Little Feat / Live In Holland 1976
Live In Holland 1976 Spielzeit: 59:15 (DVD), 63:44 (CD)
Medium: CD/DVD
DVD-Technik:
Format: DVD 9
Bild: NTSC, 4:3
Sound: DTS Surround, Dolby Surround 5.1
Region: 0
Label: Eagle Vision, 2014 (1976)
Stil: Jam Rock


Review vom 26.04.2014


Steve Braun
Wenn Little Feat-Aufnahmen mit Lowell George auftauchen, herrscht Festtagsstimmung bei der Die Hard-Fraktion ihrer treuen Anhängerschaft. Kein Wunder: Er war und bleibt schließlich der einzig wahre Master of rhythm ... a rock and roll king
Eagle Vision bannte nun den Gig des 'klassischen' Line-up beim niederländischen PinkPop-Festival vom 7. Juni 1976 erstmals, als CD/DVD-Package, auf Tonträger. Für Feat-Kenner sind diese Dokumente keine völlige Neuheit; sie kursieren bereits seit längerem bei YouTube. Ja, genau diese Filmschnipsel mit der - sagen wir mal augenzwinkernd - 'unorthodoxen' Kameraführung und dem optimierungsbedürftigen Sound. Und um mal kurz im Ironiemodus zu verharren: Die Macher von "Live In Holland 1976" haben bei dem Versuch, diese Aufnahmen so 'authentisch' wie möglich zu halten, ganze Arbeit geleistet...
Aber Schluss mit dem Sarkasmus! Es geht hier schließlich um den 'Stein der Weisen', die 'heilige Kuh' der Siebziger schlechthin: die göttlichen 'kleinen Heldentaten' Little Feats. In diesem Fall spielen Tonqualität und Kameraführung keine Rolle, denn es handelt sich um historisch höchst bedeutsame Dokumente des künstlerischen Schaffens einer der eigenwilligsten und -sinnigsten Bands der gesamten Rockhistorie...
Trotzdem werden 'profane' Käuferschichten um "Live In Holland 1976" wahrscheinlich einen Bogen machen. Intime Kenner Little Feats werden sich dagegen wohl kaum an den - zumindest zu Beginn - durchwachsen abgemischten Tonaufnahmen stören. Ausgerechnet in der live eher selten dargebotenen Perle "One Love Stand" ist der Gesang bestenfalls zu erahnen. Das bessert sich allerdings im Verlauf der CD; allerspätestens mit dem (wie immer) genialen Triple "Cold, Cold, Cold"/
"Dixie Chicken"/"Tripe Face Boogie" sind endlich auch die Toningenieure in Hochform. Warum man nicht ein klein wenig remastert hat, obwohl die Mastertapes zur Bearbeitung vorlagen, bleibt ebenso ein Geheimnis der dafür Verantwortlichen, wie das Fehlen des klanglich guten, hochenergetischen "Oh Atlanta" auf der DVD. Okay, vielleicht hatten sich hier die Kameraleute auf der Suche nach neuen 'originellen' (haha!!) Einstellungen verlaufen. Womit wir bei dem Malus der DVD wären: Bewegte Bilder bekommt man zumeist nur vom linken bzw. rechten Bühnenrand geboten. Völlig daneben sind die Aufnahmen aus dem Pit. Wegen des ungünstigen Aufnahmewinkels (die Bühne war ziemlich hoch) ist hier regelmäßig ein eiserner Geländerlauf mittig im Bild, zumeist genau über den Gesichtern der Frontleute.
Dies alles sollte aber - wie schon gesagt - höchstens für die 'profane' Käuferschaft ein Problem darstellen. Für die Feat-Fangemeinde ist das kein Kaufhindernis - im Gegenteil: Unsereins liebt geradezu dieses 'Unperfekte' - einer der Gründe, warum Feat-Bootlegs wie "Aurora Backseat", "Electrif Lycanthrope" und der (als American Cutie erstmals offiziell aufgelegte) "Late Night Truck Stop" noch immer heißgesuchte und -begehrte Sammlerobjekte darstellen. Und sie werden garantiert nicht billiger...
Ein Jahr und eine Entziehungskur liegen zwischen dem PinkPop- und dem hierzulande legendären Rockpalast-Auftritt. Augenscheinlich festzumachen ist dies (mal wieder) an Frontmann Lowell George, wie immer einem der Gradmesser für die Form Little Feats. In der Essener Grugahalle war der charismatische Sänger auch körperlich in Topform - beim PinkPop dagegen wirkt er müde und bleich. Nichtsdestotrotz präsentiert er sich bei den vorliegenden Aufnahmen wie immer hochkonzentriert-professionell und vor allem in bester Spielfreude - nichts lässt auf den Konsum von Stimulantia schließen. Im Gegenteil: Lowell beweist einmal mehr, dass er der beste Slide-Gitarrist war, der jemals eine Gitarre 'geküsst' hat. Er spielt - weit jenseits des Giffbretts - Töne, die es de facto gar nicht geben dürfte - der schrille Wahnsinn!! Auch stimmlich liefert der Rock'n'Roll Doctor erneut eine Höchstleistung ab, stellt mit seiner souligen Stimme alle gesanglichen Versuche Barreres und Paynes weit in den Schatten. "Live In Holland 1976" führt wieder mal schmerzlich vor Augen, was der Welt für ein musikalisches Genie durch den viel zu frühen Tod entrissen wurde....
Wie bei eigentlich allen Live-Aufnahmen Little Feats muss auch "Live In Holland 1976" wachsen. Mit jedem Hördurchgang gewinnt diese Kollektion an Tiefe und Gehalt. Little Feat hatten bekanntlich die außergewöhnliche Fähigkeit, ihren Songs auf der Bühne beseeltes Leben einzuhauchen. Somit ist es nahezu unmöglich, zwei identische Live-Takes zu finden. Auch auf den Brettern des PinkPop wird gejammt und improvisiert, bis die Schwarte kracht. Nach dem zehnten Durchlauf der CD ist man festzustellen geneigt, niemals bessere Versionen der (altbekannten) Songs gehört zu haben. Ein Trugschluss, der zur Faszination, die diese formidable Live-Band ausübt, beiträgt, denn dieses Phänomen erlebt man praktisch mit jeder neu entdeckten Live-Aufnahme Little Feats. Zum Einnorden empfiehlt sich in so einem Fall immer wieder die Waiting For Columbus, natürlich in der klanglich einmaligen DeLuxe-Version.
Für den, der für das Abspielen von DVDs seinen TV nicht schon längst an eine hochwertige Anlage angeschlossen haben sollte, empfiehlt sich eindeutig die CD von "Live In Holland 1976". Über die Fernsehlautsprecher kommt die Komplexität definitiv nicht zum Tragen - hier wären Enttäuschungen vorprogrammiert. Sobald das Suchtpotenzial der Songs zum Tragen kommt, kann dann auch in diesem Fall die DVD mithalten...
Zum Zeitpunkt dieser Aufnahmen hatte sich der Spaltpilz bereits bei Little Feat eingenistet. Sukzessive, kaum merklich hatten Bill Payne und Paul Barrere das jazzrockigere Heft des Handelns übernommen, was drei Jahre später zum Ausstieg Lowell Georges führen sollte. Wohin seine Reise gegangen wäre, nämlich zu Feats Wurzeln und souligeren Gefilden, kann man in seinem Soloalbum "Thanks I'll Eat It Here" - kurz vor seinem Tod erschienen - eindrucksvoll nachhören.
Doch von den aufkeimenden Spannungen ist bei "Live In Holland 1976" ebenso wenig zu erahnen wie beim Rockpalast-Gig, ein Jahr später. Die Band aus sechs hervorragenden Einzelmusikern agiert wie eine hyperaktiv wabernde Einheit. Mit unglaublicher Spielfreude wird hier improvisiert - es braucht nur einer ein Thema, eine Idee einwerfen, sofort wird sie von den anderen aufgenommen und weiterentwickelt. Nach dem etwas spröden Beginn mit dem jazzrockigen "Skin It Back" bricht DER Live-Klassiker schlechthin, "Fat Man In A Bathtub", das Eis wie die spätabendliche Sonne, gegen die Little Feat kurz vor den Headlinern antreten musste. Spätestens der "Rock'n'Roll Doctor" kurierte jedem Anwesenden beim PinkPop die Beinträgheit. Mit dem fetzigen "Oh Atlanta" und dem funkigen "All That You Dream" wird die Stimmung für den Dreierpack "Cold, Cold, Cold"/"Dixie Chicken"/"Tripe Face Boogie" angerichtet. Die Bilder von "Cold, Cold, Cold" kennen wir bereits von der Rockpalast-DVD, wo dieser Song - etwas verloren - als Bonusmaterial angehängt worden war. Eine überzeugendere Version als die zehnminütige vom PinkPop habe ich wohl von "Dixie Chicken" noch nie gehört. Eine Perle - zum Dahinschmelzen schön!! "Tripe Face Boogie" kicks ass - eine alte Weisheit unter Fans. Bei kaum einem anderen Stück wird derart improvisiert - mal filigran, mal furios. Zu "Feats Don't Fail Me Now" verschwinden die Sechs mit ihren Mikros im Backstage-Bereich, wo sie eine A Capella-Session abziehen. Das Publikum quittiert's mit ungläubigem Staunen. Singend kehrt man auf die Bühne zurück, um das abschließende "Teenage Nervous Breakdown" quasi als Zugabe abzufeuern.
Da von den überlebenden Bandmitgliedern sicherlich nicht mehr allzu viel Neuigkeiten zu erwarten sind, benötigt die Fangemeinde die Veröffentlichung solcher alten Perlen. Und genau denen werden bei "Live In Holland 1976" abwechselnd strahlende Freudensternchen und Tränen der Rührung in den Augen stehen!
Für Little Feat-Fans natürlich ein Pflichtkauf - wer die Band nicht kennt, sollte sich hiermit ermuntert fühlen, diesen Umstand umgehend mit dem Erwerb der "Waiting For Columbus" zu ändern. Einmal angefixt sollte der Boden auch für die hier besprochene Songkollektion bereitet sein...
Line-up:
Lowell George (vocals, electric and slide guitars, cowbells)
Paul Barrere (vocals, electric guitars)
Bill Payne (vocals, keyboards)
Kenny Gradney (bass)
Richie Hayward (drums, background vocals)
Sam Clayton (percussion, background vocals)
Tracklist
01:Skin It Back (5:39)
02:Fat Man In A Bathtub (5:40)
03:One Love Stand (5:03)
04:Rock And Roll Doctor (4:11)
05:Oh Atlanta (4:29) [CD only!]
06:All That You Dream (4:50)
07:Cold, Cold, Cold (5:04)
08:Dixie Chicken (10:03)
09:Tripe Face Boogie (7:40)
10:Feats Don't Fail Me Now (6:33)
11:Teenage Nervous Breakdown (4:02)
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