Eine 'Membran' ist ein dünnes Häutchen, das manche Dinge durchlässt, und andere nicht. »Die Existenz von Leben in der uns bekannten Form wäre ohne Membranen nicht denkbar«, schreiben die Wissenschaftler Thomas Melin und Robert Rautenbach in ihrem Buch über "Membranverfahren".
Diese Membran beweisen, dass auch Leben in einer uns bislang unbekannten Form möglich ist. 'Schizophoniclifestyle' lautet das Stichwort. Erfunden hat's die Band Membran aus dem saarländischen Saarbrooklyn; und sie liefert mit dem Album "Newsick" den passenden Soundtrack, ach was ... die Bibel dazu! Als Hörbuch. Lange wurde gebastelt, verschoben und verfeinert - nun können psychisch standfeste Grenzgänger-Genießer und auch die, bei denen ohnehin schon alles zu spät ist, sich an diesen 14 kleinen Kapiteln kontrolliert abgegebenen akustischen Wahnsinns erfreuen.
Membran machen eine Art Mix aus Metalcore, Downbeat, Punk, ultraspeedigem Thrash, Alternative, Nu, Old ... und dabei in ausgesprochen avantgardistischer Manier, was sie gerade wollen. Sie nennen es 'ElectrOMetaLPoPRocKFucKPunKNoisE' und brauchen dafür kein Patent, weil's eh keiner nachmachen würde. Und wie beschreibt man dat nu? Spontane Gedanken nach dem geschätzt zwanzigsten Hördurchgang: Biestige Gitarren-Riffs, breit verzerrt, irre laut und gern mal übersteuert treiben den Hörer ziemlich atemlos vor sich her. Und das derart sprunghaft, dass man, wenn man nicht den Tracks im Display folgt, zuweilen Probleme hat, einzelne Songs als solche zu identifizieren.
Insbesondere Frontgiftspucker Jörn Dreßler aka Freaky Jörn trägt maßgeblich zur extraordinären Außenwirkung der Musik bei. Er klingt wie eine Mischung aus Psychopath in Zwangsjacke und Gremlin im Gartenhächsler. Freaky Jörn geht gerne unfreundlich zur Sache - schon in den ersten subvokalen Äußerungen des Openers "Dr Caligari (Don't Piss Down My Back And Tell Me It's Raining!)" keift er einfach mal wie ein angestochenes Raubtier die Staccato-Riffs der Gitarre mit. Schon bald werden es 'echte' Wörter; und die Band warnt zurecht: »Eventuell empfinden Sie die Inhalte der Texte/Seite als jugendgefährdend. Sollte das der Fall sein, FUCK OFF ...« Aber keine Sorge, sooo viel versteht man davon auch wieder nicht.
In dem, was er da tut, ist Freaky Jörn übrigens gnadenlos gut. Innerhalb von Sekunden schwenkt er hin und her zwischen dämonischem Gezische und monströsem Urzeit-Geshoute. "Dogface", zum Beispiel, klingt, als ob Rumpelstilzchen auf Speed irgendwelche Kinderreime vor sich her singt und plötzlich von Godzilla gefressen wird. Wenn hin und wieder cleaner Gesang aus den Boxen kommt, wirkt das schon beinahe wie ein Gag. Die Pointe folgt mit Karacho. Ruhepausen gibt's aber auch - ohne die wäre die härteste Mucke doch nichts wert, oder? Clean-Gitarren-Passagen tauchen hin und wieder auf und bieten die Chance, die Synapsen zu sortieren. "Crack" beginnt sogar regelrecht nachdenklich und leise. Später gibt's aber noch einen aggressiven Mix aus Rage Against The Machine und Beastie Boys.
Auch Groove-lastige Midtempo-Riffs wie in "Awake" lassen einen zwischendurch Luft holen und auch mal erfolgreich über mehrere gerade Takte hinweg headbangen. Hier und da kristallisieren sich gar echte, mitsingbare Refrains heraus, bei "Dirty", zum Beispiel, aber vor allen Dingen bei der Bandhymne schlechthin, "Schizophoniclifestyle" - was für ein geiler Chorus, der da heavy schleppend und Bulldozer-like vor sich hin walzt!
Membran sind extrem - und sie sind auch extrem gut! Die multiplen musikalischen Ausbrüche von Wahnsinn werden von Könnern verursacht, die außerordentlich versiert an ihren Geräten rumfuchteln. Nebenbei gehört zum Performen dieser musikalischen Kunstform auch eine sagenhafte Gedächtnisleistung. Aber Genie und Wahnsinn lagen ja schon immer nah beisammen. "Newsick" ist ein großes technisches Hallo mit dem Charme eines Kettensägenmassakers.
Nebenbei sind Membran auch sprachwissenschaftlich interessant: Eigentlich gibt es keine Steigerung von 'anders' - Membran sind aber viel anderster als andere. Am Reinhören führt da mangels Referenzen wohl kein Weg vorbei. Aber Vorsicht - obwohl eine 'Membran' laut Definition ein 'dünnes Häutchen' ist, braucht man schon ne dicke Haut!
Line-up:
Jörn Dreßler (vocals, guitars, samples)
Roland Jene (drums, FX)
Kris Schulte (guitars, backing vocals)
Jörg Engel (bass, backing vocals)
Tracklist |
01:Dr Caligari [Don't Piss Down My Back And Tell Me It's Raining!] (3:09)
02:Unfrozen (3:44)
03:SoRrY (3:28)
04:Awake (2:28)
05:Schizophoniclifestyle (2:25)
06:Dogface (2:05)
07:Wicked (3:07)
08:The Game (2:17)
09:Incrowd [Decadence Zero] (4:17)
10:Dirty (2:44)
11:Crack (3:07)
12:Jawbreaker (2:22)
13:Betty (3:49)
14:Backdoor [Final Exit / incl. Hidden Track] (13:54)
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