Es gibt Momente, in denen ein Rezensenten-Herz schneller schlägt als gewöhnlich, in denen eine CD nicht schnell genug in den Player kommen kann.
Das passiert, wenn einer von Schreibers Lieblingskünstlern ins Haus geflattert kommt. Und wenn es sich dabei gar um (in der Form) bisher Unveröffentliches handelt, ist es soweit: ein Baldrian-Kirsch Cocktail muss das Herz beruhigen und dann kann es losgehen.
Eines der Sideprojekte des Grateful Dead Masterminds Jerry Garcia hieß "Legion Of Mary" und hielt ungefähr 7 Monate bis Juli 1975. In dieser kurzen Zeit absolvierten Jerry (v,g), Merl Saunders (k,v), John Kahn (b), Ron Tutt (d) (ja, der trommelte mal bei Elvis) und Martin Fierro (sax, flute) mehr als 60 Shows und davon gibt es auf dieser Doppel-CD erstmals 14 Stücke zu hören.
Saunders und Jerry spielten schon länger immer wieder mal zusammen, bevor sie der Band den Namen Legion Of Mary gaben.
Wenn man die Zeit vor der offiziellen Namensgebung mit dazu nimmt, steigert sich die Anzahl der Shows gewaltig, außerdem müssen als Drummer vor Tutt auch Bill Kreutzmann und Paul Humphrey erwähnt werden.
Legion Of Mary war der Vorläufer der Jerry Garcia Band und schon das Line-Up macht klar, dass es in die jazzige Richtung geht.
Nicht jedoch zu Beginn, denn die Dylan-Nummer "Tough Mama" hat diesen unerreichten, typischen Garcia-Gitarren Touch. Dieser aus dem Handgelenk kommende Groove, gespielt mit einer Leichtigkeit, die ihresgleichen sucht. Manche sagen Jerry ja gerne nach, dass er schlecht Gitarre spielte. In der Regel sind das auch die gleichen Menschen, die Keith Richards mangelhaftes Gitarrenspiel vorhalten. Nun, er ist sicher kein Malmsteen, aber im Gegensatz zu Keith hat dieser auch kein "Brown Sugar" Riff erfunden. Und ob er es mit der gleichen Rotzigkeit hinbekommen würde, müßte noch bewiesen werden.
Genau so verhält es sich mit Jerry - entweder man erkennt den Groove seines Spiels und liebt ihn, oder man man hört weiterhin 'glatt Gebügeltes'. Vielleicht sollte man sich aber mal den Titel einer Clinton Scheibe zum Programm machen:
"Free your mind and your ass will follow!"
Dazu auch ein Zitat von Martin Fierro, den hervorragendenen Liner Notes von Blair Jackson entnommen:
"Jerry was like Ray Charles, man. He could play any style, and anything he touched had soul. He became so fluid in different styles that he could just sail through anything. I never liked labeling music, but after a while I really felt that whatever he played became Jerry's music."
Die Tracks der Doppel-CD bewegen sich zwischen acht und vierzehn Minuten; jede Nummer gipfelt in wunderbaren Jams, was alleine anhand der Tracklist nicht unbedingt von vornherein zu erwarten wäre.
Jerry's Liebe zu 'Motown' Klassikern ist ja bekannt und so finden sich unter den Coverversionen die Holland/Dozier/Holland Nummer "How Sweet It Is To Be Loved By You", die er auch später mit der Jerry Garcia Band öfters spielte.
Von Smokey Robinson gibt es "I Second That Emotion" mit wunderschönen Saiten/Tasten-Duetten. Hier wie auch an anderen Stellen der CDs stören die ab und an auftauchenenden Rückkopplungen nicht im Geringsten und tun den von Joe Gastwirt liebevoll remasterten Aufnahmen keinen qualitaiven Abbruch. Überhaupt, wenn man das Alter der Aufnahmen bedenkt: die HDCD Scheiben klingen hervorragend.
Auch die Drifters Nummer "Money Honey" groovt 'Jerry-like' über zehn Minuten und läßt die Orginalversion allenfalls schwach erahnen. "I'll Take A Melody" (Allen Toussaint), mir bekannt von der 76'er "Reflections" strotzt nur so vor Soul und Vibes.
Jam'n'Roll yeah, gibt es in Form der Chuck Berry Nummer "Let It Rock". Zeitlupen-Rock'n'Roll - nur geil und den guten Chuck fast psychedelisch zu hören ist ein musikalisches Erlebnis.
Norman Blakes "Last Train From Poor Valley" scheint, als sei es speziell für Jerry geschrieben. Ich kenne das Original nicht und so wirkt es auf mich in der Tat, als sei es Garcia selbst aus der Feder entsprungen. Taper kennen die Nummer auch unter dem Tracknamen "Last Train From Corvallis".
Gigantisch auch "Mystery Train", bekannt durch die JGB und Kingfish. Wer noch älter als der Rezensent ist, wird den Track auch von Mr. Presley kennen. Merl Saunders und Martin Fierro jammen um die Wette.
"Neighbor, Neighbor" swingt und lädt zum permanenten Fingerschnippen ein. Und wieder diese tollen B3 Klänge, die eingestreuten Saxofon Töne, begleitet von Jerry's zeitlosem Spiel.
Swinging Jam auch "That's The Touch I Like" und an der Hammond kann ich mich einfach nicht satt hören.
Für mich heißt die jazzigste Nummer "Since I Lost My Baby" - 12 Minuten und instrumental und irgendwie klingt das Saxofon nach Colosseum und auch Jerry verläßt seinen easy Stil und jazzt durch die Minuten, als hätte er nie was anderes gemacht. Wem das zu viel Jazz war, darf sich bei der Hank Ballard Nummer "Tore Up Over You" über Blues'n'Jam freuen und zwar ebenfalls 12 Minuten lang. Herrlich diese Interpretation!
Wir nähern uns einem von vielen Highlights dieses Werkes: "The Night They Drove Old Dixie Down" ( Robbie Robertson). Ganz dicht und intensiv wird dieser Civil War - Song zelebriert. Hier paßt einfach alles und wenn Jerry mit Triolen spielt, oder seine Soli zum Besten gibt, die Orgel schön wummert, ja dann stellt sich automatisch die berühmte Gänsehaut ein.
Und dann kommt was ganz Besonderes: "Talkin' 'Bout You", die alte Ray Charles Nummer. Nicht das sie groovt und swingt wie Hausfrau's Wischmob am Freitag Vormittag. Nein, dieser Jam driftet 'plötzlich' in "Turn On Your Lovelight". Oh Mann, was für ne furiose Nummer.
'Rhino' hat zum 10ten Todestag von Jerry Garcia eine ganz leckere Reihe aufgelegt und man darf gespannt sein, was nach der ersten offiziellen Legion Of Mary Scheibe als nächstes kommt.
Historie
Great American Music Hall, San Francisco,CA, 27. Feb. 1975 (Let It Rock, Neighbor Neighbor, Money Honey, Last Train From Poor Valley)
Great American Music Hall, San Francisco,CA, 15. Mai 1975 (I'll Take A Melody)
Great American Music Hall, San Francisco,CA, 4. Juli 1975 (Tough Mama)
Great American Music Hall, San Francisco,CA, 5. Juli 1975 (Mystery Train)
Keystone, Berkeley,CA, 1. März 1975 (That's A Touch I Like, I Second That Emotion, The Night They Drove Old Dixie Down)
Keystone, Berkeley,CA, 22. Mai 1975 (Since I Lost My Baby, Tore Up Over You)
Keystone, Berkeley,CA, 05. Juli 1975 (Talkin' 'Bout You)
Paramount Theatre, Portland,OR, 14. Dez. 1974 (How Sweet It Is To Be Loved By You)
Nun noch ein paar Worte zu den Musikern: eine Aufzählung, in welchen Bands die Jungs schon spielten, würde den Rahmen dieser CD Besprechung sprengen. Darum gibt es unten im Linkblock Verweise zu den Diskografien von Merl Saunders, Martin Fierro, John Kahn (gestorben 1996) und Jerry Garcia.
Ron Tutt begleitete neben Elvis Presley u.a. auch Neil Diamond, Barbra Streisand, Billy Joel, Glen Campbell, Johnny Cash, Kenny Rogers, Elvis Costello, Stevie Nicks......, um nur mal Einige zu nennen.
Ich gebe eine dick unterstrichene Kaufempfehlung für diese Compilation! Volle Uhrenzahl.
Spielzeit: 158:19, Medium: Do-CD, Rhino, 2005
Disc 1
1:Tough Mama 2:That's A Touch I Like 3:I Second That Emotion 4:Since I Lost My baby (Instrumental Jam) 5:Tore Up Over You 6:The Night They Drove Old Dixie Down 7:Talkin' 'Bout You
Disc 2
1:I'll Take A Melodiy 2:Let It Rock 3:Neighbor, Neighbor 4:Money Honey 5:Last Train From Poor Valley 6:Mystery Train 7:How Sweet It Is To Be Loved By You
Ulli Heiser, 18.10.2005
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