Lemmy mit Janis Garza
White Line Fever - Die Autobiografie
White Line Fever Lemmy mit Janis Garza
White Line Fever - Die Autobiografie
Übersetzt von: Klaas Ilse
270 Seiten, kartoniert, mit 17 meist farbigen Fototafeln
Medium: Buch
Erschienen Iron Pages Books, 2004
ISBN: 3-931624-25-0, EUR 19,90

Review vom 14.08.2008


Ilka Heiser
Wer würde schon einen Lemmy Kilmister mit dem heiligen Christkindel in Verbindung bringen, war (und ist) Mr. Kilmister doch noch nie in seinem Leben ein Heiliger gewesen, obwohl am 24.12.1945 geboren.
Jedoch nicht als Lemmy, sondern als Ian Fraser Kilmister.
Mit "White Line Fever" liegt uns Lemmys Autobiografie vor, wobei ich betonen möchte, dass man dieses Buch nicht unbedingt im Sinne einer tatsächlichen Autobiografie verstehen sollte, wie das allgemein üblich ist. Lemmy folgt keiner chronologischen Reihenfolge, sondern springt schon mal zwischen den Themen hin und her. Man hat eher das Gefühl, er sitzt einem gegenüber und erzählt auf höchst unterhaltsame Weise seine Memoiren und Anekdoten, ab und zu lediglich von einem knarzenden, Lemmy-typischen »harharhar« unterbrochen.
Dennoch wird stets der grobe, zeitliche Ablauf beibehalten, angefangen von seiner Kindheit, seinen ersten Gehversuchen in diversen lokalen Bands (»...wenn man Mädchen beeindrucken will, muss man Gitarre spielen können.«) und später dann bei Rocking Vicars. Für Jimi Hendrix arbeitete er ein Jahr lang in dessen Roadcrew. Danach stieg er als Mitglied bei Opal Butterfly ein, bis dann Hawkwind folgte. Auf Grund seiner Erfahrungen mit Hawkwind gründete Lemmy 1975 seine eigene Band Motörhead, als deren Frontmann er uns, trotz mehrfacher, diverser Line-up-Wechsel, zum Glück bis heute erhalten geblieben ist und stets das Ruder des alten Flaggschiffes in der Hand behält.
Hin und wieder versuchte er sich sogar in kleinen Rollen als Schauspieler, u.a. für Comic Strip, was ihn jedoch zu der Aussage hinreißen lässt, dass dieser Job »verdammt langweilig ist.«
Ausgelassen hat der Mann so gut wie gar nichts, lebte tatsächlich nach der Devise: 'Sex, Drugs and Rock'n'Roll ist alles im Leben'. Und wenn man seinen Erzählungen glauben schenken darf, müsste er schon längst klinisch tot sein und mit den anderen Rock-Stars 'da oben musizieren'. Sogar eine Bluttransfusion wurde ihm verwehrt, da sein 'toxikologischer Körper' diese nicht mehr hätte verarbeiten können.
Musik, Drogen, Unmengen an Alkohol und vor allem Frauen bestimmten also das Leben des Lemmy Kilmister. Letztere sowieso, denn gerade in der Zeit als er die ersten Gehversuche als Musiker bei einigen Lokalbands unternahm und mehr oder weniger von der Hand in den Mund lebte, waren sie es, die ihm (nicht ganz uneigennützig) Unterschlupf gewährten. Dennoch ist Lemmy alles andere als ein Macho. Seine Sichtweise über Frauen: Er findet es toll, wenn eine Frau sagt, was sie will, wenn sie zum Beispiel Sex möchte, denn »dann will sie Spaß, genau wie der Mann auch«. Lemmy achtet Frauen und er arbeitet gern mit ihnen zusammen, wie u.a. mit Girlschool, Nina C., Nina Hagen oder Wendy O. und den The Plasmatics, um nur einige zu nennen. Sein größter Wunsch: Dass Tina Turner einmal einen Song von ihm singt.
Über seine Erfahrungen mit Drogen schreibt er sehr bildhaft und ausführlich - denn die waren nicht immer die besten. So schildert er seine Erfahrung, als er statt Amphetaminen, die ihm ein Typ aus dem Krankenhaus besorgen sollte, Atropinsulfat - ein Gift - eingeworfen hatte. Dieser höchst unerfreuliche 'Trip' endete mit einem Klinikaufenthalt.
Mächtig Schiss hatte Lemmy jedoch vor Heroin, verlor er doch schon genug Freunde und Bekannte durch das Teufelszeugs: »... Und darüber hinaus sah ich Leute, die sich mit alten, stumpfen Nadeln fixen wollten und sich damit ihre Arme fürchterlich zurichteten. Man sah Leute mit Embolien von der Größe eines Cricketballs in ihren Armen. Und sie verkauften ihre Ärsche für einen verdammten Schuss. Für mich sah es immer nach Elend aus. Überhaupt kein Spaß.« Mit der ihm eigenen, schnoddrigen Art gibt uns Lemmy also einen guten Einblick in die 60er Jahre und in die Welt des Rock'n'Roll.
Bei allen Erzählungen aus seinem Leben, ob nun positive oder negative, kommt ein Lemmy Kilmister ans Tageslicht, den man sich so wohl kaum vorstellen würde. Da ist ein Mensch, der auf der einen Seite mit viel Witz und Humor Rückschau hält auf seine Zeit als »Herumtreiber«, wie er sich selbst bezeichnet, der auf der anderen Seite doch wieder sehr melancholisch sein kann, wenn er auf den Verlust von Freunden (seine Freundinnen Sue und Anne-Marie zum Beispiel) oder Musikerkollegen (Lennon, Lynott) zu sprechen kommt. Und er ist auch ein nachdenklicher, hochintelligenter Mensch mit sehr viel Weitblick. Da sieht man wieder mal, was Vorurteile wert sind.
Ausführlich Auskunft gibt der Motörhead-Fronter auch über seine - von Manchen immer noch als Nazitümelei verschriene - Sammelleidenschaft von Artefakten des zweiten Weltkrieges: »Ich mag es, dieses ganze Zeug um mich zu haben, weil es eine Mahnung an das ist, was geschah, und dass es Vergangenheit ist (zum größten Teil - Nazismus existiert immer noch, aber am Rande). Ich verstehe Leute nicht, die glauben, dass etwas verschwindet, wenn man es ignoriert. Das ist total falsch - wenn man es ignoriert, gewinnt es an Stärke. Europa ignorierte Hitler zwanzig Jahre lang...« - mehr muss man dazu wohl nicht sagen.
Dabei geht er mit der amerikanischen Doppelmoral hart ins Gericht und zeigt auf, dass es im 'Land der unbegrenzten Möglichkeiten' immer noch Rassismus gibt.
Aber nicht nur in dieser Hinsicht redet Motörheads Tieftöner ordentlich Tacheles, nein auch die Machenschaften der großen Plattenfirmen sind in jeder Hinsicht ein diskussionswürdiges Thema. Man bekommt einen grandiosen Einblick in einen Sumpf aus Intrigen und Kompetenzlosigkeit.
Dieses Buch ist auf Grund des flüssigen, unterhaltsamen Schreibstils (immer aus Lemmys Perspektive betrachtet und mit dem Leser auf Du und Du) ein höchst amüsantes Werk, das man innerhalb kürzester Zeit und mit einem Dauerschmunzeln im Gesicht, durchgelesen hat. Dabei kann man herausfiltern, dass es für den 'alten Knarzer' von großer Wichtigkeit zu sein scheint, Spaß im Leben zu haben und niemals lange Weile aufkommen zu lassen.
Etwas störend finde ich die Gesamt-Aufmachung: Der Einband ist lediglich kartoniert und das Seiten-Papier ist sehr dünn. Für fast 20 Euro wäre da bestimmt mehr drin. Schade eigentlich. Ansonsten: Absolute Kaufempfehlung!
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