Nils Petter Molvær wird Rockfreunden bisher wenig bekannt sein, allerdings dürfte seine Musik gegenwärtigen Jazz- und Fusion-Freunden schon etwas sagen. Der 1960 auf Sula geborene norwegische Trompeter, Produzent und Komponist verbindet in seiner Musik Jazz mit Elektronik und steht damit in verwandtschaftlichem Verhältnis zu den 70er/80er Fusion-Größen. Bekannt wurde er gleich mit seinem 1997er Debüt auf ECM, "Khmer", das den Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik erhielt. In seinen bisherigen Werken (das letzte, sehr kantige "Hamada" kam 2009 heraus) knallte er dem Hörer zu heißeren Trompetentönen harte Beats um die Ohren. Er steht auch klar in der Tradition skandinavischer Jazzer, die in ihren coolen Sound regelmäßig folkloristische und Worldmusic-Einflüsse integrieren, aber auch Neuem aufgeschlossen sind. Basis waren jedoch die Beats aus Computer-Rhythmen, Drum-Machines, Samples und Loops, über die sich die Melodiestrukturen aufbauten.
Mit "Baboon Moon" ändert sich das nun. An der Seite von Molvær stehen zwei Kollegen aus dem erweiterten Rock-Lager. Der wesentlich jüngere Gitarrist Stian Westerhus, u.a. im Industrial-Duo Monolithic tätig und Schlagzeuger Erland Dahlen, der für die norwegische Indie Rock-Band Madrugada trommelte. Die Produktion überließ Molvær ebenfalls Westerhus, der den neuen Sound damit weiter entscheidend beeinflusste. Statt Elektronik bilden nun die beiden herkömmlichen (oft verfremdeten) Instrumente den Gegenpol, dazu ein ständiges indifferentes Rauschen als Grundlage. Molværs typisch gepresste Trompete geistert durch die Industrial-Klanglandschaft und inszeniert düstere Hörbilder. »Freien Schwarzen Progrock« nennt das Molvær selber, was die Genre-Fans wohl eher skeptisch kommentieren werden. Aber eine gängige Schublade passt hier eh nicht, wenngleich er auch mit "Baboon Moon" kein völliges Neuland betritt.
Die Musik auf den neun Tracks bringt andersartige Hörerlebnisse. Da ist einerseits dieses seltsame graue Hintergrundwabern, das Endzeitstimmung verbreitet. Archaisch klingt dagegen die gepresste Trompete auf Hall, zu der die wuchtigen, mitunter Doom-artigen E-Gitarren- oder E-Bassriffs seltsame Muster formen. Spannend, energiegeladen, aber nicht unbedingt ein Genuss nach melodischem Verständnis. In manchen Phasen erinnert es in seiner rauen Wildheit an Morphine oder das Frühwerk von Can. Verzerrungen, Soundschnipsel, dann auch folkloristische Instrumente wie Singende Säge oder Daumenklavier, Sphärenchor, ein Schlagzeug, das Zeitlupe trommelt und dann explodiert - "Baboon Moon" klingt avantgardistisch erruptiv, expressiv und aufwühlend, mitunter sogar zerstörerisch. Aber trotz aller Computer-Kälte, Molværs Instrument ist wie die erste blasse Sonne nach der arktischen Winternacht, wärmt, weckt Hoffnung. So zu blasen ist eine Gabe. Der Sound kommt bewusst dumpf und leicht verzerrt aus den Boxen, das depressive Moment noch verstärkend.
"Baboon Moon" ist ein weiteres Album in Molværs Schöpfungsgeschichte, das unter den aufgeschlossenen Jazz-Fans heftige Diskussionen auslösen könnte (so die sich in den mittlerweile rauchfreien Clubs überhaupt noch treffen). Ein in den meisten Belangen außergewöhnliches, progressives Stück Musik, das intellektuell fordert und den Kopf rotieren lässt. Der Norweger beweist sich als Neuerer der Fusion. Dafür sollte man gewappnet sein, wenn man die Scheibe einlegt. Am Besten (zumindest in meinem Fall) die Frau und Katzen verlässlich außer Haus, die Klingel abgestellt und die Vorhänge zugezogen, die Blutdrucktabletten griffbereit und dann aufgedreht. Step into another (dark) world ….
Was uns der Album-Titel sagen will, erschließt sich mir derzeit nicht. Schönes Cover jedenfalls. Allein deshalb würde sich eine Vinyl-Ausgabe lohnen.
Ab Mitte Oktober ist Molvær wieder in Deutschland unterwegs, siehe unsere Tourtermine.
Tracklist |
01:Mercury Heart (05:57)
02:A Small Realm (03:21)
03:Recoil (05:12)
04:Bloodline (04:04)
05:Sleep With Echoes (05:16)
06:Blue Fandango (03:05)
07:Prince Of Calm (05:03)
08:Coded (04:01)
09:Baboon Moon (07:18)
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