Spielzeit: 77:59 (CD 1), 43:15 (CD 2) Medium: DoCD Label: Sony, 2011 Stil: Soul'n'Blues Review vom 07.10.2011 Ulli Heiser

Retrospektiven haben den Vorteil, den Output eines Künstlers komprimiert darzustellen und Hörern, die irgendwann ein- oder auch ausgestiegen sind, die musikalische Bandbreite über die komplette Schaffensperiode ins Haus zu bringen. Vorliegendes Album - die Deluxe-Version - enthält zusätzlich eine Live-CD mit elf weiteren Tracks.
Wir erinnern uns, zusammen mit Vince Clarke (Depeche Mode) gründete sie Anfang der 1980er das Duo Yazoo. Davor spielte sie in einigen Punk- und Bluesbands, was sich auch im weiteren Verlauf ihrer musikalischen Vita immer wieder niederschlug. Stilistisch ist die Frau schwer zu fassen, denn Kraft ihres Organes ist sie in der Lage, auf vielen Stil-Hochzeiten zu tanzen.

Logisch, dass aus dem 1984er Album "Alf" einige Stücke mit am Start sind. Allen voran möchte ich "All Cried Out" erwähnen, diese bluesige Soulnummer, die der kraftvollen Stimme Alisons auf den Leib geschrieben ist. Sicher, Frau Moyet bewegt(e) sich in der Schnittmenge aus Pop & Others. Ähnlich Simply Red oder den Eurythmics funktionert dieser Balanceakt einwandfrei. Man höre nur einmal, wie sie den Bar Jazz-Schleicher "That Ole Devil Called Love" (Billie Holiday) intoniert. Oder das alte (1945) "Love Letters" (Victor Young). Beide dieser 'Oldies' schafften es in die Top 5 der Charts. Zwischen 1984 und 1987 war Alison Moyet die Musikerin mit den meisten Plattenverkäufen in Großbritannien.

Ich bin nun beileibe kein Kenner des Backkataloges. Eigentlich kenne ich außer "Alf" wenig. Und ich stelle fest, dass sich vorliegende Zusammenstellung richtig lohnt, denn das intensive und gefühlvolle "The House", das popig-rockige "Hoodoo", das R&B-Sahnestück "Foolsteps", "Should I Feel That It's Over" mit akusticher Gitarrenarbeit und das fast psychedelische "Yesterdays's Flame" wären mir ansonsten wohl unbekannt geblieben. Fans werden sicher das eine oder andere Stück vermissen, aber das ist bei Compilations eigentlich Usus. Allerdings denke ich, dass eine Retrospektive schon das Wichtige aufzeigt.

Ganz anders das Live-Dokument, welches der Deluxe-Edition beiliegt. Fans werden sicher das eine oder andere Stück vermissen, denn Frau Moyet hat die Stücke ausgewähl. Und im Booklet schreibt sie, dass es einige Sachen gibt, die sie nicht mehr spielen wird. Das mag verwundern, aber sie meint, das sei wie mit Menschen: Man habe im Lauf der Zeit mit so vielen Leuten zu tun gehabt und irgendwann ist es so, dass man einige davon nicht mal mehr mit einem »mucky stick« berühren möchte.
Auf jeden Fall lohnt sich die Live-Scheibe, denn diese eingespielten Versionen sind anders. Total neu interpretiert und man erkennt die 'alte' Alison kaum wieder. Der oft offen oder latent vorhande Pop-Anstrich ist passé. Wir hören eine sehr erwachsene Blues-, Soul-, Jazz- und Singer/Songwriter-Interpretin. An 'mein' "All Cried Out" musste ich mich regelrecht gewöhnen, so anders ist diese neue Version. Mir gefällt die 'neue' Art und Weise hervorragend. "Find Me" ist Soul mit Gänsehaut-Feeling. Zu Piano singt Alison in einer Weise, dass das Wasser aus der Gefriehrtruhe läuft ...

Alte Fans sollten sich die Deluxe-Version ins Haus holen und Alison neu entdecken. Skeptikern empfehle ich einen Konzertbesuch, denn ab November kann man Alison Moyet in Deutschland erleben. Wo und wann, das findet ihr wie immer in unserem Tourkalender.