Karat / Über sieben Brücken
Über sieben Brücken Spielzeit: 43:00
Medium: Vinyl
Label: Amiga/Sony Music, 2016 (1979)
Stil: Ostrock


Review vom 11.05.2016


Ilka Heiser
Henning Protzmann, Herbert Dreilich und Ulrich 'Ed' Swillms spielten von 1971 bis 1975 in der Gruppe Panta Rhei. Diese Formation fiel nicht nur durch ihre Affinität zu jazzorientierter Musik auf, sie war auch politisch sehr aktiv.
Doch 1975 begann die Auflösung von Panta Rhei, als deren Sängerin Veronika Fischer sowie einige weitere Bandmitglieder das 'sinkende Schiff' verließen, um eigene Wege zu gehen.
Henning Protzmann war fest entschlossen, sich musikalisch umzuorientieren und rekrutierte den ehemals bei Frank Schöbel beschäftigten Gitarristen Ulrich Pexa (dessen Einfall auch der Name für Karat war), den Sänger Hans Joachim 'Neumi' Neumann (1977 gründete dieser Neumis Rock Circus), Drummer Konrad Burkert sowie Keyboarder Christian Steyer. Damit war die neue Band vorerst komplett und die ersten Proben wurden anberaumt.
Doch bereits nach drei Wochen war das Line-up schon wieder Geschichte, Steyer stieg aus, es musste ein neuer Tastenmann her. Den fand man in Ulrich 'Ed' Swillms, der ehemaligen Pianisten-Koryphäe von Panta Rhei.
Schon bald sollte sich das Besetzungs-Karussell erneut drehen: Der ehemalige Sänger und Gitarrist von Panta Rhei, Herbert Dreilich, übernahm das Mikrofon von 'Neumi', Drummer Burkert räumte seinen Hocker für Michael Schwandt und Bernd Römer übernahm die Gitarre von Ulrich Pexa. Auf zu neuen Ufern!
Ziel der Band war es, ein breites Publikum mit ihrer Musik zu erreichen, deshalb legte man sich stilistisch nicht sonderlich fest, sondern schlug eher eine Brücke zwischen Pop, Blues, (Prog) Rock, ja selbst dem Folk war man nicht abgeneigt. Das kam an und 1978 wurde ihr erstes Album, "Karat", veröffentlicht, auf welchem die wunderschönen Titel "Abendstimmung" (als Single in der DDR veröffentlicht) sowie "König der Welt", welcher übrigens gemeinsam mit "Reggae Rita Star" in der BRD ausgekoppelt wurde, enthalten sind.
Der eigentliche Durchbruch gelang jedoch mit der 1979 erschienenen LP "Über sieben Brücken". Der Song "Über sieben Brücken mußt du gehen" schlug damals ein, wie eine Bombe und wurde so erfolgreich, dass sich ein Jahr später Peter Maffay entschloss, das Stück zu covern.
Die Platte wurde auch in der Bundesrepublik veröffentlicht, zwar unter dem Titel "Albatros" und mit leicht veränderter Trackfolge, dennoch tat das dem Erfolg keinerlei Abbruch und 1984 gab es als Krönung dafür eine goldene Schallplatte, denn mit 480.000 verkauften Einheiten gehörte diese zum bestverkauften DDR-Album im Westen Deutschlands. Es folgten Tourneen durch das 'sozialistische Ausland', aber auch nach Westberlin.
Eröffnet wird "Über sieben Brücken" mit dem 1:23-minütigem "Introduktion", danach folgt der Hard Rocker "He Mama" sowie der wortwörtlich zu nehmende "Blues". "Wilder Mohn", dieses Stück von einem Mädchen auf der Suche nach der Liebe gehört ebenfalls zu den Nummern, die dem Hard Rock zugeordnet werden können. Der Gashebel wird mit dem Instrumental "Musik zu einem nicht existierenden Film" zurückgenommen. "Auf den Meeren" ist eine wunderschöne Ballade, bei der das gekonnte Bass-Spiel von Henning Protzmann dominiert. Die Band hat meiner Meinung nach eine ausgesprochene Begabung für kraftvolle Balladen, die sehr stark dem Prog Rock angelehnt sind. Einen leichten Countrytouch hat "Das, was ich will".
"Gewitterregen", diese herrlich verspielte Nummer lebt ganz einfach von ihrem ständigen Rhythmus-Wechseln, hat stellenweise einen recht folkloristischen Einschlag.
Dagegen ist das monumentale "Albatros" richtig schwermütig, gehört jedoch zu meinen Highlights auf der Platte. Beginnend mit zarten Synthie-Klängen wird zunehmend Spannung aufgebaut, um von den nach und nach einsetzenden orchestralen Klängen bis hin zum Höhepunkt und dessen Explosion getragen zu werden. Hier sollte man etwas genauer zuhören, wird in dem Song doch eine versteckte Botschaft verarbeitet, nämlich der Wunsch der DDR-Bürger nach (Reise)Freiheit.
Anschließend gibt es noch einmal eine Hard Rock-Nummer: "Wenn das Schweigen bricht", um mit dem allseits bekannten "Über sieben Brücken mußt du gehen" zu enden.
Der Fall der Mauer im Jahr 1989 bedeutete auch das Ende für das legendere DDR-Label Amiga, die Produktion von Vinyl-Scheiben wurde eingestellt. Nun, nach 27 Jahren, erscheinen die ersten, farbigen Vinyl-Platten ehemaliger, kommerziell erfolgreicher Ostrockgrößen wie City, Silly, den Puhdys und auch Karat, eine wunderbare Idee wie ich finde, und eine großartige Nachricht für alle Vinyl-Liebhaber ostdeutscher Bands.
Line-up:
Herbert Dreilich (vocals)
Henning Protzmann (vocals, bass)
Bernd Römer (guitars)
Michael Schwandt (drums)
Ulrich 'Ed' Swillms (piano, keyboard)
Tracklist
Seite 1:
01:Introduktion (1:23)
02:He, Mama (3:20)
03:Blues (2:42)
04:Wilder Mohn (5:00)
05:Musik zu einem nicht existierenden Film (2:50)
06:Auf den Meeren (6:00)
07:Das, was ich will (1:00)

Seite 2:
01:Gewitterregen (4:20)
02:Albatros (8:15)
03:Wenn das Schweigen bricht (5:10)
04:Über sieben Brücken mußt du gehen (3:10)
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