Nachdem wir die neue CD Letzte Worte besprochen hatten und die Scheibe immer öfter ihre Runden im Player dreht, war es klar: mit den Maskierten müssen wir auch mal reden. Daniel Wenke aka Dawe rief uns dann auch an und saß uns unmaskiert am Telefon gegenüber. Das nehmen wir zumindest an, denn er sprach sehr klar *g*
RockTimes:
Hallo Daniel, erst mal ein Riesenkompliment an euch, denn wie du vielleicht gelesen hast, hat eure CD "Letzte Worte" sogar einen Jamliebhaber begeistert.
Dawe: Ja, das habe ich gelesen und es hat mich gefreut.
RockTimes:
Ich muss gestehen, ich war erst mal überrascht, als die CD ins Haus kam, denn der Name Leichenwetter ließ mich Schlimmes befürchten.
Beim zweiten Lesen des Bandnames musste ich aber daran denken, dass sich der Name in Englisch ganz normal anhört. Wenn ich da an den Namen meiner Lieblingsband denke und mir den in deutsch vorstelle....
Mich würde interessieren, wie ihr auf Leichenwetter gekommen seid, bzw. wieso ihr euch so nennt?
Dawe: Eigentlich muss ich gestehen, es gibt keinen tieferen Sinn. Wenn man den Namen zum ersten Mal hört - böse. Die Kombination Leichen und Wetter macht im Grunde ja keinen Sinn und ist auch nicht böse oder so. Der Name war irgendwann da und wir haben uns entschieden, ihn zu behalten, da er einfach hängen bleibt.
RockTimes:
Deutscher Bandname und dann singt ihr auch deutsch - sicher ist es so, dass Texte in Englisch (warum auch immer) oftmals besser ankommen als deutsche Texte, jedenfalls in der Rockmusik. Ich finde die Idee, Texte grosser Lyriker zu vertonen, genial. Wie seid ihr darauf gekommen, Goethe, Hesse, Annette von Droste-Hülshoff mit brachialen Metalriffs zu mischen?
Dawe: Das Ganze reicht bis in die Schulzeit zurück. Als ich die Gedichte damals hörte... - manche Texte sind wirklich sehr gut. In der Schule verliert man teilweise die Lust an Poesie, also hab ich überlegt, Gedichte zu vertonen.
Damals hab ich alleine angefangen, die auf einem Recorder aufzunehmen. Als die anderen dazustießen, sind wir einfach bei dem Konzept geblieben.
RockTimes:
Es macht ja auch Sinn und bringt einem großen Publikum die alten Lyriker näher, gerade den jungen Leuten, die in der Schule sitzen und warten, bis die Stunde endlich vorbei ist. Auf diese Art und Weise bekommt man doch eine ganz andere Beziehung.
Dawe: Genau! Ein Lehrer sagt Dir, wie Du das zu verstehen hast und nimmt einem den Spaß. Das soll nicht unser Ansatz sein, wir wollen die Gedichte vorstellen. Was die Zuhörer damit machen ist ihre Sache. Finden sie die Texte nicht gut, gefällt ihnen vielleicht die Musik und sie hören trotzdem zu.
RockTimes:
Also ist es durchaus möglich, dass Herr Reich-Ranicki mal eine CD von Euch durch die Mangel nehmen wird.
Dawe: lacht....
RockTimes:
Die Texte sind ja schon vorhanden - wird die Musik dazu passend arrangiert, oder steht die Musik im Großen und Ganzen und dann erst wird der dazu passende Text ausgewählt?
Dawe: Das läuft parallel: wenn wir eine musikalische Idee haben, schauen wir, welcher Text passen könnte - auch atmosphärisch. Passt es, wird der Rest musikalisch umbaut.
RockTimes:
Gibt es auch eigene Texte in Eurem Repertoire?
Dawe: Nein
RockTimes:
Soll es die jemals geben?
Dawe: Eigentlich wollen wir so weiter machen. Noch gibt es genug Material. Sollte das mal ausgehen, gibt es bestimmt genügend englische Gedichte.
RockTimes:
Nun, ich denke, der Fundus an deutscher Lyrik ist so riesig, da lagern sicher noch jede Menge Perlen.
Dawe: Genau, so schnell werden wir wohl keine Probleme bekommen. (lacht)
RockTimes:
Du bist auf dem Wege, Lehrer zu werden. Ich nehme mal an Deutschlehrer?
Dawe: Ja, natürlich.
RockTimes:
Mann, wenn ich an meine Lehrer denke.... Ich kann mir vorstellen, dass deine Schüler in spe dich eher als eine Art Vorbild sehen: der Lehrer, der diese brettharten Riffs spielen kann. Wirst du ein strenger Lehrer sein?
Dawe: Kann ich nicht sagen, hoffe aber nicht, will eher ausgewogen sein. Meine Lieblingslehrer waren die, die auch mal ein Späßchen mitgemacht haben, aber die halt die Schüler nie zu weit von der Leine ließen, also einen Schlusspunkt setzen konnten. Ein gesundes Mittelmaß ist immer gut.
RockTimes:
Ihr tretet maskiert auf und begründet dies, dass die Konzertbesucher nicht abgelenkt werden, sondern mehr auf die Texte achten. Mal davon abgesehen, dass ich persönlich auf einem Konzert gerne die Mimik der Musiker sehe, kann es nicht eher sein, dass die Masken dazu animieren, sich gerade erst recht darauf zu konzentrieren?
Dawe: Kann ich persönlich nicht sagen. Das müsstest Du als Publikum entscheiden.
RockTimes:
Ich frage, da viele Bands gerade im Metal-Bereich maskiert auftreten, ohne dass da ein besonderer Grund dahinter zu stecken scheint.
Dawe: Bei uns jedenfalls gibt es keinen tieferen Grund. Früher hatten wir mal damit angefangen, um die Gedichte für sich sprechen zu lassen. Der ursprüngliche Gedanke dabei war, dass die einzelnen Persönlichkeiten der Musiker in den Hintergrund treten. Eigentlich ist das nun eher nebensächlich geworden.
RockTimes:
Klar, hat man einmal damit angefangen, muss man es beibehalten, weil die Leute es so wollen.
Dawe: Genau, außerdem, wir sind doch alle so hässlich.
(Alle lachen laut)
RockTimes:
Leidiges Thema nun: Udo Lindenberg z.B. darf deutsch singen. Macht das aber eine Band der härteren Gangart, insbesondere aus dem Metal-Genre, ist es fast schon eine Art Automatismus, in eine gewisse ideologische Ecke gestellt zu werden. In Eurem Fall zeugen solche Gedanken eigentlich schon von Dummheit, denn ihr habt u.a. Texte von Else Lasker-Schüler, einer Jüdin - und Albrecht Haushofer war im Widerstand.
Hast du eine Idee, wieso Metal in Verbindung mit deutschen Texten oft unfair behandelt wird?
Dawe: Ich weiß es auch nicht so genau. Es gab eine Zeit, da war es richtig verpönt, deutsch zu singen. Rammstein haben es ja erfolgreich populär gemacht, aber zuerst wurde ihnen auch erst einmal eine falsche Gesinnung vorgehalten.
RockTimes:
Rockmusik muss englisch sein?
Dawe: Genau. Sobald man deutsch singt, wird einem Deutschtümelei vorgeworfen.
RockTimes:
Vor allen Dingen - immer dann, wenn es um harte Musik geht.
Dawe: Richtig. Den Toten Hosen wirft das ja auch niemand vor.
RockTimes:
Habt ihr schon mal außerhalb Deutschlands gespielt, ich meine Iserlohn ist ja von Belgien nicht so weit weg. Falls ja, wie wird von ausländischen Fans Rockmusik mit deutschen Texten aufgenommen?.
Dawe: In Luxemburg haben wir schon mal gespielt. Und sind da auf einer Veranstaltung aufgetreten, wo das Publikum überwiegend aus Gruftis bestand. Viele waren auch aus Frankreich, aber wir kamen recht gut an.
In einem rein nichtdeutschprachigem Raum sind wir noch nicht aufgetreten, wo niemand die Texte versteht.
Da kann es natürlich passieren, dass wir vielleicht nicht so gut ankommen. Bisher haben wir eben damit noch keine Erfahrungen machen können.
RockTimes:
Rammstein spielen ja auch im Ausland, in Amerika z.B. sind sie sehr erfolgreich.
Dawe: Ja, sie kommen da wirklich sehr gut an, obwohl sie keiner versteht. Vielleicht gerade deshalb? (lacht)
RockTimes:
Nun, bei englischen Texten ist es manchmal sogar besser, dass sie keiner versteht.
Dawe: Das ist ja hier in Deutschland auch so: viele Band singen englisch, aber ob jeder die Texte versteht, sei mal dahingestellt.
RockTimes:
Mancher wäre sicherlich geschockt, wenn er verstehen würde, was die da für banales Zeug singen. Da wird über deutsche Schlagertexte gelästert, nur sind viele englische Texte oftmals auch nicht besser.
Dawe: Ganz schlimm ist es, wenn man manche Leute die Texte mitsingen hört, die Lyrics zufällig selber kennt und mitbekommt, was für Wortfetzen eigentlich aneinander gereiht werden.
RockTimes:
Welche Musik hörst du privat? Oder sagen wir mal so, gibt es Musik, die du magst und die sich stilistisch außerhalb von Leichenwetter bewegt? Oder bist Du nur auf Metal fixiert?
Dawe: Im Grunde genommen höre ich querbeet alles, von Rockmusik angefangen, die Ärzte, Metal, Pop....
RockTimes:
Magst Du Rory Gallagher?
Dawe: Ihn hab ich im WDR-Rockpalast gesehen, kenne ihn leider nicht näher, aber er war schon sehr beeindruckend.
RockTimes:
Apropos Musikstil oder die leidige Schublade: Man liest von Hard-Pop, Poetic Gothic Metal. Wie definiert ihr selbst Eure musikalische Richtung?
Dawe: Sehr viele Einflüsse sind in unserer Musik. Aber man kann uns in keine Schublade stecken. Die Bezeichnung "Poetic Gothic Metal" kommt nicht von uns. Grund sind sicher die Texte.
RockTimes:
Es muss immer eine neue Schublade erfunden werden, zumindest in Deutschland.
Dawe: Ja - bei manchen Bands ist es wirklich so, sie machen tolle Musik, aber wo soll man sie reinstecken?
Wir z.B. haben fette Gitarren, bisschen Rammstein, Gothic - also einen Stilmix.
Einesteils ist es vielleicht auch gut so, da wir damit auch mehr Leute ansprechen, andererseits kann es natürlich auch sein, dass wir manche abschrecken: es ist keine neue deutsche Härte. Hat alles Vor- und Nachteile.
Aber mit diesem Hintergrund wollen wir unsere Musik ja auch nicht machen. Sie kommt einfach aus dem Bauch.
RockTimes:
Wir wollten auf unserer Seite auch keine Stile für die einzelnen Reviews vorgeben, aber das hielt nicht lange an, denn wir erhielten sofort Zuschriften mit der Bitte, den Stil doch mit anzugeben, damit gezielt das gelesen werden kann, was interessiert. Die Leute wollen einfach die Schublade.
So Daniel, ich gebe dir jetzt mal ein paar Worte vor und du müsstest sagen, was dir spontan dazu einfällt.
Deine Lieblingsgitarre:
Dawe: Telecaster Bauform, obwohl ich die früher immer gehaßt habe.
RockTimes:
Pisa
Dawe: Dumme Schüler.
RockTimes:
Neue deutsche Rechtschreibung
Dawe: Total überflüssig
RockTimes:
Hartz IV
Dawe: Furchtbar.
RockTimes:
Radioquote für deutsche Musik?
Dawe: ähm - gibt es das wirklich?
(wir mussten ihn erst mal aufklären, dass es das tatsächlich gibt)
Dawe: Ich denke, es wäre besser, wenn sich Quote über Qualität definiert.
RockTimes:
Größter Wunsch zum Jahreswechsel?
Dawe: Gesund bleiben und erfolgreich weiterstudieren.
RockTimes:
Wir danken für das Interview, wünschen dir und der Band ein friedliches neues Jahr und anständige Verkaufszahlen für eure neue CD.
Anmerkung:
Unserer Bitte nach einem "unmaskierten" Bandbild will Daniel nachkommen; auch gegen den zu erwartenden Widerstand der Band. Sollte er sich durchsetzen, kommt das Bild an den Anfang des Interviews
Leichenwetter - Interview
Ulli Heiser, 31.12.2004
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