Lobster Newberg / Vernal Equinox
Vernal Equinox Spielzeit: 79:54
Medium: CD
Label: Eigenproduktion, 2007
Stil: Prog Jam


Review vom 30.05.2008


Ulli Heiser
Der Bandname... . Lobster ist ja klar und dank dem dreifachen w, weiß ich nun, dass dies ein von Ben Wenberg kreiertes Gericht aus Hummer, Butter, Sahne, Cognac, Sherry, Eiern und roten Chilis ist. Damit kann ich jetzt (leider) nicht dienen, aber das musikalische Menü des Vierers aus Chicago, Illinois ist nicht minder edel. Das will ich an dieser Stelle schon mal verraten. Irritiert hat mich die Stilangabe: Jam Rock / Progressive Rock. Wie soll das gehen? Auf der einen Seite vertrackte Prog-Strukturen und dann Jam Rock... ?
Auch das will ich jetzt bereits verraten: Es klappt.
Sehr proggy vertrackt breakt sich "Equinox" seinen Weg, während es in "Paradox" very britisch zugeht. Wie eine Mischung aus alten Genesis-Strukturen und melodischen Pink Floyd-Sequenzen. Melodien und Harmonien vom Feinsten, stellenweise auch an die Monumental-Nummern von Uriah Heep erinnernd. Dann, nach etwa viereinhalb Minuten bricht sie aus, die Gitarre. Die Keys hämmern im Boogierhythmus und die Gitarre jammt sich die Saiten glühend. Prog Jam - es gibt ihn. Fassungslos genehmigt sich der Rezensent ein Bier. Die Nummer, bzw. der nahtlose Wechsel vom edlen britischen Prog hin zum Jam-Gallop - oh Mann, wie geil!
Auch "Lloyd" schafft das, was eigentlich nicht möglich erschien, nämlich diese Mischung progressiver Intellekt (sag ich mal klischeehaft) und dem nicht minder intelligenten Power Jam. Die Hammond tönt voll und brillant, dann platzt dieser sphärische Wah Wah-Erguss herein und ich ziehe unweigerlich die Schultern ein, weil es mir trotz angenehmer Außentemperatur eisig den Rücken runterläuft. Orgel und Gitarre produzieren etwas, was sich anhört als ziehen Double Leads von dannen. Huh! Blitzschnell und ohne Pause schließt sich "Tabasco > Sauce" an. Brachiale Heepsche Klangwände bauen sich auf, die Vocals setzen ein und Colin singt, dass man schwul werden könnte. Ein eingeworfenes »Arriba« leitet über ins Tabasco-Land. Mexikanisches Flair all over und wenn Chuck Soumar die Trompete ansetzt, ist das einfach zum Niederknien. Ein gottlob kurzes 'Progdurcheinander' führt wieder zur Heep-Wand, und Colins süchtig machenden Vocals.
Auf "Happy Together" (ja, ja, der Turtles-Oldie) war ich besonders gespannt, da sich dieser Track doch wohl schlecht in das von Lobster Newberg favourisierte Genre einbringen lässt. Oder? Einem Progintro folgt der nah am Original gehaltene vokale Part - bis es in Form einer orgiastisch aufbrausenden Wah Wah-Gitarre in die Nummer bricht. Die Vocals werden forscher, während die Gitarre im Malmsteen-Tempo soliert. Überhaupt die Gitarre - heavy, mit forschen Läufen, peppt sie das Progstück "Flaunch" ebenso auf wie das balladeske "Woods". In Letztgenanntem eher akustisch und akkordbetont, bis ein krautiges Keyboard die Szenerie beherrscht. Break und
King Crimson übernimmt. Break. Heep sind wieder da. Orgel, Bass und Drums fabriziern 'ihr' Trio-Infernale in "Irwin", bis spacige Sequenzen dem ein Ende setzen und überleiten zu Gitarrenläufen, die bis in die hohen Lagen keinen Bundstab auszulassen scheinen.
Dem Bandbild nach zu urteilen, sind die vier Musiker sehr jung, umso erstaunlicher, wie sie das Können der bisher genannten Altvorderen problemlos transportieren. So schlecht kann die Jugend also nicht sein, wenn sie einen alten Mann (na ja, das soll jetzt eine Metapher sein) derart begeistern können. Auch die "African Bridesmaid" strotzt vor Breaks und Stilwechseln. Sie haben es drauf, wenn auch mittlerweile der Charakter des Albums auf der Progseite an Gewicht zugelegt hat. Floydig schaukelt sich die Gitarre immer wieder in die Höhe, während sie in "Wentworth" zu schrägen Keys und teils verfremdeten Vocals doch eher rhythmisch agiert. Allerdings ist mir der Gesamttenor der Nummer etwas zu weit weg vom bisher Gehörten, was meiner Hochachtung Lobster Newberg gegenüber aber keinen Knick verpasst. Zumal sie im letzten Drittel des Longtracks wieder kompatibel werden und fast einen Alman Brothers-Jam an den Tag legen. Alles ist wieder gut.
Laut Booklet läutet "Solstice" die letzte Runde ein. Allerdings zeigt mir die Playeranzeige noch eine Nummer 12 an. Schaun wir mal und genießen erst das Offizielle. Wuchtige Orgelparts dominieren und kakophonisch bringt sich der Rest der Truppe mit ein, bis auch die Tasten ausflippen. Hehehe, der Hidden Track läuft und das muss etwas sein, was schon mal lief. Allerdings rückwärts. Ein Gag, musikalisch (für mich) wertlos. Aber auch rückwärts abgespielt, klingt es nach Uriah Heep.
Fazit: Geile Scheibe. Nicht alltäglich und auch nicht für jeden Tag geeignet. Man isst ja auch nicht täglich Hummer.
Line-up:
Sean Briskey (guitar, backing vocals)
Victor Vieira-Branco (percussion)
Colin Peterik (vocals, organ, keys)
Will Gumbiner (bass)

and
Chuck Soumar (trumpet - #4)
Tracklist
01:Equinox (3:20)
02:Paradox (8:05)
03:Lloyd (5:06)
04:Tabasco > Sauce (9:56)
05:Happy Together (4:37)
06:Flaunch (4:11)
07:Woods (9:09)
08:Irwin (6:45)
09:African Bridesmaid (9:14)
10:Wentworth (12:53)
11:Solstice (4:09)
Externe Links: