Spielzeit: 74:44 Medium: CD Label: CoraZong Records, 2007 (1985) Stil: Rock Review vom 12.06.2007 Markus Kerren

Es war einmal vor langer, langer Zeit in einem fernen Land, da konnte der Autor dieser Zeilen mit der Musik von The Band nicht allzuviel anfangen. Selbst ein Kinobesuch zum Film "The Last Waltz" konnte ihn nicht berühren. Und als einen Hauptschuldigen hatte er einen der Sänger, nämlich Richard Manuel, erkoren, dessen hoher Falsetto-Gesang zu "I Shall Be Released" er z.B. einfach nur schauderhaft fand.

Nun seitdem ist viel Zeit vergangen und es hat sich so einiges geändert. Unter anderem auch der Musikgeschmack des Rezensenten, der The Band mittlerweile sogar sehr mag und "The Last Waltz" als einen der großartigsten Musikfilme aller Zeiten betrachtet. Und nun flatterte mir doch glatt eine Live-Aufnahme des damals bei mir so in Ungunsten stehenden Kanadiers ins Haus.

Diese Aufnahmen stammen von zwei Konzerten vom 12. Oktober 1985, knappe fünf Monate vor dem tragischen Tod Manuels am 03. März 1986 in einem Motel-Zimmer in Florida, während einer Tour mit der (ohne Robbie Robertson) gerade erst reunionierten The Band. Und um es gleich vorwegzunehmen, wir haben es hier mit einem kleinen Juwel zu tun!

Mit Richard Manuel am Piano und Gesang sowie sporadischem Mitwirken von seinem The Band-Kumpel Rick Danko am Gesang und der Gitarre, Jim Weider an der Gitarre und Sredni Vollmer an der Harp eher spärlich besetzt, liegt das Augen-, bzw. Ohrenmerk fast gänzlich auf Manuel. Einen Teil des Charmes dieses Albums macht sicherlich aus, dass es nie für eine Veröffentlichung vorgesehen war, sondern vielmehr vom Soundmann am Mischpult 'einfach so' mitgeschnitten wurde. Also nix mit Nachbearbeitung im Studio, kleinen Ausbesserungen bezüglich des Sounds, der Instrumente und des Gesangs.

"Whispering Pines" ist Richard Manuel pur, wie er im Herbst 1985 geleibt und gelebt hat. Mit allen kleineren und größeren Fehlern und der gegen Ende der Show doch stark angegriffenen Stimme. Ein wahres Zeitdokument! Und der Mann macht Eindruck! Man kann die Atmosphäre und scheinende Aura Manuels beim Anhören der CD fast mit den Händen greifen. Dazu kommt noch, dass die Musiker glänzend aufgelegt waren, wie man bei den witzigen Dialogen von Manuel und Danko untereinander oder mit dem Publikum raushören kann. Diese Truppe hatte Spaß auf der Bühne!

Musikalisch bekommen wir mit z.B. "Across The Great Divide", "King Harvest", "I Shall Be Released" (geschrieben von Bob Dylan), "The Shape I'm In", "Chest Fever" oder "Tears Of Rage" natürlich viel Material von The Band geboten. Davon abgesehen bietet uns der Protagonist auch geballte vier (!!) Ray Charles-Songs, jeweils ein Cover von J.J. Cale ("Crazy Mama") und Cole Porter ("Miss Otis Regrets"), sowie fünf relativ kurze Piano-Instrumentals. Und die Mischung machts.

Durch den soul- und kraftvollen Gesang, die dichte Atmosphäre und die starke Authenzität wird man unverzüglich mitgerissen, taucht in die Songs ein und ist von der Präsenz Manuels einfach gepackt. Dazu kommt, dass die CD mit einem vollen, klaren und sauberen Sound zu überzeugen weiß. Von dem Sound mal abgesehen, ist dieses Album allerdings nichts für Ästhetiker oder Leute, die grundsätzlich nur Studio-Alben anhören, weil sie einfach voraussetzen, dass jeder Ton bis zur Sterilität zu sitzen hat. Für die Freunde der Live-Musik, die einen wahren Charismatiker und Vollblut-Rocker zu schätzen wissen, dem auch mal ein Ton danebengeht - dies aber mit tonnenweise Feeling mehr als ausgleicht - dem sei "Whispering Pines" allerwärmstens ans Herz gelegt.

Es war einmal vor langer, langer Zeit in einem fernen Land, da gurkte ein angehender Rezensent durch die Peripherie, der noch gar nicht wusste, wie viel er noch zu lernen hat.

Line-up:
Richard Manuel (piano, vocals)
Rick Danko (vocals #7, 11, 16, 17, guitar #7, 16, 17)
Jim Weider (guitar #4, 5, 6, 11, 14)
Sredni Vollmer (harp #11, 14, 17)