Little Atlas / Automatic Day
Automatic Day Spielzeit: 73:25
Medium: CD
Label: 10t Records, 2013
Stil: Prog Rock

Review vom 08.08.2013


Boris Theobald
Little Atlas treiben den Hörer ständig vor sich her.
Dreiundsiebzigeinhalb Minuten lang. Die vier Amis machen Progressive Rock, vielleicht Neo Prog. Mit Retro-Elementen im Klang-Repertoire. Aber sie halten sich verdammt nochmal nicht an die Regeln! Das Hirn des Hörers kommt kaum einmal dazu, es sich in seiner Vorratsdose zwischen den Ohren bequem zu machen. Beinahe minütlich werden die Sinne von neuen Strömungen stimuliert. Schwerkraft, Temperatur und Farbe scheinen in einem ständigen Fluss. Was Little Atlas auf ihrem vierten Studioalbum "Automatic Day" sind und nicht sind, will sich kaum definieren lassen.
Mal strickt die Band aus Klargitarren weitmaschige Netze - melodisch große Muster mit kleinen Dissonanzen, die eine klirrende emotionale Kälte ausstrahlen. "Oort" und "Emily True" könnten verwandt sein mit Psychotic Waltz. Oder mit Fates Warning, vielleicht auf "Perfect Symmetry". Es glüht vor Anspannung! Wenn nicht Retro-Synthesizer auftauchen würden ("Oort"), oder die brachiale Drangkraft sich wie ver-/ entzaubert in ein regungsloses Schwelgen auflösen würde ("Emily True").
An den psychedelischen Vibe von "Apathy" hat man sich schnell gewöhnt. Den ätherischen Satzgesang muss man bewundern. Wundern wird man sich inzwischen kaum noch, wenn ein funky-souliges Fusion-Rock-Riff das sinnlich schwebende Luftschiff zurück auf die Erde holt. Und ebenso unvermittelt, wie er entstanden ist, verliert sich auch schon wieder der Bodenkontakt. Kaum sind Little Atlas irgendwo angekommen, dann bereiten sie auch schon wieder die Weiterreise vor. Aber man verliert sie nicht. Denn man erwartet schnell das Unerwartete. So zerrt die Band den Hörer nicht mit, sondern treibt ihn vor sich her.
"Illusion Of Control" holt den Hörer mit stampfendem Düster-Prog à la Arena wieder ein. Und lässt ihn dann geschickt wieder ziehen, Stück für Stück, indem der atmosphärische Energieausstoß komplett ins schwerelose Gegenteil verkehrt wird. "Twin Of Ares" liefert einen äußerst temporeichen, aufgeregten melodischen Zickzack-Groove. Der ist so 'frech' und agil, dass er an Saga erinnert - aber er wird so heavy und dramatisch, dass da fast Dream Theater am Werk sein könnten. "Darvocet Eyes" startet alt-Gabrielesk gedankenversunken und wird zusehends spät-floydig. Ein mysteriöses Weltmusik-Piano zieht irgendwo hoch in der Luft seine Kreise; unten prangt ein kraftvoll geradeaus rockender Refrain.
Der Titeltrack "Automatic Day" ist einer der kompaktesten und doch ein (spätes) Highlight. Er fesselt mit einem betörenden, hypnotischen Drive. Düster, durchdringend. Dauerkribbeln. Die Rhythmik strahlt eine unheilvolle, tektonische Dauerspannung aus und kann sich nie auf eine gerade oder eine ungerade Zählzeit einpendeln. Es ist so simpel, aber wirkt so ultimativ 'unrund', wenn man sich partout nicht entscheiden kann, ob man nun Zweier- und Dreierzählzeiten voneinander getrennt oder doch die Fünfer im Paket wahrnehmen soll.
Ein beeindruckender Faktor ist dabei Frontmann Steve Katsikas, dessen Gesang extravagante Wege geht, zum Teil völlig unerwartbar und geschickt die melodischen und rhythmischen Spuren der Instrumentalisten verlässt, um eigene Akzente zu setzen. Das gibt es selten; das zeugt von großem künstlerischem Einfühlungsvermögen und von Mut. Das ist Kopfkino deluxe. Ab jetzt muss und darf ich Little Atlas zum Kreise derer zählen, die das können.
So klingt und wirkt also "Automatic Day". Little Atlas machen Genre-Grenzen angenehm überflüssig. "Automatic Day" ist etwas für Zuhörer, nicht einfach nur für Hörer. Für Andershörer, die bereits sind, die Kontrolle abzugeben und zu akzeptieren, dass Musik mehr kann, als entweder Erwartungen zu erfüllen oder nicht zu gefallen. Die die Fähigkeit besitzen, sich von der Musik treiben zu lassen.
War das nun alles zu kompliziert? Nun, Little Atlas machen es einem auch nicht einfach. Und ohnehin gilt ja: Über Musik zu schreiben, ist wie...
Line-up:
Steve Katsikas (lead vocals, keyboards)
Roy Strattman (guitars, vocals, keyboards)
Mark Whobrey (drums, additional backing vocals)
Rik Bigai (bass guitar)
Tracklist
01:Oort (8:53)
02:Apathy (8:32)
03:Twin Of Ares (7:52)
04:Emily True (7:03)
05:At The End Of The Day (8:42)
06:Illusion Of Control (9:58)
07:Darvocet Eyes (8:38)
08:We All Remember (4:17)
09:Automatic Day (5:57)
10:Esscape Velocity (3:10)
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