Long Distance Calling / Avoid The Light
Avoid The Light Spielzeit: 54:54
Medium: CD
Label: Superball Music (SPV), 2009
Stil: Progressive Rock

Review vom 27.04.2009


Markus Kerren
Aus dem nordrhein-westfälischen Münster stammt das Quintett Long Distance Calling. Und mit ihrem zweiten Album "Avoid The Light" hat sich die Band das Ziel gesetzt, die Welt zu erobern. Diese Aussage stammt zwar nicht von der Truppe selbst, sondern vielmehr von mir, aber genau so hören sich die nur sechs (dafür aber alle ziemlich langen) Tracks auf dieser Scheibe an. Vollkommen überraschen sollte uns der bevorstehende Triumphzug übrigens nicht, denn bereits für ihr Debüt ("Satellite Bay", 2007) wurden von der Band überwiegend gute bis euphorische Kritiken eingefahren.
Long Distance Calling spielen vor allem instrumentalen Progressive Rock mit eingestreuten Psychedelic- und Space-Elementen. Die Band selbst ließ verlauten, dass sie »…aufgrund der durchweg positiven Resonanzen auf unser Debütwerk spürbar experimentierfreudiger…« geworden sind. Und das ist nicht nur gut so, sondern macht das nun vorliegende Album sogar noch besser. Die Tracks sind allesamt Epen mit starker Aussagekraft, Fantasie, Variabilität, Feeling und Spielfreude en masse. Sehr transparent produziert wurde die Scheibe übrigens von Kurt Ebelhäuser (u.a. Blackmail, Donots).
Der über 12 Minuten lange Opener "Apparations" birgt bereits sämtliche Qualitäten des Sextetts in sich. Ungeheure Spannung, Atmosphäre, Vielseitigkeit und Lust am Improvisieren. Das ist schon ein ganz schönes Brett, auf der anderen Seite aber auch nur der Anfang zu dem Reigen, den "Avoid The Light" in seiner Gänze darstellt. Was da zum Beispiel in "Black Paper Planes" abläuft, ist eine verzwickte, wie aber auch geniale Mischung aus Hawkwind, Krautrock und modernerem Progressive Rock.
Eher zurückhaltend und verträumt (inklusive einem spacigen Zischeln) kommt dann der Anfang von "359°", bevor das Tempo wieder etwas angezogen wird und schon auch mal die Double Bass von Schlagzeuger Janosch Rathmer dezent wie auch bestimmt ihren Anspruch geltend macht. Auch hier wieder eine Nummer zum Genießen, zum Eintauchen, zum Abheben und, wenn man denn will, Davonfliegen. Immer wieder neue Parts und Themen halten den interessierten Zuhörer auf Trapp und lassen ihn in den Long Distance Calling-Kosmos eintauchen.
Was diese Jungs wirklich drauf haben, ist, sich von einem verhaltenen Beginn in einen wahren Rausch zu spielen und dann die Spannung, wenn auf dem Siedepunkt angekommen, mit eleganten sowie unerwarteten Wendungen wieder aufzulösen, sodass man vor den Boxen geradezu in ein angenehmes, frisch gemachtes Ruhekissen zurückfällt, in dem es kuscheliger nicht sein könnte.
Auch eine heftigere Nummer wie "I Know You, Stanley Milgram" hat neben den powervollen Riffs, dem explodierenden Schlagzeug und dem pumpenden Bass von Jan Hoffmann immer noch Platz für eine nicht unerhebliche Anzahl an 'Traum-Takten', die genügend Raum zum Verschnaufen lassen, bevor die Zügel wieder ganz kräftig angezogen werden und die Band sich ins Finale steigert. "The Nearing Grave" ist der einzige Track des Albums mit Vocals, für den man sich Jonas Renkse, hauptamtlich als Vokal-Akrobat für Katatonia zuständig, ins Studio eingeladen hatte.
Und auch das funktioniert und harmoniert hervorragend. Erneut wird ein effektiver Spannungs-Aufbau vorbereitet, der schließlich von kurzen, knackigen Breaks aufgelockert wird, um dann Raum für den relaxten, (bewusst?) mehr in den Hintergrund gemischten Gesang, zu schaffen. Atmosphäre aufgebaut, atmosphärisch eingesungen und insgesamt einmal mehr so klasse wie abwechslungsreich arrangiert.
Zum Abschluss präsentieren uns die Münsteraner dann noch einen Ritt auf dem "Sundown Highway". Die Luft ist schwül, die Sekunden verticken langsam, die Zeit scheint still zu stehen. Selbstverständlich nur so lange, bis Rathmers Drums einmal mehr damit beginnen, einen kräftigen, fast hypnotisierenden Beat vorzulegen (dem mein rechter Fuß dann unweigerlich Folge leistet) und das Gas-Pedal zunächst nur halb, dann aber immer mehr durchgetreten wird. Ein mitreißender Abschluss eines sehr guten Albums, dem sich die wenigsten Rock-Freunde bei aufmerksamer Listening-Session entziehen können dürften.
Logisch muss man einen Faible für (nahezu) instrumentalen Prog Rock haben, aber auch alle, die ansonsten bisher eher allergisch auf das Wort 'Progressiv' reagiert haben, könnten bei "Avoid The Light" sehr gut aufgehoben sein, da der Rock-Anteil doch stark überwiegt. Es gibt nach wie vor sehr viel neue gute Musik und auch bei Long Distance Calling kann man es nicht laut genug sagen: Reinhören kostet nichts! Ihr werdet überrascht sein und es kaum bereuen!!
Line-up:
David Jordan (guitars)
Janosch Rathmer (drums)
Florian Füntmann (guitars)
Jan Hoffmann (bass)
Reimut van Bonn (Ambiente)
Jonas Renkse (vocals - #5)
Tracklist
01:Apparitions (12:16)
02:Black Paper Planes (7:13)
03:359° (7:51)
04:I Know You, Stanley Milgram! (10:20)
05:The Nearing Grave (7:42)
06:Sundown Highway (9:10)
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