Mötley Crüe / Saints Of Los Angeles
Saints Of Los Angeles Spielzeit: 44:32
Medium: CD
Label: Mötley Records, 2008
Stil: Sleaze Rock, Glam Metal, Hair Metal, Hard Rock


Review vom 21.07.2008


Moritz Alves
Über zehn Jahre ist es her, dass Mötley Crüe zuletzt ein Album in Originalbesetzung veröffentlichten. Und jetzt, das Jahr 2008 ist zur Hälfte gelaufen, bekommen die Fans endlich das, was sie verdient haben: Die Herren Nikki Sixx, Mick Mars, Vince Neil und Tommy Lee hauen uns nämlich ein hammerhartes Comeback-Album um die Ohren!
Mit dem Wort 'Comeback' greift man dabei allerdings etwas zu weit, denn die Crüe war ja nie wirklich weg: Das 2000er Album "New Tattoo" (mit Randy Castillo (R.I.P.) am Schlagzeug), der Auftritt bei Rock am Ring (2005), die DVD "Carnival Of Sins" (2005) sowie mehrere Compilations und Best-Ofs trugen dazu bei, dass die Ikonen des Sleaze im Gespräch blieben - nicht zuletzt natürlich auch aufgrund der unvergleichlichen Bandbiographie "The Dirt" (2002). Machen wir uns dennoch nichts vor: Seit dem letzten, regulären Studioalbum sind acht Jahre ins Land gezogen und es wurde wirklich Zeit, dass sich die Herren in alter Frische zurückmeldeten.
Das haben sie in den letzten Monaten dann auch wirklich getan, denn mit der brandneuen Scheibe "Saints Of Los Angeles" und parallel dazu der "Crüefest"-Festivaltour (vorerst leider nur in Nordamerika) ist der Vierer plötzlich wieder voll und ganz da. Ganz nebenbei haben Mötley Crüe damit übrigens auch meinen Musikwunsch für dieses Jahr erfüllt - auf das Album hatte ich nämlich ganz besonders gehofft! Die Herren haben sich endlich aufgerafft, sich am Riemen gerissen und ein vor Sleaze und Glam strotzendes Überalbum eingespielt, das ihnen viele so sicher nicht mehr zugetraut hätten. Es ist darüber hinaus die erste Studioscheibe mit Tommy Lee seit "Generation Swine" (1997).
Auch wenn Mötley Crüe sicherlich niemals auch nur annähernd heilig waren und es aufgrund ihrer dekadenten Vergangenheit wohl auch nie sein werden, ist der Titel des neuen Langeisens gerechtfertigt. Kaum eine andere Hard Rock-Band ist so untrennbar mit ihrer Heimatstadt verbunden und identifiziert sich so damit, wie es die Crüe schon immer getan hat.
Es ist das Buch "The Dirt", zu dem in der dreiviertelstündigen Spielzeit quasi der schmutzige Soundtrack geliefert wird. Die Band hat ihre Geschichte auf Silberscheibe gebannt und auch gleich den Urtyp des Sleaze Rock bzw. Glam Metal vertont. Seit 1981 ihr Debütalbum "Too Fast For Love" erstmalig erschien, ist ein ganzes Genre, eine ganze Szene entstanden, welche die Rockwelt der 1980er in kommerzieller Hinsicht bestimmen sollte: Unzählige Bands folgten den Mötley-Boys, konnten ihnen aber in Sachen Sex-, Drogen- und Rock'n'Roll-Exzessen niemals das Wasser, ähm, die Pulle Jack Daniel's reichen. Diese Band repräsentiert die gesamte L.A.-Metalszene der 1980er Jahre wie keine zweite und spielte als solche unsterbliche Meilensteine wie "Shout At The Devil" (1983) oder "Dr. Feelgood" (1989) ein.
Die Band übertrifft sich auf diesem neunten Studioalbum quasi selbst und reckt den Stinkefinger trotzig all denjenigen entgegen, die sie schon voreilig abgeschrieben hatten. Das neue Werk ist nämlich zum Bersten gefüllt mit purer Energie: Angefangen beim düster-bedrohlichen Intro "L.A.M.F." bis hin zu den letzten Tönen von "Goin' Out Swingin'" drückt die kräftige, fette Produktion alles nieder, was sich ihr in den Weg stellt. Eines kann an dieser Stelle also glücklicherweise festgehalten werden: Die vorab im Internet präsentierte Single "Saints Of Los Angeles" hält, was sie versprochen hatte.
Die Herren rocken wie in alten Tagen: Das charakteristische Schlagzeugspiel von Tommy Lee (einem der besten Rock-Drummer der Welt) ist genauso vertreten wie die fetten Akkorde von Mick Mars, der packende, sleazy Riffs raushaut und prägnante, knackige Soli zockt. Auf der anderen Seite ist da natürlich der mächtige Bass von Nikki Sixx, der alles zusammenhält, sowie ein über allem thronender Vince Neil, der seit circa zwanzig Jahren nicht mehr so gut bei Stimme war wie hier!
Wenn die Band in das erste Riff von "Face Down In The Dirt" einsteigt, ist die Welt schlagartig wieder in Ordnung. Der Song macht nämlich gleich zu Anfang ordentlich Druck und verdeutlicht, dass die Crüe rein gar nichts verlernt hat. Hier wird eine Marschrichtung vorgegeben, von der im Folgenden kaum abgewichen wird. Das darauf folgende "What's It Gonna Take" nimmt das Tempo etwas raus und groovt solide vor sich hin. Klasse! Mick Mars schüttelt sich ein typisches Solo aus dem Ärmel, das jedem Fan ein breites Grinsen aufs Gesicht zaubert. Überhaupt ist der Gitarrist auf dieser Scheibe wieder über jeden Zweifel erhaben. Und weiter geht es mit "Down At The Whisky", einer schmutzigen Hymne, die sich gnadenlos in den Gehörgängen einnistet. Allein diese ersten drei Kracher treiben mir die Freudentränen in die Augen, so dass ich im Grunde schon jetzt glücklich sterben kann.
Doch es gibt keine Verschnaufpause, hinlegen und abtreten ist nicht drin. Denn der darauf folgende Titeltrack ist ein traditioneller Crüe-Hit, wie er im Buche steht. Durch solche Songs ist die Band damals groß geworden! Ich kann es kaum fassen, dass ich solche Qualität noch mal erleben darf! Der zweifellos größte Ohrwurm, den Nikki Sixx in über zehn Jahren geschrieben hat steht somit für alles, was die Musik dieser Band ausmacht und repräsentiert das Album verdammt gut. Der Zusatz 'Gang Vocal' resultiert übrigens daraus, dass die Sänger der anderen Crüefest-Bands im Refrain kräftig mithelfen: so steuern Josh Todd (Buckcherry), Jacoby Shaddix (Papa Roach), James Michael (Sixx:A.M., außerdem Produzent dieses Albums sowie langjähriger Freund und Songwriting-Partner von Nikki Sixx) und Chris Taylor Brown (Trapt) ihre Stimmen bei und sind darüber hinaus auch im Videoclip zu sehen. Ein cleverer Promotion-Schachzug!
Das darauf folgende "MF Of The Year" (das Kürzel steht natürlich für nichts anderes als 'motherfucker') ist eine modern angehauchte, fette Sleaze-Perle. "The Animal In Me" würde, opulenter arrangiert, auch einem Meat Loaf bestens zu Gesicht stehen - dieser Song tanzt deshalb ein ganz kleines bisschen aus der Reihe und sorgt inmitten der Scheibe für etwas Abwechslung. Hier hat Nikki Sixx wohl aus seiner Songwriting-Arbeit für eben jenen Meat Loaf ("Bat Out Of Hell III - The Monster Is Loose" [2006]) geschöpft. Super arrangierte Nummer! "Welcome To The Machine" ist dann wieder ein geradliniger Rocker, der verdammt noch mal Dampf macht und ohne Pause direkt in die Fresse geht. Eines der Highlights sowie auch einer der druckvollsten, dreckigsten Tracks der Scheibe.
"Just Another Psycho" geht (zumindest im Refrain) in eine ähnliche Richtung wie schon "The Animal In Me" und stellt damit die zweite kleine Variation dar. Die letzten vier Stücke sind wieder astreine Crüe-Kost und geben dem hungrigen Fan genau das, was er sucht. "Chicks = Trouble" rockt schmierig, "This Ain't A Love Song" stampft amtlich, "White Trash Circus" packt den leicht beschwingten Groove aus und "Goin' Out Swingin'" macht am Ende noch mal richtig Dampf. Es ist die flotteste Nummer der Scheibe und außerdem ein Song, der erst in letzter Minute im Studio entstanden ist. Danke, dass uns dieses Schmankerl nicht vorenthalten wurde!
Fazit: Ich bin mehr als positiv überrascht. Was "New Tattoo" andeutete und was die zwei neuen Songs der letzten Best Of "Red, White & Crüe" (2005) bereits erahnen ließen, ist in Form von "Saints Of Los Angeles" Wirklichkeit geworden: Mötley Crüe können endlich wieder rocken wie in alten Tagen und präsentieren den alteingesessenen Anhängern ihr bestes, traditionellstes Werk seit "Dr. Feelgood". Der Sleaze-Thron war verwaist, doch jetzt sind die Könige zurück - das hier ist Beweis genug dafür! Wer die Band nach Genuss dieser Scheibe nicht mag, konnte mit dieser Art Rockmusik entweder sowieso noch nie was anfangen oder muss schlicht und einfach taub sein. Solch eine starke Scheibe muss ihnen erst mal einer nachmachen. Doch wie es in "Face Down In The Dirt" so schön heißt: »It's a dirty job but someone's gotta do it.«
Antesten sollte man auf alle Fälle die Songs "Face Down In The Dirt", "Down At The Whisky", "Saints Of Los Angeles", "The Animal In Me", "Welcome To The Machine", "Chicks = Trouble" und "Goin' Out Swingin'" - wobei Crüeheads und auch andere Freunde des dreckig-schmierigen Hard Rocks das Album eigentlich ohnehin blind kaufen können.
Anmerkung: Schade ist, dass das Booklet der CD lediglich große Aufnahmen der Bandmitglieder enthält und man für Lyrics, Dankeslisten und spezielle Features auf die Seite motley.com zurückgreifen muss.
Line-up:
Vince Neil (vocals)
Nikki Sixx (bass)
Tommy Lee (drums)
Mick Mars (guitar)
Tracklist
01:L.A.M.F. (1:23)
02:Face Down In The Dirt (3:46)
03:What's It Gonna Take (3:48)
04:Down At The Whisky (3:52)
05:Saints Of Los Angeles [Gang Vocal Version] (3:42)
06:MF Of The Year (3:58)
07:The Animal In Me (4:18)
08:Welcome To The Machine (3:03)
09:Just Another Psycho (3:39)
10:Chicks = Trouble (3:15)
11:This Ain't A Love Song (3:28)
12:White Trash Circus (2:53)
13:Goin' Out Swingin' (3:27)
Externe Links: