»Everyday I Have The Blues« heißt es in einem Song von B.B. King. - Nun, das trifft wohl nur bei den entsprechenden Profi-Musikern oder bei meinem geschätzten Kollegen und 'Bluesbruder' Joe Brookes zu, dessen Herz ja bekanntlich vierundzwanzig Stunden am Tag im 12-Takt-Rhythmus schlägt.
Ganz so extrem ist die Sachlage bei mir noch nicht, aber an diesem Dienstagabend war auch ich voll und ganz auf die Sounds von Chicago und dem Mississippi-Delta fixiert. Der Grund dafür hört auf den Namen Charlie Musselwhite und zählt zu den besten noch lebenden Bluesharp-Spielern der Welt.
Der inzwischen 66-jährige Sohn einer Chocktaw-Indianerin und eines Weißen wuchs im Herzen des Deltas auf und wurde dort von einer Tante aufgezogen. Mit zwölf Jahren arbeitete er als einziger Weißer unter lauter schwarzen Arbeiterinnen. Durch diese Kontakte lernte er Will Shade kennen, den Gründer der Memphis Jug Band, der ihn an der Harmonika unterrichtete. Im Jahr 1962 lernte er Big Walter Horton kennen und war sofort vom rauen Chicago Blues fasziniert. Nach seinem Umzug in die Metropole bekam er auf Empfehlung Hortons Zugang zu den schwarzen Bluesclubs der Stadt. So dauerte es nicht lange, und der junge Mann begegnete seinen angebeteten Stars Little Walter, Sonny Boy Williamson und Muddy Waters.
Schon bald fand sich Musselwhite in der Gesellschaft von Mike Bloomfield und Paul Butterfield wieder, mit denen er etliche Aufnahmen einspielte, die noch heute gesuchte Sammlerstücke sind.
Durch zähes Üben und zahlreiche Tipps von Howlin' Wolf und John Lee Hooker, der später sogar sein Trauzeuge wurde, hatte Charlie ein dermaßen hohes Level an der Harp und der Gitarre erreicht, dass er im Jahr 1966 sein erstes Album "Stand Back" aufnehmen konnte.
Von diesem Zeitpunkt an entwickelte er seinen Musikstil permanent weiter und inspirierte später den Schauspieler Dan Aykroyd zu der Person des Elwood in den legendären 'Blues-Brothers'-Filmen.
Inzwischen hat Charlie Musselwhite mehr als zwanzig Alben unter seinem eigenen Namen aufgenommen und auch bei zahllosen anderen Musiker-Kollegen mitgewirkt. Zu den Künstlern, mit denen er zusammenarbeitete gehören unter anderem auch Bonnie Raitt, Tom Waits, The Inxs und Ben Harper, sowie Warren Haynes' Band Gov't Mule. Am fruchtbarsten erwies sich allerdings seine langjährige Freundschaft und Kooperation mit John Lee Hooker, die zu mehreren Grammy-Nominierungen führte. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass Charlie Musselwhite inzwischen zu einer lebenden Legende geworden ist.
Und dieser Mann gab an diesem Abend sein erstes von vier Konzerten in Deutschland im Rahmen seiner Europa-Tournee, die ihn außerdem noch in die Niederlande, nach Belgien, in die Schweiz und nach Österreich führen wird (genauere Angaben in unseren Tourdates).
So war es eigentlich nicht verwunderlich, dass sich Henrys Bluesgarage in relativ kurzer Zeit ziemlich gut füllte, obwohl ein Dienstag ja nun nicht gerade der ideale Zeitpunkt für einen Konzertabend darstellt. Diesmal war der geschätzte Altersdurchschnitt des Publikums etwas höher als sonst, sodass der Rezensent noch weniger auffiel. Alles war bereit für den Blues, und der kam dann auch - und wie!
Ein sichtlich gut aufgelegter Charlie betrat pünktlich um 20.00 Uhr die Bühne und legte gleich mit einem schönen, druckvollen Boogie los, bei dem sein außergewöhnliches Harp-Spiel das Publikum von Anfang an faszinierte. Ganz cool und locker holte er glasklare Töne aus dem kleinen Instrument, als wäre dessen perfekte Beherrschung nur eine Kleinigkeit. So eine Leistung ist garantiert nur mit Jahrzehnte langer Erfahrung und einer gehörigen Portion Talent möglich.
Dazu passend setzte Musselwhite auch seine kräftige Stimme ein, die viel Ähnlichkeit mit den Vocals von Sleepy John Estes oder auch Homesick James aufwies und prima zu diesen Blues-Sounds passte.
Im Gegensatz zu seinem Gesang, kamen die launigen Ansagen zwischen den Songs alles andere als klar rüber. Hier wirkte der Protagonist manchmal so, als hätte er vergessen, die Zähne aus dem Glas zu nehmen. Aber auch das führte dazu, dass man sich wie in einem typischen Chicagoer Bluesclub fühlte, in dem gerade ein ganz spontaner Jam abging. So ein Feeling habe ich bisher noch gar nicht in der Bluesgarage erlebt. Wie auf den Live-Mitschnitten der alten Legenden bestand ein ständiger Kontakt mit den Leuten im Saal. Jedes Solo wurde angefeuert und auch immer wieder spontan beklatscht, sodass eine ganz intime Atmosphäre entstand.
Die anderen drei Musiker der Band, mit denen Charlie Musselwhite übrigens sein aktuelles Live-Album eingespielt hat (Review folgt demnächst in RockTimes), erwiesen sich bei diesem Gig als perfekte Begleitung. Und das meine ich durchaus positiv, denn sie alle bekamen reichlich Gelegenheit, ihre Fähigkeiten an den Instrumenten unter Beweis zu stellen, wobei besonders Gitarrist Matt Stubbs immer wieder mit tollen Einlagen glänzen konnte und ebenfalls reichlich abgefeiert wurde. Auch dieser Mann hat ein prima Blues-Feeling und kann sich prächtig in die Musik rein versetzen.
Die Rhythmus-Abteilung hatte dann im zweiten Teil des Gigs ihre großen Momente, denn da kamen sie zu ihren Solo-Parts, wobei besonders der Alleingang am Schlagzeug erwähnt werden muss. Hier behielt die komplette Band einen konstanten Rhythmus bei, drosselte die Lautstärke auf ein Minimum herab und ließ dabei Drummer June Core die Gelegenheit, seine Schießbude mal so richtig durch zu massieren. So entstand ein Schlagzeugsolo voller Spannung und ohne jegliche unnötigen Längen, wie ich es in dieser Form auch noch nicht erlebt habe. Prima arrangiert, Boys!
So lief an diesem Dienstag ein äußerst vielseitiges Konzert ab, das ganz und gar im Zeichen des elektrisch verstärkten Chicago- und Delta-Blues stand und bei dem die Bluesharp im Zentrum des Geschehens stand. Immer wenn Charlie Musselwhite eine andere Harmonika aus seinem Köfferchen holte, konnte man wieder mit einer Überraschung rechnen. Er ließ sein Instrument je nach Bedarf weinen, lachen, aufheulen oder auch ganz sentimental klagen. Und das alles eingebettet in Boogie- und Slow Blues-Rhythmen allerfeinster Kajüte. Dabei erinnerte die Sounds oftmals an die legendäre Butterfield Blues Band zu ihrer Glanzzeit. So erlebte die Bluesgarage mal wieder sehr intensive einhundertfünf Minuten im Zeichen des reinen 12-Takters, wie sie inzwischen sehr selten geboten werden. Und Charlie Musselwhite hat seinen Status als lebende Legende wieder einmal bestätigt.
Line-up
Charlie Musselwhite (vocals, harp)
Matt Stubbs (guitar)
Mike Phillips (bass)
June Core (drums)
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