Meat Loaf / Guilty Pleasure Tour
Guilty Pleasure Tour Spielzeit: 71:56 (CD), 124:35 & 37:50 (DVD - Konzert, Doku)
Medium: CD & DVD
Label: The Store For Music, 2012
Stil: Rock

Review vom 02.12.2012


Jürgen Hauß
Dies wird wahrscheinlich mein letzter Versuch sein, mich mit aktuellen Produktionen des 'Fleischklopses' anzufreunden, zu sehr haben mich die beiden letzten Alben Hang Cool Teddy Bear und Hell In A Handbasket enttäuscht. Da kommt ein Live-Album, das auf den ersten Blick die alten Hits enthält, gerade recht. Und dann noch zusammen mit einer das Konzert auch optisch dokumentierenden DVD - das lässt hoffen. Die DVD soll daher Schwerpunkt dieses Reviews sein.
Doch handelt es sich überhaupt um eine aktuelle Dokumentation? Zwar steht im - im wahrsten Sinne des Wortes - Kleingedruckten auf der Rückseite »© 2012«, aber was besagt das schon über das Datum des Auftritts? Nichts! Und auch das veröffentlichende Label sfm - The Store For Music ist eher bekannt für seinen alten Back-Katalog als für wirklich aktuelle Neuerscheinungen. Und wo es doch gerade auf Weihnachten zugeht, da macht man sich halt so seine Gedanken.
Doch diese Gedanken sind unbegründet: Das Album heißt schließlich "Guilty Pleasure Tour", und wer es nicht ohnehin bereits weiß, findet unter diesem Stichwort bei Google (noch) an erster Stelle die Ankündigung auf der Homepage von Meat Loaf für eine Tournee unter diesem Namen im Herbst 2011 durch Australien. Also wirklich aktuell! Auch ein näherer Blick auf die - weitgehend identische - Tracklist von CD und DVD zeigt, dass immerhin drei bzw. vier Songs von den bei o. g. letzten Alben des Protagonisten stammen; aber ich hatte in den damaligen Reviews bereits meiner Befürchtung Ausdruck verliehen, dass ich die Songs jener Scheiben zu einem späteren Zeitpunkt wahrscheinlich kaum wiedererkennen würde - zumindest nicht allein durch die Nennung des Titels. Auch drei andere Titel fallen im Rahmen der schriftlichen Erwähnung auf: Bei "You Took The Words", "Rock And Roll Dreams" und "Anything For Love" werden die Originaltitel einfach verkürzt genannt. Auch wenn dies nur wirklich eine Marginalie ist: Als »Ewig Gestriger« in Bezug auf Meat Loaf habe ich dafür wenig Verständnis.
Das Konzert beginnt mit einem 'Griff in die Mottenkiste': "Hot Patootie/Time Warp" aus dem Film "Rocky Horror Picture Show" stammt aus dem Jahr 1975 und damit aus der Zeit noch vor dem Mega-Erfolg von "Bat Out Of Hell" im Jahr 1977, dürfte aber dennoch allgemein bekannt sein. Im Hintergrund der Bühne laufen die entsprechenden Filmsequenzen auf einer großen Leinwand. Das geht schon recht rockig/flockig los, doch beim Einsetzen des Gesangs merkt man sofort, dass sich Meat Loaf durchaus anstrengen muss. Gut, dass ihn die Band auch mit starkem Background-Gesang unterstützt. Nachdem ich von dem vorliegenden Album zunächst die CD-Fassung gehört hatte, freute ich mich schon darauf zu sehen, wie Meat Loaf den hier zu hörenden Aufforderungen aus dem Film »It's just a jump to the left, and then a step to the right. With your hands on your hips you bring your knees in tight« nachkommen würde. Doch Fehlanzeige: Er steht ziemlich steif zwischen seinen beiden (hier) Tänzerinnen und schaut ein wenig tumb aus der Wäsche. Schade!
Der Übergang zu "If It Ain't Broke, Break It" vom "Bat III"-Album aus dem Jahr 2006 ist relativ krass. Und die vorliegende Präsentation macht bereits deutlich, welche Schwierigkeiten Meat Loaf heutzutage hat, richtig singen zu können. Sein Gesang verkommt mehr und mehr zu einer Art Sprechgesang, das nicht genaue Treffen der richtigen Töne wird durch weitergehende Modulationen kaschiert, die nicht mehr unter 'künstlerischer Freiheit' abzuhaken wären. Und noch etwas fällt bereits hier allzu deutlich ins Auge: Die Kameraführung ermöglicht es, relativ weit in den Mund von Meat Loaf hineinzuschauen, wo man eine unnatürlich rote Zunge sehen kann, die in der Farbe dem roten Tuch nahe kommt, das an seinem Mikrophon hängt. Ursache für diese Verfärbung ist offensichtlich ein entsprechender Kaugummi, der im hinteren Bereich des Kiefers auf den Zähnen klebt und ebenfalls regelmäßig zu sehen ist; das ist allerdings schon leicht unappetitlich. Insgesamt ist der Song m. E. der schwächste auf dem vorliegenden Album und wäre geeignetes Kürzungspotenzial zugunsten eines besseren Songs (dazu noch unten) gewesen.
Fast übergangslos geht es in DEN Song aller Songs über, und das Publikum tobt bereits bei den ersten Tönen: "Bat Out Of Hell", und Meat Loaf nimmt mit teilweise recht stierem Blick die Huldigungen des Publikums entgegen. Sehr schön - auch optisch - der erste Auftritt 'der Geige' in Person der erst 20-jährigen Ginny Luke. Bei dieser Gelegenheit sei bereits jetzt festgestellt, dass die 22. Besetzung seines "Neverland Express" (s. die akribische Auflistung bei Wikipedia) erstklassig auftritt und den Frontmann durchweg bestens unterstützt; man merkt deutlich, dass einige der Musiker Meat Loaf schon seit einigen Jahren begleiten. Allen voran Paul Crook mit einer rockigen, oftmals an Brian May erinnernden Gitarre, unterstützt von den weiteren Gitarristen Randy Flowers und David Luther, der zudem nebenbei (bzw. in erster Linie) Saxofon und Keyboard spielt. John Miceli an den Drums treibt das Projekt kräftig voran, von dem mehr im Hintergrund wirkenden Bassisten Danny Miranda unprätentiös unterstützt. Für das Melodische ist in erster Linie der noch junge Pianist Justin Avery zuständig, der diese Aufgabe geradezu begeisternd meistert und in seinen Interpretationen sehr stark an Jim Steinman erinnert, den für die größten Erfolge von Meat Loaf verantwortlichen, kongenialen Komponisten und Tastenmann. Und was die bereits genannte Ginny Luke auf ihrer futuristisch anmutenden E-Geige darbietet, ist wirklich beeindruckend.
Mit dabei ist auch wieder bzw. immer noch Patti Russo, die seit fast 20 Jahren (mit kurzer Unterbrechung) die für die schönsten Duette mit Meat Loaf verantwortliche weibliche Lead-Sängerin ist. Bei Nahaufnahmen von ihr muss man leider feststellen, dass der natürliche Alterungsprozess auch vor ihr nicht Halt macht; sie wirkt - schwarz gekleidet und mit schwarzer Haarespracht - manchmal wie eine Mischung aus Alice Cooper und einer wildgewordenen Nina Hagen; doch stimmlich hat sie es nach wie vor voll drauf. Vorliegend singt sie Meat Loaf in den Duetten, zumindest was die Kraft der Stimme angeht, praktisch an die Wand! Und doch sind es gerade diese Duette, die - oft fast schon theatermäßig inszeniert - den Reiz der vorliegenden DVD ausmachen.
"You Took The Words" wird mit allein auf dem Piano gespielter Melodie eingeleitet, und auch, als unter dem einsetzenden Jubel des Publikums mit »On a hot summer night« der klassische Wortdialog einsetzt, wird diese ursprünglich a-capella vorgetragene Passage vom Pianospiel untermalt. Durchaus reizvoll, doch ich frage mich ernsthaft, warum an dieser Stelle die Bühne weitgehend unbeleuchtet erscheint und lediglich der Pianist im Scheinwerferlicht erstrahlt. Ein parallel durchgeführter Vergleich gibt leider schnell Gewissheit: Es handelt sich bei diesem Dialog um die Originalaufnahme aus dem Mega-Album "Bat Out Of Hell" aus dem Jahr 1977. Ich kann es kaum glauben: Warum tragen nicht Meat Loaf und Patti Russo den Dialog aller Dialoge aus seinem musikalischen Œuvre »live und in Farbe« auf der Bühne vor? Wenigstens das müsste er doch noch einigermaßen ausdrucksvoll hinkriegen? Aber genauso ist er bereits beim letzten auf CD dokumentierten Live-Auftritt aus dem Jahr 2004 (mit dem Melbourne Symphony Orchestra) vorgegangen. Ansonsten ist der vorliegende Video-Mitschnitt deutlich länger als die CD-Version, da Meat Loaf die Interpretation plötzlich abbricht und in einen längeren Monolog verfällt, in dem er im Stile eines amerikanischen Predigers auf das Publikum einwirkt und sich von diesem regelrecht feiern lässt. Das ist schon okay, und auch dem Publikum hat es sicht- und hörbar Spaß gemacht; auf der CD wäre das so nicht rüber gekommen.
Überhaupt das Publikum: Die Australier sind offenbar besonders begeisterte Fans von Meat Loaf und dementsprechend besonders für Live-Aufnahmen zu gebrauchen. Wie anders ist es ansonsten zu erklären, dass auch die letzte, o. g. Live-CD auf dem Subkontinent aufgezeichnet worden ist? Aus demselben Grund ist daher wahrscheinlich die Blu-ray-Ausgabe des vorliegenden Konzerts bislang auch nur in Australien veröffentlicht worden. Das Publikum im - soweit man das in den wenigen Bildtotalen der DVD erkennen kann - offenbar ausverkauften Sydney Entertainment Center (über 13.000 Plätze) geht erkennbar in der Tat begeistert mit, wenn Meat Loaf es wiederholt choreografiert.
Auf der DVD folgt nach "You Took The Words" "Rock And Roll Dreams" ("Come True", so auf dem "Bat Out Of Hell II"-Album bezeichnet), von Paul Crook mit akustischer zwölfsaitiger Gitarre eingeleitet in einem Stil, wie ihn auch Joe Bonamassa in seinen Konzerten gerne immer mal wieder zum Besten gibt; auch hier wirklich klasse! Auch in diesem Stück kann die Band eins ums andere Mal beweisen, wie stark sie ist; insbesondere David Luther legt am Ende ein Saxofonsolo hin, dass es einem warm ums Herz wird; Meat Loaf gerät in dieser Phase mehr und mehr zum Statisten - und er scheint es zu spüren, denn seine Gesten machen den Eindruck, dass er sich als den Star ansieht; aber wahrscheinlich gibt er hier mal wieder den Schauspieler, als den er sich selbst gerne sieht. Dieser Song hätte problemlos jedenfalls bis zu einem Break nach etwa sieben Minuten noch gut auf die CD gepasst, und bei der von mir präferierten Streichung von "If It Ain't Broke, Break It" wäre auch die komplette Wiedergabe einschließlich des insgesamt vierminütigen Saxofonsolos möglich gewesen. Schade einfach!
Nach der herrlichen Rockballade "Anything For Love" wird das romantische "Two Out Of Three Ain't Bad" durch ein tolles Akustikgitarrensolo von Randy Flowers eingeleitet. Doch während dieses Intro auf der CD Index-mäßig diesem Song zugeordnet ist, hängt es auf der DVD dem vorherigen Stück an und ist daher nicht direkt ansteuerbar. Schade und nicht erklärbar! Und wieder einmal - solo und ziemlich ausgiebig - diese starke und einfühlsame Geige - das ist schon großes Theater! Zum Wegträumen ist dieser auf der CD mit zwölfeinhalb Minuten längste Track, der auf der DVD noch durch eine Vorstellung der jüngsten Bandmitglieder unterbrochen und damit verlängert wird!
Und dann folgt (leider nur) auf der DVD allergrößtes Theater: "Paradise By The Dashboard Light" ist eine grandiose Show, insbesondere wie Meat Loaf Publikum und Band wechselseitig choreografiert! Herrlich auch, wie er in seinen Monologen mit seinem Alter und der Rolle des Mannes gegenüber der Frau kokettiert - unbedingt genau hinschauen bzw. -hören! Das Ganze über 22 Minuten: grandios!
Zum Schluss kommt dann tatsächlich ein - wenigstens für mich - neuer Song: "Boneyard" wurde offenbar bislang lediglich als Rückseite der Single "Los Angeloser" veröffentlicht, die nach meinen Informationen zudem nur als mp3-Download verfügbar sein soll. Eine Meat Loaf-Nummer der neueren Generation und daher nicht weiter bemerkenswert. Mit dem sich übergangslos anschließenden "All Revved Up With No Place To Go" schließt sich der Kreis zu "Bat I" (über die das Konzert beendende, m. E. recht geschmacklose Showeinlage möchte ich an dieser Stelle kein weiteres Wort verlieren).
Auf der DVD befindet sich nun noch eine umfangreiche Dokumentation über die "Guilty Pleasure Tour" als solche, in der auch Meat Loaf ausführlich zu Wort kommt. Hier macht er einen durchaus kräftigen Eindruck. Diese Doku rundet das Konzerterlebnis gut ab.
Ich bin hin- und hergerissen: Einerseits sind die gesanglichen Schwächen von Meat Loaf nicht zu ignorieren und äußerst bedauernswert. Über weite Teile des Konzerts wirkt er wie der 'Teddy Bear', den er im Titel seiner vorletzten CD angesprochen hat. Andererseits wird hier insgesamt eine grandiose Show abgeliefert, die - insbesondere im Vergleich zu der letzten Live-Aufnahme zusammen mit The Melbourne Symphony Orchestra - wesentlich 'echter' rüberkommt und nicht so weichgespült klingt. Auch wenn dies in erster Linie der Erfolg der Band ist: Ohne Meat Loaf an der Front wäre auch dieser Band der Erfolg versagt. Letztendlich kann ich daher aus voller Überzeugung sagen: »Danke, Meat Loaf für dieses tolle Konzert, das ich mir sicherlich noch öfters anschauen und auch nur anhören werde«.
Dennoch befürchte ich, dass es - jedenfalls für mich - den Schlusspunkt bildet.
Line-up:
Meat Loaf (vocals)
Justin Avery (piano, keyboard, synthesizer, backing vocals)
Paul Crook (eectric & acoustic guitars, keyboard, synthesizer, loop programming)
Randy Flowers (electric & acoustic guitars, vocals)
David Luther (saxophone, keyboard, guitar, backing vocals)
John Miceli (drums, percussion)
Danny Miranda (electric & upright bass)
Ginny Luke (violin, keyboard, vocals)
Patti Russo (lead & backing vocals)
Tracklist
DVD:
01:Hot Patootie/Time Warp
02:If It Ain't Broke, Break It
03:Bat Out Of Hell
04:Peace On Earth
05:Living On The Outside
06:Los Angeloser
07:You Took The Words
08:Rock And Roll Dreams
09:Stand In The Storm
10:Anything For Love
11:Two Out Of Three Ain't Bad
12:Paradise By The Dashboard Light
13:Boneyard/All Revved Up
CD 2:
01:Hot Patootie/Time Warp (4:10)
02:If It Ain't Broke, Break It (3:55)
03:Bat Out Of Hell (11:51)
04:Peace On Earth (6:51)
05:Los Angeloser (4:46)
06:You Took The Words (5:56)
07:Stand In The Storm (5:05)
08:Anything For Love (8:45)
09:Two Out Of Three Ain't Bad (12:35)
10:Boneyard/All Revved Up (8:07)
Externe Links: