenes Album geschaffen. Die Jungs haben, wie man im Titeltrack selbst nachhören kann, »Worte die formen, Melodien die treiben/ Noten die heilen und Herzen zerreißen« auf Silberscheibe gebannt - und besser kann man diese Musik gar nicht in Worte fassen.
Anmerkung: "Mit Leib und Seele" ist als auf 2000 Exemplare limitierte DigiPack-Version sowie 250-mal in farbigem Vinyl erschienen.
Line-up:
Torben Höffgen (Gesang, Akustik-Gitarre)
Adrian Kühn (Gitarre, 2. Gesang)
Stefan Wirths (Bass)
Henning Münch (Schlagzeug)
Tracklist |
01:Intro (2:03)
02:Kein SOS (2:53)
03:Was ich will (3:26)
04:Fahre wohl (3:48)
05:Warum hasst Du mich? (3:05)
06:Unangenehm (3:46)
07:Mit Leib und Seele (3:54)
08:Sei ein Schwein (3:25)
09:Weg von hier (3:41)
10:Weil hier alles Wichser sind… (3:49)
11:Unsere Freiheit (3:32)
12:Hier! (3:46)
13:Sag es laut (4:14)
14:Nur für Dich (3:47)
15:Zusammen (3:35)
16:Von Wölfen und Schafen (3:09)
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