The Murder Of My Sweet / Divanity
Divanity Spielzeit: 53:52
Medium: CD
Label: Frontiers Records, 2010
Stil: Melodic Metal

Review vom 05.02.2010


Boris Theobald
The Murder Of My Sweet - komischer Name, ungewöhnliche Band. Passt aber super, denn diese brandneue schwedische Combo schickt sich mit ungewöhnlichen Konzepten an, neuen Schwung in die Welt des Frontfrauen-Heavy Metals zu bringen. Treibende Kraft ist Daniel Flores. Der in Chile geborene Musiker, der schon seit seiner Kindheit in Schweden lebt und in Stockholm Musik studiert hat, ist in der Welt der harten Musik längst kein unbeschriebenes Blatt mehr. Er verdingt sich als Drummer, vor allem im Melodic Rock/ Metal-Bereich (u.a. The Codex, Crash The System) und als Produzent und Toningenieur mit eigenem Studio. Das beständigste und auch persönlichste seiner zahlreichen Projekte ist und bleibt die Band Mind's Eye - eine gute Adresse im internationalen Prog Metal-Geschäft!
The Murder Of My Sweet wollen dem spontanen Vernehmen des Hörers nach reichlich wenig damit zu tun haben - obwohl Mind's Eye-Basser Johan Niemann ein Teil der Band ist. Galionsfigur ist Sängerin Angelica Rylin, die auch in - der (elektronischen) Maskenbildnerkunst sei Dank - reichlich denaturierter Form das Cover des Debütalbums "Divanity" ziert. Beim ersten Blick wird schon klar, dass da etwas Unkonventionelles hinterstecken muss, und so ist es auch. Der Bandname The Murder Of My Sweet entstand in Anlehnung an den 1944er-Hollywoodstreifen "Murder, My Sweet", in dem die Raymond Chandler-Romanfigur Philip Marlowe, gespielt von Dick Powell, in Los Angeles für Gerechtigkeit in einer ungerechten Welt sorgt. Marlowe ist eine Art Prototyp des desillusionierten Privatdetektivs mit Vorliebe für Frauen und Whiskey und immer mit einer Zigarette in der Hand.
Dieses bedrückende, schwarz-weiße Flair des düsteren so genannten 'Film Noir' will The Murder Of My Sweet laut eigener Ansage einfangen. Musikalische Umsetzung findet diese Ambition in einer Vielfalt an Einflüssen quer durch den Garten der Hard'n'Heavy-Welt - alles von den Beatles bis zu Cradle Of Filth, wie die Band es selbst ausdrückt, wohl nicht ganz ohne Selbstironie. Jedenfalls ist der musikalische Beutezug nicht ohne ein amtliches Ergebnis geblieben. Der Sound der Band ist geprägt von modern klingenden, harten Gitarren, aufgemotzt durch breitwandigen Orchester-Bombast. Dazu kommt der theatralische Gesang von Frontdame Angelica Rylin, die in den Refrains äußerst Ohrwurm-verdächtige, leidenschaftliche Melodien zum Besten gibt.
Zusammen ergibt das einen kraftvollen Melodic Metal, teils mit Alternative- und (vor allem) Gothic-Schlagseite, der durch seine schön schaurigen, monströs Orchester-gefluteten Atmosphären durch Mark und Bein geht. All dieser Bombast steckt voller ausgetüftelter Details und ist tatsächlich stark von Filmmusik beeinflusst, modern abgerundet mit zahlreichen elektronischen Samples. Man könnte sich einige dieser eingängigen Songs sehr wohl als Soundtrack vorstellen. Stücke wie "Kiss Of Death" oder "Storms Of The Sea" stecken voller Sehnsucht und zugleich hochtreibender Dramatik, voller großer Emotionen und epischer Szenerien - das ist Musik, bei der unweigerlich Filme vor dem inneren Auge ablaufen. Inhaltlich geht es dann auch passenderweise um starke Gefühle - oft um innere Kämpfe, die man mit sich selbst austragen muss...
... und um die hochdramatischen, cineokriminalistischen Szenen, welche die Band ja so liebt. "One Bullet" ist hierbei so eine Art Band-Hymne (»One hit, one shot, one bullet for the murder of my sweet...«) und verströmt wie das gleichstarke "Follow The Rain" schön-schaurige, kribblig-knisternde Thriller-Stimmung. Den Glanzpunkt setzen The Murder Of My Sweet aber am Schluss mit dem mehr als sieben Minuten langen "Death Of A Movie Star". Fast schon wie ein Hörspiel ausgestattet mit Glockenklängen, Publikumsapplaus, ziemlich abgedrehten ein- und mehrstimmigen a-cappella-Stellen treiben sie ihr eigenes Band-Gimmick hier zu unterhaltsamen Blüten. Nicht ganz ohne Grund nennen sie dieses Stück auch 'ihre' "Bohemian Rhapsody".
Überlänge bleibt aber die Ausnahme. Ansonsten liefern die Schweden ganz überwiegend kompakte Tracks, die trotz ihres sperrigen Breitwand-Klangs genial ins Ohr gehen. Darunter sind nicht nur ein paar Hit-Anwärter, sondern auch schon tatsächliche 'Volltreffer' - "Bleed Me Dry", das stark nach neuen Nightwish klingt, hat es daheim in Elchland prompt in die Charts geschafft. Besonders in "Revolution" klingt man auch etwas nach den finnischen Mainstream-Metallern von The Rasmus. Wenn aber The Murder Of My Sweet gar so schnell ihren Weg Richtung Pop-Radio finden sollten, dann wäre das schon mehr als bemerkenswert. Nicht nur wegen des Härtegrades, sondern auch wegen der aufwändig und abwechslungsreich antreibenden Rhythmussektion, die sich kein bisschen in den Hintergrund drängen lässt. Damit hat Daniel Flores ein unverkennbares Markenzeichen seiner Prog-Kapelle Mind's Eye importiert.
Nur haarscharf schrammt dieses interessante Band-Debüt dann auch an allerhöchsten RockTimes-Weihen vorbei, weil sich die Musik am Ende etwas der Wiederholungsgefahr hingeben muss. Es ist aber bärenstark, was sich da (teils) wiederholt. The Murder Of My Sweet glänzen nicht unbedingt mit musikalischer Innovationskraft, dafür um so mehr mit Originalität. Optisch verleiht sich die Band selbst den letzten Feinschliff mit kultigen Kostümierungen und peppigen Fotoshootings. Die Gruppe ist zwar auch eine Art Kunst-Objekt - wenn dahinter aber großes Talent steckt und optimale Unterhaltung geboten wird, können sich die Musiker abgedrehte Auftritte ganz selbstbewusst leisten. Mit etwas gutem Willen kann man sich beim Hören von "Divanity" (= 'Diva' + 'Divine' + 'Vanity') und gleichzeitigem Betrachten der Bilder dann auch genau diese schwarz-weißen Schnüffler- und Ganoven-Thriller vorstellen, die The Murder Of My Sweet da besingen. Zum Beispiel das erste Treffen zwischen Philip Marlowe und seinem Auftraggeber Moose Malloy in "Murder, My Sweet":
»I seen your name on a blackboard downstairs...
Yeah?
I come up to see ya. You're a private eye, huh?
Thass right.
I like you to look for somebody...«

Line-up:
Angelica Rylin (vocals)
Daniel Palmqvist (guitar)
Johan Niemann (bass)
Andreas Lindahl (keyboard)
Daniel Flores (drums)
Tracklist
01:No Evil
02:Follow The Rain
03:Bleed Me Dry
04:Chemical Attraction
05:Kiss Of Death
06:One Bullet
07:Tonight
08:Storms Of The Sea
09:Destiny
10:Revolution
11:Valerie
12:Death Of A Movie Star
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