Am 10. August 2011 habe ich aus den News auf RockTimes die Nachricht lesen müssen, dass Jon Lord an Krebs erkrankt sei und seine für dieses Jahr vorgesehenen Live-Auftritte abgesagt habe (News Nr. 10824 und 10829). Dies betrifft natürlich nicht nur seine Solo-Auftritte, sondern auch sein Blues Project, mit dem er im November 2011 durch Deutschland reisen wollte. Und für den Auftritt im Brückenforum in Bonn hatte ich bereits Karten erworben. Zwar bemüht sich die Agentur noch um einen 'adäquaten Ersatz', doch für mich kann es da keinen geben, sodass ich die Karten zurückgeben werde, verbunden mit der Hoffnung, dass 'aufgeschoben nicht gleich aufgehoben' ist. An dieser Stelle erst einmal die besten Genesungswünsche an Jon Lord!
Bei dem Versuch, nähere Informationen zu erhalten, entdeckte ich auf der Homepage von Jon Lord die Information, dass kürzlich eine Live-CD des Jon Lord Blues Projects erschienen ist und über die ihn in Deutschland betreuende Konzertagentur bezogen werden kann. Der Preis ist allerdings relativ hoch; zudem mit hohen Versandkosten (Günstiger geht es bei demselben Anbieter, wenn man den Weg über amazon.de wählt (!); andere Bezugsquellen habe ich bislang nicht entdecken können). Sei's drum; war mein Interesse an der bereits vor einiger Zeit angekündigten CD ohnehin vorhanden, musste ich mir als kleinen Trost für das entgehende Live-Erlebnis die Scheibe sofort bestellen (und geliefert wurde sie - entgegen der Ankündigung auf amazon.de) auch sofort, was in diesem Fall bedeutet: am nächsten Tag war sie da - klasse!
Nachdem andere Projekte für RockTimes wegen anstehender VÖ-Termine Vorrang hatten, kann ich mich nunmehr endlich diesem Project widmen.
Wer es noch nicht mitbekommen hat: Mit dem unten aufgeführten Line-up haben sich sechs überaus prominente britische Blues-Musiker zusammengetan, um - weil sie es hoffentlich nicht aus anderen Gründen nötig haben - aus Spaß an der Freude bzw. dieser Musik 'gemeinsame Sache zu machen'. Geht man in deren musikalische Vergangenheit zurück, liest sich das wie das Who is Who der britischen Blues- und Rock-Szene: Natürlich Deep Purple, ansonsten Blood, Sweat & Tears, Spencer Davis Group, Alexis Korner, Eric Burdon, Taj Mahal, Stone The Crows, Chris Rea, Savoy Brown, Keef Hartley Band, um nur wenige zu nennen. Und einige der heutigen Protagonisten spielen auch aktuell noch anderweitig zusammen, so Zoot Money, Maggie Bell und Colin Hodgkinson im British Blues Quintet (anfangs war zudem noch Miller Anderson mit dabei).
Diese anderweitige Zusammenarbeit dürfte sicherlich auch ein Grund dafür sein, dass exakt die Hälfte der dargebotenen Songs bereits auf der zwar nicht mehr ganz neuen, dennoch aber immer noch aktuellen CD Live In Glasgow des British Blues Quintet und daher auch in deren Live-Repertoire vorkommen (von früheren Originalaufnahmen will ich an dieser Stelle gar nicht erst reden). Zwei Nummern hat Jon Lord demgegenüber u.a. mit den Hoochie Coochie Men eingespielt, zwei Songs sind Deep Purple-Klassiker, und "I'm A Man" wird natürlich auf ewig mit der Spencer Davis Group in Verbindung gebracht werden. Lediglich für die Tom Waits-Komposition "Way Down In The Hole" kann ich keine Verbindung zum vorliegenden Project finden.
Einige wenige gemeinsame Auftritte (u.a. 20. Rother Bluestage) hat es bislang gegeben, und die vorliegende CD stellt ein Ton-Dokument eines Auftritts in Rottweil am 14. Mai diesen Jahres dar (ordentliche Bild-Dokumente davon gibt es zudem auf Youtube).
Standesgemäß geht es mit der 'Schweineorgel' los: Jon Lord eröffnet mit "Back At The Chicken Shack" den Reigen toller Rock- und Blues-Nummern. Der Einstieg erinnert schon fast an Kirchenmusik, bevor die gesamte Band das Instrumental zu Ende bringt. Wieso das folgende Stück "Houchie Couchie Man" (man beachte die Schreibweise) betitelt ist - keine Ahnung; diese Schreibweise habe ich für diesen Willie Dixon-Klassiker noch nirgends gesehen. Sei's drum; an der Interpretation - Gesang Miller Anderson, Solo-Einlagen von ihm, Jon Lord sowie Zoot Money - ist nichts auszusetzen, da absolut klassisch dargeboten.
Bei der Coverversion des Free-Hits "Wishing Well" merkt man, dass Maggie Bell einst eine der größten Rock- und Blues-Sängerinnen war. Leider war, denn die Stimme hat über die vielen Jahre doch sehr gelitten. Zwar faucht und schreit sie in gewohnter Manier, doch die ursprüngliche Kraft scheint heute verständlicherweise nicht mehr vorhanden zu sein (mir ist durchaus bewusst, dass Jürgen Bauerochse das - jedenfalls vor vier Jahren - durchaus anders gesehen hat). Die letzten zwei Minuten wird der Song - von Maggie Bell entsprechend eingefordert - als Reggae präsentiert; nette Idee, aber nicht zwingend, zumal es zum Ende hin eher ein Gospelsong wird.
Bei "It Never Rains But It Pours" übernimmt nunmehr Zoot Money den Gesangs- sowie den E-Piano-Part, was allein schon für Abwechslung sorgt. Obwohl bei der Darstellung des Line-ups lediglich Maggie Bell und Miller Anderson als Sänger angegeben sind, ergibt sich aus der Aufzählung der einzelnen Songs, dass zumindest auch noch Colin Hodgkinson (beim "Walking Blues") Lead-Gesang übernimmt. Ob - wie andernorts geschrieben - auch Pete York (gelegentlich) singt, dafür habe ich keinen weiteren Beleg gefunden.
Warum der nächste Song "Fog On The Highway" heißt, erschließt sich mir nicht, denn außer in der Einleitungszeile wird das Wetter nicht weiter beschrieben. Vielmehr dreht sich der schöne Slow-Blues - komponiert und gesungen von Miller Anderson - um das Leben der Musiker on the road. Passender - weil auch mehrfach wiederholt - wäre m.E. der Titel "That's Why We Sing The Blues". Ganz starke Nummer (und die längste der CD), bei der auch wieder kräftig die 'Schweineorgel' bedient wird. Als dann Miller Anderson auch noch die Harp auspackt und die Solo-Gitarre aufheulen lässt, ist das Blues-Feeling perfekt.
Zu "Lazy" muss ich wirklich nichts sagen: Dass Jon Lord dieses Stück 'kann', versteht sich von selbst. Gleiches gilt beim nächsten Track, "Walking Blues", in Bezug auf Colin Hodgkinson, gehört dieser doch zu seinem Standard-Repertoire über viele Jahre hinweg. Hier tritt zum ersten Mal sein prägnantes Bass-Spiel in den Vordergrund; zudem übernimmt er selbstverständlich auch die Lead Vocals. Sein Bass leitet auch "Way Down In The Hole" ein, das Maggie Bell - ich muss mich korrigieren - nunmehr durchaus kraftvoll interpretiert.
Gut, dass Miller Anderson seiner Komposition "Houston" den Nachtitel "(Scotland)" beigefügt hat als Hinweis darauf, dass er seinen kleinen Geburtsort an der dortigen Westküste besingt. Einer der flotteren Titel des Albums. Als wirklich funkiger Soul-Song wird anschließend "Respect Yourself" - vor genau 40 Jahren von den Staple Singers herausgebracht - dargeboten. Oh wie langweilig wirkt dagegen die Interpretation von Joe Cocker auf seinem gleichnamigen Album! Der zwischen Zoot Money und Maggie Bell mehrfach wechselnde Gesang gibt dem Stück zusätzlich 'Schmiss'!
Was für ein Stimmungsumschwung zum folgenden "When A Blind Man Cries"! Die heulende Gitarre und der kräftige Gesang von Miller Anderson bilden einen wunderbaren Kontrast zur herrlich jaulenden 'Schweineorgel'. Noch so ein Gänsehaut-Stück auf dieser Scheibe!
Und wieder wechseln Tempo und Stimmung zum letzten Track der CD, "I'm A Man". Schade nur, dass Pete York selbst hier nicht wirklich Gelegenheit erhält, sein Können solistisch zu präsentieren. Zwar enthält 'sein' Song ein etwa eineinhalb-minütiges Drum-Solo; tatsächlich ist dieses aber in Rottweil mindestens doppelt so lang gewesen, wie der zweite Teil einer Videoaufnahme auf Youtube belegt.
Hier wird ein Mangel der vorliegenden CD eklatant deutlich. Das Konzert ist für die Pressung mehrfach beschnitten worden; ob die Original-Reihenfolge beibehalten wurde, ist nicht erkennbar. Die einzelnen Tracks stehen vielmehr aufgrund von Aus- und Einblendungen jeweils für sich alleine, sodass das richtige Konzert-Feeling nicht immer rüberkommt. Selbst wenn man 'Leerlauf' vermeiden will, kann man heutzutage die Übergänge problemlos so gestalten, dass es 'aus einem Guss' erscheint.
Ansonsten: Eine klasse Scheibe genialer Musiker, deren Freude am Spiel nicht nur beim Betrachten der Videos deutlich wird. Technisch einwandfrei, kaum Störgeräusche vernehmbar, wie sie bei Live-Aufnahmen nicht immer auszuschließen sind. Jetzt bedauere ich umso mehr die Absage der Tournee, möge sie wirklich alsbald nachgeholt werden (können)! Die vorliegende CD ist kein Ersatz, sondern vielmehr nur ein wirklich kleines Trösterchen, das von mir aber einen uneingeschränkten Tipp erhält.
Line-up:
Jon Lord (Hammond organ)
Miller Anderson (guitar, vocals)
Maggie Bell (vocals)
Colin Hodgkinson (bass)
Zoot Money (keyboards)
Pete York (drums)
Tracklist |
01:Back At The Chicken Shack (6:15)
02:Houchie Couchie Man (6:29)
03:Wishing Well (5:39)
04:It Never Rains But It Pours (4:14)
05:Fog On The Highway (7:35)
06:Lazy (4:51)
07:Walkin' Blues (5:48)
08:Way Down In The Hole (3:23)
09:Houston (Scotland) (4:31)
10:Respect Yourself (6:34)
11:When A Blind Man Cries (5:17)
12:I'm A Man (5:10)
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Externe Links:
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