Gibt man den Namen Will Kimbrough in unsere Index-Suchmaschine ein, findet sich zwar kein eigener Eintrag, aber eine Vielzahl von Künstlern, die sich dessen Dienste als Multiinstrumentalist und Produzent gesichert haben. Das sagt mehr über diesen Musiker aus als eine Diskographie mit zehn oder mehr Einträgen...
Tatsächlich hat sich der Mann aus Mobile/Alabama in den letzten zwanzig Jahren zu einem der fleißigsten Strippenzieher der Nashville-Szene gemausert. Im vergangenen Jahr erregte er mit der Americana-'Supergroup' Willie Sugarcapps einiges Aufsehen, einem gemeinsamen Projekt mit Sugarcane Jane und Grayson Capps. "Sideshow Love" ist immerhin schon Will Kimbroughs siebtes Album unter eigenem Namen - schön, dass der Mann nun endlich auch bei uns im Index zu finden ist.
Es ist nämlich immer wieder ein besonderes Erlebnis, einem US-Amerikaner zuzuhören, der sich kritisch mit dem »land of the free and the home of the brave« auseinandersetzt - hat Seltenheitswert in diesen wirren und irren Zeiten. In "Americanitis" (2006) tat dies Will Kimbrough in ziemlich schonungslos-ätzender Weise, was ihm von manchen Seiten auch Kritik einbrachte. "Sideshow Love" widmet sich dagegen dem wohl wichtigsten 'Nebenkriegsschauplatz' - der Liebe - und dies kaum weniger pointiert.
Das Cover ist schon mal ein echter Hingucker. Auf dem Jahrmarkt der Gefühle fährt Will Kimbrough nicht die Achterbahn des Auf und Ab des Liebesglücks. Nein, für ihn hat die Liebe noch mehr Thrill. Hopp oder Topp - Liebe oder Tod - alles oder nichts. Dabei gelingt ihm der schwierige Spagat zwischen der Peinlichkeit zur Schau getragenen Selbstmitleids und wortgewaltiger Psychoanalyse auffallend gut, selbst in grenzwertigen Momenten ("I Want Too Much"). Nein, selten wäre ein Booklet mit den Texten angebrachter gewesen - das Faltblatt mit den Danksagungen dürfte dagegen wohl nur die dort Genannten interessieren.
Stilistisch zieht Will Kimbrough auf "Sideshow Love" alle Register des schwer definierbaren Americana-Genres: Country, Folk, Roots Rock, Old-timey Sounds - die gesamte Bandbreite wird aufgefahren.
Das eröffnende "When Your Loving Comes Around" verstömt gleich eimerweise schnoddrig-lässiges J.J. Cale-Feeling, auch wenn Lisa Oliver Grays Harmoniestimme hier (und NUR hier) ein wenig nervt. "Let The Big World Spin" nimmt, mit eigenartig-mystischer Stimmung, langsam den Schwung des Lebensrades auf. "Soulfully" wurde kürzlich von Jimmy Buffett gecovert, ohne dass dieser Kimbroughs beschwingtem Original das Wasser reichen konnte. "Home Economics" swingt im Stil von Cab Colloway und erinnert ein wenig an dessen Klassiker "Minnie The Moocher" [ja genau, dieses 'Schmidtchen Schleicher' im Blues Brothers-Film!].
Zu den saustarken Momenten muss "Dance Like Grownups Dance" gezählt werden - ein leicht 'sumpfiger' Countryrocker, der von Pat Buchanans herrlich distinguierter Slide gekrönt wird. Im direkten Kontrast klingt das minimalistisch instrumentierte "Has Anybody Seen My Heart" einfach nur unendlich hoffnungslos und traurig. "All We Can Do Is Love" entpuppt sich als ausgefallen arrangierter, schrullig-kauziger Rootsrocker, der des Hörers Fußwippe unwillkürlich in Schwingung versetzt.
Mein zweiter Liebling ist die mit sphärischen Cello-Figuren garnierte Westcoast-Nummer "Who Believes In You", die mich stimmungsmäßig an den jungen Jackson Browne erinnert, der - und da bin ich mir ziemlich sicher - Will Kimbrough auch sonst stark beeinflusst haben dürfte...
Weil es die Systematik so wollte, sortierte mein Mediaplayer Will Kimbroughs "Sideshow Love" direkt vor William Clark Green ein. Der Kontrast zu dessen Rose Queen könnte kaum größer sein: still und nachdenklich der eine, leidenschaftlich-extrovertiert der andere. Eine spannungsgeladene Kombination...
Mit Americana-Scheiben fremdele ich bekanntlich relativ häufig - vieles ist mir in diesem Genre schlichtweg zu 'jammerlappig'. "Sideshow Love" hat mich dagegen mit intelligenten Texten und einfühlsamen Instrumentierungen, die so gar nichts 'Winselndes' an sich haben, positiv überrascht. Sollte man unbedingt mal reinhören...
Line-up:
Will Kimbrough (vocals, guitars, mandolin, banjo, bass, keyboards, percussion)
Chris Donohue (electric and upright bass)
Lisa Oliver Gray (harmony vocals)
Paul Griffith (drums, percussion)
Tim Marks (bass)
David Henry (cello)
Pat Buchanan (slide guitar - #7)
Tracklist |
01:When Your Loving Comes Around (4:48)
02:Let The Big World Spin (4:16)
03:Sideshow Love (3:55)
04:Soulfully (3:30)
05:Home Economics (3:18)
06:I Want Too Much (4:40)
07:Dance Like Grownups Dance (3:50)
08:Has Anybody Seen My Heart (3:58)
09:I Count On You (5:20)
10:All We Can Do Is Love (3:47)
11:Who Believes In You (4:39)
12:Emotion Sickness (4:29)
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Externe Links:
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