Olaf Kübler - Sax oder nie!
Die Bekenntnisse des Johnny Controlletti
Sax oder nie! - Die Bekenntnisse des Johnny Controlletti Gebundene Ausgabe:
304 Seiten,
zahlreiche Schwarzweiß-Fotos
2te Auflage (Erstauflage unter "Klartext / Voll daneben" 1996 von Olaf Kübler und Gerd Augustin)
Vorwort: Wolf Wondraschek
Medium: Buch
Verlag: Panama Publications, 2007
ISBN: 9-783936732030
19,80 Euro



Review vom 01.02.2008


Norbert Neugebauer
Um was es dabei geht, habe ich in der Rezension zu So war's - Voll daneben! beschrieben, der musikalischen Essenz des Buches, das unter neuem Titel im Spätsommer 2007 in Zweitauflage erschienen ist. Olaf Kübler erzählt sein bewegtes Leben als Jazz- und Rockstar auf der Bühne, als Produzent, Manager, Szene-Oberdurchblicker und Sprücheklopfer. Der heute Siebzigjährige hat nicht nur den ganzen Sex&Drugs&Rock'n'Roll-Zirkus in Deutschland mitgemacht, sondern selbst ganz kräftig mitgemischt!
Was der honorige Fritz Rau in seinem Buch 50 Jahre Backstage von der Veranstalterseite her beschreibt, hat hier sein Gegenstück aus Sicht der Bands und deren Manager. Von einem der absoluten Aktivisten und Kenner der Szene, der in seiner ureigensten Sprache kein Blatt vor dem Mund nimmt. Hier wird Klartext geredet!
Geboren 1937 in Berlin, landet der Bub Olaf mit der Familie in Gießen, das er im Buch nur »Shanghai an der Lahn« nennt. Mit seinem selbstgebastelten Radio empfängt er AFN und infiziert sich dabei für immer mit dem Jazz. Die Stadt ist voller amerikanischer Soldaten, für die es am Wochenende nur die Clubs, die Musik, die Weiber und den Suff gibt. Als 17-Jähriger steht der Autodidakt mit seinem ersten Saxophon und Band erstmals auf der Bühne eines solchen Ami-Schuppens, in dem auch einmal Elvis Presley mit seiner Mannschaft aufschlägt (und den er später noch einmal in Las Vegas trifft). Von da rauscht er voll durch die gesamte deutsche Jazzer- und Rockerszene, teilweise auch im nahen Ausland. Viele große Namen säumen seinen Weg, er selbst macht als nun studierter Musiker Karriere. Der Weg führt ihn nach München, das sein Lebenszentrum wird. Hier pulst die Subkultur, der legendäre Jazz-Laden 'Domicile' wird die Heimat all der Verrückten. Bald ist Kübler nicht nur als Musiker in sämtlichen Kategorien gefragt, er besetzt auch die Studios für die zahlreichen Aufnahmesessions. So wird er zur wichtigen Schaltzentrale, die neben seinem 'Wohnraumklo' vorwiegend unter 'Baum 7' im Englischen Garten residiert. Sein durch weißen Maßanzug verschärftes Outfit bringt ihm dann noch den Spitznamen 'Johnny Controlletti' ein, der auch als temporärer Bandname gut ist.
Die Szene ist in Bewegung, die Rockmusik kommt auch sehr schnell in München an - wieder ist Kübler gleich voll mit dabei. Er entdeckt Amon Düül II und nimmt sie als Manager unter seine Arme. Die jungen Rocker sind noch härter drauf als seine bisherigen Kumpels und Kollegen. Und noch chaotischer. War bis dahin sein Leben als Jazz- und Gebrauchsmusiker schon ständig von Drogen aller Art begleitet, so muss er nun auch noch den Nachschub für die Truppe bewerkstelligen, damit die überhaupt auftreten kann. Daneben auch die ganzen reellen Deals, sei es mit den Plattenfirmen, das Besorgen einer ersten vernünftigen Anlage oder das Organisieren der Auslandsauftritte sowie einer kompletten England-Tour. Für das Geschäftliche knüpft er neue Kontakte und verhandelt schließlich selbst mit den großen Medien-Bossen in USA. Bei so einer Geschäftsreise lernt er die dortige Westcoast-Musiker-Szene kennen, die noch viel schärfer abgeht, mit allem, was dazu gehört. Ike Turner war der große Zampano, bei dem das Koks kiloweise die Nasen hochging. Aber auch den schnellen Ruhm und ebensolchen Fall mancher Rockstars erlebt er dort - den ganzen Glanz und Dreck des Business im Schnelldurchgang.
Amon Düül II, die als DIE germanische Underground-Band inzwischen auf dem Land ihre eigene Kommune haben, aber mit sich nicht klarkommen, gibt er nach acht produzierten LPs ab. Nachdem das deutsche UA-Label abgewirtschaftet hatte, muss er auch für die Band-Schulden mit seinem Geld einstehen, nicht der erste große finanzielle Verlust seines Lebens. Es folgt ein zwischenzeitliches Familien-Intermezzo mit ländlicher Idylle, dann zieht es ihn jedoch wieder zurück in die Münchner Künstlerwelt. Dort ist inzwischen Filmemacher Klaus Lemke der Dreh- und Angelpunkt, um den eine neue Szene entsteht. Und Olaf gleich wieder mittendrin. Ein erster Jazzrock-Ballon mit Doldingers Passport steigt und platzt schnell, dabei lernt er auch Udo Lindenberg kennen.
Eine ganz besondere Beziehung, denn der bald darauf zum deutschen Superstar aufgestiegene Schnodder-Udo bedient sich nicht nur an Küblers Sax-Schöpfungen. Einen Großteil der Sprüche und lockeren Texte, für die er berühmt wird, hat er nämlich auch von dem dafür bekannten Wortdrechsler. Der muss sich seine zustehenden Tantiemen erst gerichtlich erstreiten, aber dann ist wieder Klarschiff. Später treten die beiden u.a. 1985 wieder zusammen beim Friedensfestival in Moskau auf. Als weiterhin gefragter Musiker spielt Kübler auf den wichtigsten deutschen Rock-Produktionen jener Zeit und war auch mit den namhaftesten Stars unterwegs. Neben Udo und seinen Panik-Produktionen spielte er für Marius Müller-Westernhagen, für Eberhard Schoener, für Police, Peter Maffay (in der DDR), Willy Michl und für Paul Millns. Durch die Arbeit mit dem Engländer kam auch die Rückbesinnung auf den Jazz, dem er sich in den letzten 15 Jahren (neben einer neuer Familie) wieder widmet. Drei CDs entstanden seither, Kübler lebt heute wieder in Hessen.
Der Leser erfährt nicht nur hautnah, beinhart und aus allererster Quelle, was in rund vierzig Jahren deutscher Jazz- und Rockmusik passierte, sondern auch wie das zwischenmenschlich und geschäftlich funktionierte. Und dass das noch schlimmer abging, als landläufig bekannt. Kübler schreibt, wie er spricht, frisch von der (wohl des Öfteren heftigst gefährdeten) Leber weg, nennt die Fakten und Namen, aber schwadroniert auch kräftig drauf los. Dass sich nicht jede Story so im Detail zugetragen hat, darf vorausgesetzt werden. Künstlerische 'Rundungen' sind das Handwerkszeug jedes anständigen Erzählers. Aber immer amüsant und genauso locker zu lesen. Allerdings wäre ein gutes Lektorat bei der Neuauflage sicher hilfreich gewesen. Nicht nur wegen der vorhandenen Schreibfehler, auch stilistisch hätte das der Biografie gut getan. Sicher wären die letzten 20 Jahre als Ergänzung noch interessant gewesen, auch wenn es vermutlich da nicht mehr so turbulent zuging. Trotzdem ist das Buch rundum empfehlenswert, für Jeden, der mehr über die damalige Musikszene in Deutschland wissen und sich dabei auch noch gut unterhalten lassen will.
Unbedingt gehört aber Küblers CD "So war's - Voll daneben!" dazu. Schon allein deshalb, weil der Genießer dann auch immer seine sonore Stimme beim Lesen im Ohr hat. Zumal das Album grad bei einem bekannten Versandhandel zum Schleuderpreis erhältlich ist.
Im September 2007 hat Enja Records einen Mitschnitt von 1968 aus dem 'Domicile' veröffentlicht, auf dem Kübler mit dem jungen Jan Hammer Trio zu hören ist. Das Album trägt den Titel "Turtles" und darf als weiterer Soundtrack zum Buch dem Leser nahegelegt werden.
Schade, dass die Wiederveröffentlichung des Buchs medienmäßig kaum in Erscheinung getreten und auch sonst nur wenig in der Rockmusik-Literatur bekannt ist. Es hat den gleichen Stellenwert wie Raus "Backstage", wobei eine Autoren-Lesung à la Kübler, zumal mit Musik unterlegt, sicher noch interessanter (und vor allem amüsanter) ist. Hoffentlich erleben wir 'Johnny Controlletti' noch mal als Szene-Plaudertasche auf der Bühne!
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