Mitte 1970: Das Album "Let It Be" ist zwar gerade erst erschienen erschienen, aber die Beatles sind bereits tot. Zumindest was eine weitere gemeinsame Zusammenarbeit der vier Mitglieder betrifft. John Lennon ist (aus anderen Gründen) in keinem guten Zustand und befindet sich sogar in psychiatrischer Behandlung bei Dr. Arthur Janov, dessen Urschrei-Theorie gerade hohe Wellen schlägt. Dennoch, oder gerade deshalb möchte er ein weiteres Album aufnehmen, das aber - anders als die Großwerke seiner vorherigen Band, sehr schlicht, roh, minimalistisch und grundehrlich ausfallen soll.
Lennon machte ein Album, bei dem er endlich all das tun konnte, was ihm bei bzw. mit den Beatles nicht möglich erschien. Sei es aus Rücksicht auf den Status der Band, den Songkontext oder sei es ob der
geradezu ergreifenden Ehrlichkeit, die "Plastic Ono Band" ausmacht. In den Texten wird die sehr komplexe und chaotische Gedanken- und Gefühlswelt eines Superstars (Lennon selbst) offengelegt. Die Lyrics machen mehr als deutlich,
dass John am Ende jeden Tages auch nur ein stinknormaler Mensch mit vielen Ängsten, Komplexen, Aggressionen, Hoffnungen und Wünschen ist. Und so inbrünstig schreien wie auf den Stücken "Mother" und "Well, Well, Well" hätte er auf einem Album der Fab Four wohl auch niemals dürfen.
Für die Aufnahmen heuert er gerade mal Ringo Starr für die Drums und seinen alten Freund aus Hamburger Tagen, Klaus Voormann, für den Bass an. Das Ergebnis war das Album "Plastic Ono Band", welches im Dezember 1970 erschien und mit den Tracks "Mother", "Working Class Hero" oder auch "Isolation" mit die allerbesten Songs seiner gesamten Solo-Karriere enthielt. Lennon übernahm dabei die Gitarren und das Piano, selbstverständlich auch den Gesang.
Die neue DVD-Ausgabe der immer empfehlenswerten Reihe "Classic Albums" nimmt sich diesmal Lennons bereits viertem Soloalbum an und bietet wie immer informative, wie auch hochinteressante Hintergrundinformationen zum Entstehungsprozess. In mehr oder weniger ausführlichen Interviews kommen die (wenn es um Lennons Nachlass geht) immer allgegenwärtige Yoko Ono, aber auch die Mitmusiker des Albums, Ringo Starr und Klaus Voormann, sowie Dr. Janov oder Jan Wenner vom Rolling Stone Magazin zu Wort. Wobei erwartungsgemäß die Wortbeiträge von den sehr sympathisch und ehrlich wirkenden Ringo Starr und Klaus Voormann am meisten hergeben.
Dazu gesellen sich alte Interview-Ausschnitte und der ein oder andere Schnipsel aus Live-Konzerten. Ebenfalls nicht fehlen darf natürlich das Ass im Ärmel dieser DVD-Serie: Nämlich die Sezierung der einzelnen Songs am Mischpult, durchgeführt vom Toningenieur der damaligen Sessions, die einmal mehr viele Einsichten und Überraschungen auf Lager hat.
Im Bonusteil warten weitere Zeitzeugen-Berichte auf uns, die sich mit zusätzlichen Songs und dem zeitgleich in identischer Besetzung aufgenommenen Album von Yoko Ono beschäftigen. Plus ein voll ausgespielter Live-Song, plus Lennon mit Band in einer amerikanischen TV-Show beim Aufführen des Single-only Tracks "Instant Karma".
Diese DVD ist wieder mal ein Volltreffer für alle, die sich stärker für die Hintergründe und die Entstehungsgeschichte dieses Musik- und John Lennon-Meilensteins interessieren. Ein extrem gut belesener Beatles-Anhänger (der ich nicht bin) mag eventuell nicht allzu viel Neues erfahren, kann sich dennoch zumindest an den auseinander genommenen Song-Spuren erfreuen. Für eigentlich jedermann, vor allem auch die Nicht-Beatles-Fans ist diese DVD mal wieder eine ganz dicke Empfehlung!
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