 Bei meinen Recherchen zu diesem Konzertbericht erlebte ich gleich einmal eine ziemliche Überraschung, denn seit seinem Platten-Debüt im Jahr 1989 hat Richie Kotzen alles in allem inzwischen 32 (!) Alben veröffentlicht. Mit so einer großen Anzahl hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Klar war mir bekannt, dass der Sänger/Gitarrist mit Bands wie Poison (1993) und Mr. Big (1999 bis 2002) sehr erfolgreich zusammen gearbeitet hat, aber von Projekten mit Leuten wie Greg Howe, T.M. Stevens, Stanley Clarke und Lenny White war mir bisher nichts bekannt. Nun leuchtete mir ein, warum der Mann aus Reading, Pennsylvania, so angesagt ist, dass er im Jahr 2006 sogar die Stones auf ihrer Bigger Bang-Tour durch Japan begleiten durfte.
 Nicht schlecht für einen Musiker, der im nächsten Februar seinen vierzigsten Geburtstag feiern wird. So waren wir an diesem Donnerstagabend tatsächlich bei einem echten Hochkaräter-Konzert dabei, ohne dass uns das so recht bewusst war. Doch die Fakten machten uns diese Tatsache sehr schnell klar. Binnen weniger Minuten war die Bluesgarage fast komplett gefüllt, und das bei einem Publikum, das eigentlich dafür bekannt ist, immer erst kurz vor Auftrittsbeginn vor der Bühne zu erscheinen. Auch die Autokennzeichen auf dem Parkplatz ließen auf Größeres schließen, denn Fahrzeuge aus Paderborn, Lippstadt, Hamburg und Viersen stehen auch nicht alle Tage in Isernhagen vor der Tür.
 So musste ich mich beizeiten auf den Weg machen, um noch einen einigermaßen günstigen Platz zum Fotografieren zu ergattern. Doch so langsam entwickelt man ja die nötige Routine und außerdem herrscht ein sehr gutes Verhältnis voller Rücksichtnahme unter den 'Stamm-Redakteuren' in der Garage. So war es mir also doch noch möglich, mich in aller Ruhe umzuschauen. Und was ich da sah, wirkte eigentlich wenig beeindruckend. Die Bühne war erstaunlich leer. Ein ziemlich mickriges Drumkit, kaum Verstärker und Monitore und auch keinerlei Pedale und Zubehör am Boden. Dazu nur ein einsamer Bass. Das war alles! Letztendlich hätte man glatt einen Unplugged-Gig erwarten können. Doch diese Annahme sollte sich ziemlich schnell als völlig aus der Luft gegriffen erweisen…!
 Auf die Minute pünktlich um 20.00 Uhr betrat die Band unter lautem Applaus die Bühne und legte gleich so richtig bluesrockig los. Sofort fühlte ich mich an das Album Live In Sao Paulo erinnert, auf dem ganz ähnliche Publikumsreaktionen zu vernehmen sind, wenngleich dort wohl ein Vielfaches an Zuhörern anwesend war.
Überhaupt spielte der Live-Silberling aus dem Jahr 2008, der von meinem Kollegen Moritz so treffend rezensiert wurde, auch an diesem Abend eine ganz wichtige Rolle, denn die Setlist beinhaltete doch einen Großteil dieser Scheibe, natürlich garniert mit einigen Songs aus dem aktuellen Longplayer "Peace Sign".
 Eigentlich hätte ich das Review von Moritz für diesen Gig einfach komplett übernehmen können, denn fast alle Aussagen trafen auch auf dieses Konzert zu. Sei es das »gewisse Feeling«, »ohne seelenloses Gefrickel« oder die »bluesig angezerrte Gitarre«, all das kann ich voll unterschreiben und auch die rockigen Einflüsse mit einer » Idee von Motown« trafen aufgrund seiner ausdrucksstarken Vocals ebenfalls den Nagel auf den Kopf.
Fast alle Songs bestachen durch etliche Wechsel in Tempo und Lautstärke, bewiesen so ein hohes Maß an Vielseitigkeit und strotzten nur so vor überraschenden Variationen. Klar, dass dabei fast jeder Titel eine gewisse Überlänge zu bieten hatte.
 Obwohl Richie Kotzen wohl nie ein perfekter Entertainer werden wird (Songansagen und Kommunikation mit dem Publikum fanden fast gar nicht statt), zeigte sich doch eine große Spielfreude bei der Band. Aber sie überzeugten einfach mehr durch Leistung. Dabei blieb es natürlich nicht aus, dass Daniel Pearson (Bass) und Demian Arriga (Drums) über einen gewissen Begleiter-Status des Bandleaders nicht hinaus kamen, obwohl sie dabei perfekte Arbeit ablieferten. Doch der absolute Mittelpunkt war der langhaarige Gitarrist, dem es auch spielend gelang, seine Soli durch eine entsprechende Mimik noch zu verstärken. So gab es immer wieder spontanen Zwischenapplaus des begeisterten Publikums.
 Auch der Wechsel zwischen harten, rhythmischen Krachern und ruhigen Balladen mit Mitsing-Refrain wurde perfekt und wohldosiert durchgezogen. Dabei erwies sich Richies soulgetränkte Röhre fast wie eine Waffe bei den leisen Tönen. Auch an diesem Abend waren, ähnlich wie in Sao Paulo, etliche textsichere Fans im Saal, die sofort spontan mit in den Gesang einstimmten.
Am beeindruckendsten aber war für mich das unglaubliche Tempo, das dieser Flitzefinger beim Gitarrenspiel an den Tag legte. Sofort kamen mir mit Alvin Lee und Joe Gooch, die beiden Ten Years After-Axemen in den Sinn, vor denen sich Richie mit Sicherheit nicht verstecken muss.
 Ebenfalls im Programm der alte Yardbirds und Jeff Beck-Klassiker "Shapes Of Things", den man durchaus als Paradebeispiel für den Aufbau der Kotzen-Songs bezeichnen kann. Nach der Einleitung folgt im Mittelteil ein langer Improvisationsteil, um dann am Schluss wieder zum Grundthema zurückzukehren. Alles war perfekt arrangiert und dargeboten und dabei nie überladen oder gekünstelt. Irgendwelche Kinkerlitzchen hatte die Band nicht nötig. Nur die reine Qualität zählte, und das wurde auch gnadenlos durchgezogen.
 So verging die Zeit wie im Fluge. Nach zwei Stunden und vier (!) Zugaben (auch das war eine Neuerung, die ich bisher noch nicht erlebt habe, glaube ich jedenfalls) verabschiedeten sich Richie Kotzen und seine Mitmusiker und ließen ein völlig aus dem Häuschen geratenes Publikum zurück.
Besonders erwähnenswert ist noch die starke Version von Dylans "All Along The Watchtower", die der Fassung von Jimi Hendrix doch schon sehr nahe kam. Auch dieser Song war für mich eines der Highlights dieses ganz starken Konzertes, das mir einen weiteren Weltklasse-Gitarristen ein Stück näher gebracht hat.
Line-up:
Richie Kotzen (guitar, vocals)
Daniel Pearson (bass)
Demian Arriga (drums)
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