»Wenn es mehr als drei Minuten braucht, um seine musikalische Idee in einen Song zu packen, dann taugt die Nummer nichts«, so die Aussage, eines hier nicht namentlich genannten Kollegen. Das mag für musikalisches Fastfood zutreffend sein. »Die drei Minuten reichen in der Tat - für den Fahrstuhl, fürs Morgenradio, für den Ohrenquickie zwischendurch«. So in der Art fallen meine Antworten meistens aus.
Man schaue mal auf seine Uhr, wenn schwere Hammondwellen anrollen, wenn aus dem Off eine sphärische Gitarre vorsichtig unter ebendiese Welle taucht, um auf ihren Kronen zu reiten, man beachte den Zeigerweg, bis eine Dilruba oder Esraj ihre Stimmung in des Hörers Hirn voll entfaltet... drei Minuten? Lächerlich. In dieser kurzen Zeit finde ich die Milka-Schokolade im Süßigkeitenregal, oder den Ingwer in der Grünabteilung.
Milka und Ingwer, Schweiz und Ginger. Wir sind beim Thema angelangt: bei Marblewood. Das gleichnamige Debütalbum der Schweizer offenbart Bekannte im Line-up. Marc Walser und Arie Bertogg kennen wir von Ginger. Diese Truppe mit ihrem bluesig psychedelischen Jam Rock begeisterte neben mir auch weitere Kollegen. Und Marblewood gelingt das ebenfalls auf Anhieb.
Fünf Stücke jenseits der Achtminuten-Grenze, sowie ein mehr als 20-minütiger Bonustrack ergeben 4210 Sekunden Gänsehaut. "Kailash" startet den Rundling mit schwerem, süßem Blues-Doom. Arie und Dave fabrizieren einen zähen Schleim. Eine Suppe, die dick und alles einsaugend hin und her wogt. Einzig und allein Marcs Gitarre durchbricht die klebrige Masse mit messerscharfen Riffs. Die Gitarre rührt und rührt, bis auch die Orgel ihren Weg an die Oberfläche findet und die Melange aus psychedelischem Blues und Zeitlupen-Doom langsam und hypnotisierend aus den Lautsprechern trieft.
Obwohl "Hit The Brakes" anderes suggeriert, treibt diese Nummer unbändig nach vorn. Gitarre und Orgel streiten, wer an der Spitze läuft und irgendwie wird der Eindruck erweckt, als hätten die Zeps, die Mk. IIs und Jungs aus Pompeii da Pate gestanden. Wer allerdings die Arbeitsweise der drei vorliegenden Protagonisten kennt, weiß, dass diese den Tracknamen schon bewusst gewählt haben und im Verlauf natürlich die 'brake hitten' und ihre ureigene Spielweise so einbringen, dass man sich fragen muss, ob die Paten das so hinbekommen hätten.
In "Spendour" halten Dilruba und Esraj Einzug, was eine gehörige Portion Orient ins Spiel bringt. Die männlichen Vocals schalten in Erzählmodus und der glockenklare Gesang von Gastsängerin Sarah Weibel katapultiert die Nummer in eine andere Sphäre. Es entwickelt sich ein hypnotischer Jam, in dem mal Gitarre, dann Dilruba führend sind. Wie auch bereits bei Ginger, schafft man es auch bei Marblewood den Stücken einerseits genug Struktur zu geben und andererseits faszinierend durch die Minuten zu jammen. "Silence", gesanglich zweistimmig, ist eine Blues-Nummer vor dem Herrn. Mir geht Purples "When A Blind Man Cries" sowie Santanas "Taboo" durch den Kopf. So in der Art ist die transportierte Stimmung. Aber, dickes Aber: Hier wird dazu musiziert, dass die Härchen auf Armen und Nacken nicht zur Ruhe kommen. Die Orgel rollt schwer und ich möchte, dass sie nie wieder damit aufhört. Jon Lord wird 'da oben' Tränen der Freude vergießen.
"Postwar Apocalypse" und "In The Beginning" sind wahre Blues Rock Jam-Monster. Schwer und psychedelisch abhebend. An allen Ecken und Enden brodeln und grummeln die tiefen Blues Rock-Vulkane. Ob nun Bass oder Schlagzeug: Diese beiden sonst als Rhythmus-Hebammen 'degradierten' Zweitreiher sind bei Marblewood gleichwertige Partner. Stellenweise übernehmen sie alleine den Song. Bauen ihn auf, nehmen den Hörer mit und jammen schließlich auf Augenhöhe mit Gitarre und Orgel. Stets ist da eine Spannung, die geschickt aufgebaut und auch gehalten wird. Um auf den Anfang meines Reviews zu kommen - das geht nicht in drei Minuten. Das wäre musikalischer Coitus interruptus. Nein, die Band nimmt sich alle Zeit und schenkt somit dem Hörer viele Minuten, die dieser als wertvolle seiner Lebenszeit verbuchen kann.
Line-up:
Marc Walser (guitars, vocals)
Dave Zurbuchen (drums, vocals)
Arie Bertogg (bass)
With:
Sarah Weibel (vocals)
Sandro Hussel (dilruba, esraj)
Michael Marti (organ)
Tracklist |
Seite 1
01:Kailash (08:31)
02:Hit The Brakes (08:16)
03:Splendour (09:42)
04:Silence (09:51)
05:Postwar Apocalypse (12:33)
06:In The Beginning (21:14)
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