Irgendwann in der zweiten Hälfte der Sechziger verbrachte der kleine Rezensent seine Ferien oft im Hessischen bei Onkel und Tante auf dem Bauernhof. Wenn das Wetter zum Spielen, oder mit auf dem Traktor fahren zu schlecht war, durfte der »klaa Bub« im Wohnzimmer die Platten seiner älteren Vettern hören. Diese kleinen 45er Vinylscheiben müsste man heute haben. Der Erinnerung wegen und auch als Sammlerstücke. Was gab es da für den jungen Musikbegeisterten nicht alles zu entdecken: Die Beatles, die Stones, Billy Joe Royal, die Lords, Elvis Presley, die Monkees, unzählige Andere und eben die Kinks.
Einige Jahre später sah der Rezensent zumindest frisurmäßig so aus, wie seine 'Stars' aus den Endsechzigern. Nun hatte er Pickel im Gesicht, lange Haare und eine Gitarre. Mit Freunden am Pfadfinder-Lagerfeuer gab es neben den obligatorischen durch die Nacht rauschenden Wildgänsen, dem "Burenlied", "Die Lappen hoch" den "Moorsoldaten" und den "Hohen Tannen" zu fortgeschrittener Stunde auch 'unsere' Musik und logisch, dass da der Kinks-Song auch vertreten war. "Lola" - auch heute geht mir dieses Stück nicht auf die Nerven, obwohl es eine dieser 'ewig-und-überall-gespielten' Nummern ist. Ich bin mir sicher, dass wir damals, im Gegensatz zu heute, den Text nicht verstanden haben. Es war einfach schön zu spielen und zu singen. Kann man denn einen Transvestiten besser beschreiben als mit:
»... she walked like a woman and talked like a man
... But I know what I am and I'm glad I'm a man
And so is Lola«?
"Lola" machte den Sittenwächtern schon zu schaffen und auch sonst ist auf diesem Album nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen - denn die Band um die beiden Davies-Brüder schimpft auf das Musikbusiness. Textlich im Booklet schön begleitend zur Musik zu lesen. Als Beispiele seien mal "Top Of The Pops", "The Moneygoround" und "Powerman" genannt. Die "Kinks" verpacken das alles in eine geniale Mischung aus Folk und Rock, immer mit einer Portion eingängiger und harmonischer Melodien. Meine Güte, wen haben sie alles inspiriert? Höre ich mir dieses Album an, dann finde ich vieles, was andere später irgendwie zitiert haben. Und sie verbinden verschiedene Stile so gekonnt, dass es einem schwummrig wird. Gleich der Opener "The Contender" startet akustisch folkig, geht per astreinem, rockigen Gitarrensolo in einen kurzen Rock'n'Roll-Kracher über, und groovt dann shuffelnd durch die Minuten. "Strangers" oder "Get Back in The Line" - wer kriegt ob der simplen aber treffsicheren Melodien da keine Gänsehaut?
Punk? Keine Frage, denn die Kinks hatten auch da mit z.B. "Denmark Street" schon die Nase vorn. Woher kenn ich nur das Gitarrenriff in "Top Of The Pops"? Jahrmarkt-Flair mit typisch britischen Achtziger (!) Pop-Anleihen in "Moneygoround". Die Melodie von "A Long Way Home" ist ja sowas von gekonnt. Einfach, aber voll auf den Punkt. "Rats" erinnert an spätere Rockbands - Ray und Dave begeistern in den zweieinhalb Minuten an den Gitarren.
Ach je, wie liebe ich den "Apeman". Nicht nur der Musik wegen, sondern auch weil hier jeder mal den berühmten Spiegel vorgehalten bekommt. Überhaupt waren die Kinks keine der Bands, die mit seichten Texten in die Welt gingen. Wer die Band musikalisch auf "Lola" reduziert, soll sich bitte mal "Powerman" oder "Got To Be Free" anhören. Letztere Nummer hätte ich mir auch von einer Truppe wie Little Feat vorstellen können.
Die remasterte Ausgabe weist drei mehr oder weniger notwendige Bonustracks auf, besticht ansonsten im Vergleich zu meiner abgenudelten Langspielplatte mit verbessertem Klang. Man befreie nur mal den Volume-Regler seines Verstärkers von der 'Friede-mit-den-Nachbarn'-Stellung und lasse die Hiebe Mick Avorys in Verbindung mit John Goslings Keys auf sich wirken. Gegen Ende bitte auf totalen Konfrontationskurs mit den Nachbarn der weiteren Umgebung gehen und den nachhallenden Fellen lauschen ...
Onkel und Tante leben nicht mehr und auch einer ihrer Söhne musste früh gehen. Keine Ahnung, wo all seine alten Singles verblieben sind (oder Onkels alter Lanz-Bulldog). Eines ist geblieben: Meine Liebe zur Musik, die vielleicht damals in dem kleinen hessischen Bauerndorf ihren Anfang nahm. Und ab und an lege ich diese Musik auf und denke an die Zeit zurück, als der »klaa Bub« vor dem Musikschrank lag, fasziniert dem sich drehenden Plattenteller zuschaute und der geilen Musik lauschte, die das bäuerliche Wohnzimmer beschallte.
P.S.:
Ich gehöre der Gattung Musikverrückter an, die beim Autofahren keine CDs hören mag. Dazu ist mir Musik zu wichtig, als dass ich sie neben dem Verkehr beachten könnte und möchte. Im Auto will ich seichte Berieselung, Nachrichten, Moderatorengelaber, weil mich das nicht ablenkt. Fahren wir aber an der Ausfahrt Friedberg vorbei, denke ich zumindest an gute Musik ...
Line-up:
Ray Davies (vocals, guitar)
Dave Davies (vocals, guitar)
John Dalton (bass, backing vocals)
Mick Avory (drums)
John Gosling (keyboards)
Tracklist |
01:The Contender
02:Strangers
03:Denmark Street
04:Get Back In The Line
05:Lola
06:Top Of The Pops
07:The Moneygoround
08:This Time Tomorrow
09:A Long Way From Home
10:Rats
11:Apeman
12:Powerman
13:Got To Be Free
Bonus Tracks:
14:Lola (Cherry Cola Mix)
15:Apeman (Demo, Mono)
16:Powerman (Demo)
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