Spielzeit: 46:57 (CD 1), 56:04 (CD 2) Medium: Do-CD Label: Steamhammer/SPV, 2007 Stil: Heavy Rock Review vom 19.08.2007 Markus Kerren

Was für manche vorgestern Blümchen war, war gestern Jeanette Biedermann. Und was für manche gestern Sasha war, ist heute Xavier Naidoo. Aber für alle, die in diese Welt ab dem Jahr 1975 geboren wurden, gab es immer schon die Sonne, den Mond und Motörhead. Okay, der letzte Satz ist teilweise ziemlich dreist von Keith Richards bezüglich seiner Rolling Stones geklaut, deshalb aber nicht weniger wahr.
Motörhead wurden anno 2005 dreißig Jahre alt, und um diesen runden Geburtstag gebührend zu feiern, buchte man in London eine Konzerthalle, um die Party so groß wie möglich aufzuziehen.

Und wo sonst als im Hammersmith Apollo, dem ehemaligen Hammersmith Odeon, das durch den Namen der ersten und unerreichten Motörhead-Live-Scheibe "No Sleep Til Hammersmith" verewigt wurde, konnte diese Show stattfinden? 5000 Fans ließen sich nicht lumpen und erschienen zu dem Fest, das mir jetzt mit dem Namen "Better Motörhead Than Dead" als Doppel-CD in einem feinen Digi-Pack vorliegt.

Das Trio rockt sich durch frühe Songs wie u.a. "Over The Top", "Love Me Like A Reptile" und "No Class", würdigt die mittlere Phase mit "Dr. Rock", "I Got Mine", "Just 'Cos You Got The Power" oder "Dancing On Your Grave" und lässt auch Highlights des 2005 aktuellen Longplayers "Inferno" mit "Killers", "In The Name Of Tragedy" und "Whorehouse Blues" nicht außen vor.

Sehr positiv fällt auf, dass es im Vergleich zum letzten offiziellen Live-Album der Band, "Everything Louder Than Everything Else" von 1999, inklusive der unverzichtbaren Tracks wie z.B. "Ace Of Spades", "Bomber", "Iron Fist", "Killed By Death", "Going To Brazil" oder "Overkill", nur zu insgesamt elf Songüberschneidungen kommt. Das mag sich zwar immer noch viel anhören, jedoch sind diese Stücke aus einem Motörhead-Set einfach nicht wegzudenken.

Und die Performance an sich? Man könnte es so ausdrücken: Was für den Einen das Ultimative einer Live-Scheibe ist, ist für den Anderen der größtmöglich anzunehmende Unfall. Es wurde nämlich schlicht und ergreifend nur dieses eine Konzert vom 16. Juni 2005 mit allen Höhen und Tiefen mitgeschnitten und auch nicht nachbearbeitet. So etwas erzeugt natürlich eine höchstmögliche Authenzität, beinhaltet aber auf der Gegenseite auch sämtliche Verspieler, falsche Einsätze und hier und da mal eine schiefe Note beim Gesang von Mr. Kilmister. Einem konzerterprobten Motörhead-Freak wird dies natürlich keinen Zacken aus der Krone brechen, denn so kennt und liebt er seinen etwas seltsamen Waliser, seinen alten Schweden und den unverwüstlichen 'Uncle Rotter'. Der Freund rein ästhetischer Töne konnte sowieso noch nie was mit diesem Dreier anfangen und wird auch von "Better Motörhead Than Dead" nicht überzeugt werden können.

Ich persönlich liebe diese Zeitdokumente mit all ihren Stärken und Schwächen, was ich ja auch schon in Bezug auf Richard Manuel dokumentieren konnte. Als ich mich gerade intensiv mit dieser Doppel-CD befasste, brachte mein Kollege Norbert den alten Spruch »Als Sex noch sicher und die Musik noch gefährlich war« ins Spiel. Ein Spruch, der auf dieses Album teilweise wie die Faust aufs Auge passt, denn diese Band ist immer noch verdammt gefährlich!
Und das haut sie jedem Zuhörer mit Nachdruck um die Ohren.

Hier noch auf die einzelnen Songs genauer einzugehen wäre in etwa so, als wenn man versuchen würde, einem Deep Purple-Fan den Song "Smoke On The Water" zu erklären. Wer sich jemals für Motörhead interessiert hat, der weiß Bescheid und kennt seine Pappenheimer. Ich habe mich bei diesem Doppeldecker am meisten über die seltener gespielten Stücke "Over The Top", "I Got Mine", "Dancing On Your Grave" und das völlig unterschätzte "Love For Sale" gefreut.

"No Sleep Til Hammersmith" wird wohl für immer das ultimative Motörhead-Live-Dokument bleiben, aber hier halten wir immerhin ein authentisches Stück Bandgeschichte vom Juni 2005 in den Händen, das beweist, dass die Jungs noch längst keine alten Säcke sind.
Im Gegenteil, Motörhead sind ihr Geld immer noch wert.

Line-up:
Lemmy Kilmister (bass, vocals)
Phil Campbell (guitars)
Mikkey Dee (drums)