Ich muss gleich vorweg schicken, dass mir das hier zu besprechende, siebenteilige Vinyl-Boxset, schlicht "Lynyrd Skynyrd" betitelt, NICHT vorliegt - dafür aber ein Gewissenskonflikt. In letzter Konsequenz seriös kann man eine solche Veröffentlichung derart natürlich nicht besprechen, aber soll man die Gelegenheit, eine der größten Bands der siebziger Jahre (noch dazu in ihrer kreativsten Phase) vorzustellen, ernsthaft verstreichen lassen?
Man muss da auch die Promoter verstehen: Zwischen 80 und 90 Euro kostet dieses Set. Das ist natürlich kein Pappenstiel für einen relativ kleinen 'Werbetrommelrührer' aus dem Ausland, der selbstredend kaum wissen kann, dass er bei uns eine 'anständige' Gegenleistung erhält...
Deshalb vorab nur die wenigen mir bekannten Fakten: In dieser, am 26. Januar veröffentlichten Slipcase-Box befinden sich sieben 180g-Vinyls der ersten sechs Alben Lynyrd Skynyrds - vom 1973er Debüt "Pronounced L. S." bis zum drei Tage vor dem verhängnisvollen Flugzeugabsturz erschienenen "Street Survivors". Alle LPs stecken in Replikas der originalen LP-Cover; über Begleitheft(e) liegen mir keine Informationen vor.
"Pronounced 'lēh-'nérd 'skin-'nérd" erschien am 13. August des Jahres 1973 und enthielt gleich zwei der größten Hits Skynyrds: "Simple Man" und "Free Bird", beide bis heute in jedem Live-Set enthalten. Obendrein noch mit "Tuesdays Gone" eine der schönsten, mit wimmernden Mellotron-Streichern garnierten Balladen der gesamten Musikhistorie. Ich will den uralten 'Glaubenskrieg' garantiert nicht aufwärmen, doch ich persönlich tendiere dazu, dieses Album als die 'Geburtsstunde' des Southern Rock anzusehen und nicht Honey In The Rock oder gar Idlewild South. Aber lassen wir das...
"Pronounced..." wird gerne als Skynyrds 'bestes' Album angesehen, was eben nicht nur an den bereits eingangs genannten Granaten, sondern gerade an den etwas unscheinbareren Nummern, wie dem Ragtime-orientierten "Things Goin' On", dem Country Blues "Mississippi Kid" oder dem polternden "Poison Whiskey" liegt - allesamt Nummern, die entgegen den Gassenhauern "I Ain't The One" und "Gimme Three Steps" eher selten in späteren Setlisten Skynyrds auftauchen sollten.
Auch kommerziell war "Pronounced..." ein formidabler Einstand: Platz 27 in den US-Charts und Doppel-Platin waren für ein Debüt mehr als beachtlich.
Diesen Erfolg konnte das nur ein halbes Jahr später erschienene "Second Helping" - natürlich im Sog des Riesenhits "Sweet Home Alabama" - mit Platz 12 und erneut Doppel-Platin locker toppen. Der Albumtitel stellt einen jener genialen Momente dar, für die Ronnie Van Zant immer gut war, denn "Second Helping" war nicht nur ein 'Nachschlag', sondern der Hype um eine Textzeile zum (von der Band hochverehrten) Neil Young - in "Sweet Home Alabama" - erwies sich marketingmäßig, in weiser Voraussicht RVZs, als überaus 'hilfreich'.
Auch wenn vielleicht nicht die monumentale Größe einiger Songs von "Pronounced..." übertroffen werden konnte, verbreiterte "Second Helping" die Qualität der Kompositionen ernorm. Acht Killer - einer gnadenloser als der andere - machen aus dieser Scheibe einen wahren Klassiker der Musikhistorie! Abgesehen von all den Evergreens, wie "Workin' For MCA", "Swamp Music" oder "Call Me The Breeze", sind auch hier wieder zwei Nummern mit Langzeitwirkung vertreten: "The Needle And The Spoon" und vor allem die zu Unrecht fast vergessene Ballade "I Need You" stehen bis heute exemplarisch für den Zauber von Skynyrds Musik.
Der beständig wachsende Erfolg forderte gnadenlos seinen Tribut: Die scheinbar endlose Album-Tour-Tortur drohte Skynyrd langsam aber sicher auszubrennen. Der erste, der hinschmiss, war Drummer Bob Burns, dem das Karussell eindeutig zu schnell drehte. Mit Artimus Pyle konnte nicht nur adäquater Ersatz gefunden werden, sondern auch menschlich passte es vortrefflich. Trotzdem war das dritte Album "Nuthin' Fancy" für viele Fans in wortwörtlichem Sinn 'nichts besonderes', doch damit tut man der Scheibe sträflich Unrecht an. Mit "Saturday Night Special" war eine absolute Granate und mit "Whiskey Rock-A-Roller" ein weiterer Dauerbrenner vertreten. Die anderen Songs mögen vielleicht etwas unspektakulär erscheinen, entfalten aber - einer nach dem anderen - ihren ganz speziellen Reiz. Das rumpelnde "On The Hunt", das hypnotische "Cheatin' Woman" oder der lässig-klimpernde Bar-Blues "Made In The Shade" sind heutzutage leider nahezu vergessen. "Am I Losin'" ist eine klassische 'Schönheit auf den zweiten Blick' - einzig der "Railroad Song" fällt deutlich gegenüber dem Rest ab.
Ungeachtet aller Kritik war "Nuthin' Fancy" ein kommerzieller Erfolg, brachte Platin und Platz 9 in den US- sowie eine erstmalige Platzierung in den UK-Charts ein.
Hektische Kurskorrekturen werden nur äußerst selten von guten Ratgebern angeordnet. Die Plattenfirma wollte endlich ein Nummer-eins-Album erzwingen - koste es, was es wolle! "Gimme Back My Bullets" sollte es werden und der ABB-Produzent Tom Dowd es nun anstelle von Al Kooper richten - was sich als riesiges Missverständnis herausstellte. Die 'Chemie' funktionierte einfach nicht. Zudem war "Gimme Back..." das vierte Album in nicht einmal zweieinhalb (!!) Jahren - eine solche Unrast muss sich zwangsläufig auf die Kompositionen auswirken! Obendrein hatte Ed King völlig entnervt 'in den Sack gehauen' und Skynyrd war somit das charismatische Three-Guitar-Lineup abhanden gekommen.
Alles in allem keine guten Voraussetzung für "Gimme Back...", doch dieses Album ist wesentlich besser als sein Ruf. Ein komplettes Remastering machte 2006 deutlich, welches Potenzial bei der Originalveröffentlichung verschenkt wurde! Plötzlich war der 'Wumms' da - es krachte und knallte an allen Ecken und Enden...
"Gimme Back..." gilt allgemein als Skynyrds schwächstes Album der Siebziger, jedoch erscheint mir gerade die Qualität der Kompositionen deutlich kompakter als noch bei "Nuthin' Fancy". Sorry Leute, aber ich kann wirklich keinen einzigen Ausfall erkennen! Im Gegenteil: Die angesprochene remasterte CD ist wohl die Skynyrd-Scheibe, die sich bei mir am häufigsten dreht, was sicherlich an den erstmals zu hörenden Honkettes (und meinem Augenstern Leslie Hawkins) liegt. Mit "I Got The Same Old Blues", "Double Trouble" und der Ballade "All I Can Do Is Write About It" sind gleich drei meiner All-Time-Faves vertreten. "Every Mother's Son", "Roll Gypsy Roll", "Cry For The Bad Man" und natürlich der Titelsong stehen da nur wenig nach - und "Searching" hat sich ebenfalls zu einem echten Dauerbrenner gemausert.
In der Retrospektive wird "Gimme Back My Bullets" gnadenlos unterbewertet - eine geradezu himmelschreiende Ungerechtigkeit. Ich persönlich zähle die Platte zu meinen Top-5 unter Skynyrds Studioalben.
Wie so oft war ein Live-(Doppel)-Album dazu verdonnert, die Kastanien aus dem Feuer zu holen. "One More From The Road" wurde zu einem der besten der Musikgeschichte. Und dieser Erfolg hatte einen Namen: Steve Gaines. Von seiner Honkette-Schwester Cassie zum Vorspielen vorgeschlagen, stieß hier nicht nur ein Klassegitarrist, sondern auch ein erstklassiger - "Street Survivors" sollte es unterstreichen - Songwriter zu der Band!
Natürlich konnte sich das noch nicht in diesen Aufnahmen, wenige Wochen nach Gaines' Einstieg an drei aufeinander folgenden Abenden in Atlantas legendärem Fox Theatre aufgezeichnet, niederschlagen. Doch der positive Schub dieses hochtalentierten Musikers fand sich in einer wahrnehmbar gesteigerten Spielfreude wieder, selbst wenn man Skynyrd den immensen Druck der Plattenfirma anzumerken glaubt. Etwas später, während des legendären Knebsworth Festivals (am 21. August 1976, als man vor 250.000 Zeitzeugen die Stones an die Wand spielte), wirkte die Band wesentlich befreiter.
Die Trackliste war mit nahezu allen damaligen Smashs gespickt und ist (bizarrerweise) praktisch deckungsgleich mit den Skynyrd-Sets des neuen Jahrhunderts - allerdings ungleich frischer interpretiert. Hervorzuheben wären daneben die beiden Cover der Blues-Klassiker "T For Texas" und "Crossroads", von denen es keine Studioversionen gibt.
Summa summarum ein bärenstarker Live-Doppelschlag, der sich mit Fug und Recht prima verkaufte und hervorragend (#9) in den US platzieren konnte. Lynyrd Skynyrd meldete sich in alter Form und Frische zurück!
Wie ein Menetekel schweben "Street Survivors" und sein Original-Artwork in der Retrospektive über der Band. Drei Tage nach der Veröffentlichung stürzte die altersschwache Convair 240 - kurz nach dem Start der Tour - in den Sümpfen Louisianas ab. Ronnie Van Zant, Cassie und Steve Gaines waren tot - der Rest zum Teil schwerst verletzt. Aber das ist eine andere, abendfüllende Geschichte...
Wohin Skynyrds weitere Karriere hätte gehen können, demonstriert "Street Survivors" eindrucksvoll. Die Kompositionen waren ausnahmslos bärenstark, die geschliffene Produktion veredelte sie allesamt zu Perlen der Skynyrd-Historie. Steve Gaines' Input mit vier, teilweise co-komponierten Stücken war immens und trieb Collins wie Rossington zu neuer (alter) Höchstform an. Er brachte zudem eine gehörige Portion urwüchsigen Rock'n'Roll in den Bandsound zurück.
No fillers, only killers - so kann man "Street Survivors" fraglos charakterisieren. "That Smell" war die epische Übernummer, die an die größten Banderfolge der ersten beiden Jahre anknüpfen konnte, das balldeske "One More Time" stand "Tuesdays Gone" in nichts nach und "I Never Dreamed" ist wohl die schönste unter den vielen zu Unrecht vergessenen Skynyrd-Perlen. Zudem war wieder mal ein rattenscharfes Cover, Merle Haggards Countryrocker "Honky Tonk Night Time Man", vertreten, das es locker mit "Call Me The Breeze" aufnehmen konnte.
Auch in kommerzieller Hinsicht war "Street Survivors" ein voller Erfolg. Platz 5 in den Albumcharts der US konnte man nie wieder erreichen. Skynyrds bestes Album aller Zeiten, meint jedenfalls 'ihne ihrn' Redakteur!
Ob der geneigte Leser dieses Vinyl-Set braucht, muss dieser leider selbst entscheiden - ich kann, wie bereits eingangs angedeutet, dahingehend keine Aussage machen! Betrachtet dieses Review eher als kleinen Appetizer, sich wieder einmal mit Lynyrd Skynyrds besten Zeiten zu beschäftigen. Vielleicht erwacht dann auch der Wunsch, die verkratzten LP-Originale durch dieses Vinyl-Boxset zu ersetzen...
Line-up:
Ronnie Van Zant (lead vocals)
Allen Collins (guitars)
Gary Rossington (guitars)
Lee Wilkeson (bass, background vocals)
Billy Powell (keyboards)
Bob Burns (drums - Pronounced/Second Helping)
Artimus Pyle (drums - ab Nuthin' Fancy)
Ed King (guitars - Pronounced/Second Helping/Nuthin' Fancy)
Steve Gaines (guitars - One More From The Road/Street Survivors)
Leslie Hawkins, JoJo Billingsley, Cassie Gaines (background vocals - ab Gimme Back My Bullets)
Tracklist |
Pronounced 'Lēh-'nérd 'Skin-'nérd:
Side A
01:I Ain't The One
02:Tuesday's Gone
03:Gimme Three Steps
04:Simple Man
Side B
01:Things Goin' On
02:Mississippi Kid
03:Poison Whiskey
04:Free Bird
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Second Helping:
Side A
01:Sweet Home Alabama
02:I Need You
03:Don't Ask Me No Questions
04:Workin' For MCA
Side B
01:The Ballad Of Curtis Loew
02:Swamp Music
03:The Needle And The Spoon
04:Call Me The Breeze
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Nuthin' Fancy:
Side A
01:Saturday Night Special
02:Cheatin' Woman
03:Railroad Song
04:I'm A Country Boy
Side B
01:On The Hunt
02:Am I Losin'
03:Made In The Shade
04:Whiskey Rock-A-Roller
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Gimme Back My Bullets:
Side A
01:Gimme Back My Bullets
02:Every Mother's Son
03:Trust
04:I Got The Same Old Blues
Side B
01:Double Trouble
02:Roll Gypsy Roll
03:Searching
04:Cry For The Bad Man
05:All I Can Do Is Write About It
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One More From The Road:
Side A
01:Workin' For MCA
02:I Ain't The One
03:Searching
04:Tuesday's Gone
Side B
01:Saturday Night Special
02:Travelin' Man
03:Whiskey Rock-A-Roller
04:Sweet Home Alabama
Side C
01:Gimme Three Steps
02:Call Me The Breeze
03:T For Texas
Side D
01:The Neddle And The Spoon
02:Crossroads
03:Free Bird |
Street Survivors:
Side A
01:What's Your Name
02:That Smell
03:One More Time
04:I Know A Little
Side B
01:You Got That Right
02:I Never Dreamed
03:Honky Tonk Night Time Man
04:Ain't No Good Life
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