Keine Ode an die Freude, sondern eine Hymne an den guten Klang...
Ein Reissue eines Klassikers, schon alleine wegen der spektakulären Klangverbesserung erwähnenswert! Allerdings ist bei Interesse Vorsicht geboten: Dieses 'JVC'-Schätzchen kostet bei 'jpc' neu so um die 35 €, bei Amazon findet man die auch bei privaten Anbietern ab 83 (!!) €, auch hier läuft eine irrsinnige Abzocke...
Dies ist die Platte, mit der sich Steve Miller recht weit von seinen Psychedelic-Sounds entfernt hatte, und das wird ihm auch durch ein so mächtiges Organ wie dem All Music Guide vorgeworfen. Es sei nahe an 'Müll', liest man da. So viel schlechter als seine ersten fünf Platten. Na ja, den Kollegen dort kann ich nicht folgen. Ich besaß drei seiner Platten, bevor 1973 "The Joker" auf den Markt kam, wobei mir "Your Saving Grace" (Klasse Titelsong!) am besten gefiel, aber gerade auf diesen ersten Veröffentlichungen ist - zumindest für meine Ohren - seine Spielart von psychedelischem Blues auch nicht das Gelbe vom Ei.
Und so weit hat er sich auf "The Joker" natürlich auch nicht vom Blues entfernt, er wurde allerdings rockiger und gleichzeitig weniger 'spaced out'. Dass der Titelsong so einschlug, kann der AMG-Kritiker scheinbar kaum ertragen. Warum eigentlich? Sicher ist dies ein abgenudelter Song (und trotzdem hervorragend!), aber die Platte hatte so viel mehr zu bieten! Alle Vorwürfe des AMG treffen auch auf alle anderen 'Großen' im Rock jener Zeit zu. Jener Zeit? Quatsch, das trifft heute auch noch zu!
Banale Lyrics? Yeah, right, Folks. How about Steven Tyler? Oh je... How about Robert Plant? (z.B. bei Led Zeppelin's "Lemon Song" - Uh Baby, the juice runs down my leg - ...) Geradezu innovativ? Nee, geklaut. Banal? Aber sicher! Alle anderen auch, die Beispiele kann ich gar nicht aufzählen, das wär ein Lebenswerk! Warum sich der AMG-Autor so an gerade diesem Longplayer verbeißt, bleibt sein Geheimnis. Vielleicht hat ihm Miller mal auf dem Klo irgendeiner Bar auf die Stiefel gepinkelt. Anders ist eine so undifferenzierte Aussage nicht zu erklären.
Fakt ist und bleibt, dass "The Joker" äußerst erfolgreich war und Steve Miller erstmals einen Superseller bescherte. Ob nun "Sugar Babe", das lässig rockt und geradezu vor sich hin grooved, oder auch "Your Cash Ain't Nothin' But Trash", das mitreißende Solo in "Shu Ba Da Du Ma Ma Ma Ma" oder jeder andere Song, die Platte hat bis heute keinen wirklichen Schwachpunkt und zeigt den selbsternannten 'Gangster of Love', oder besser den 'Space Cowboy' nicht nur an der Gitarre gut aufgelegt, auch seine Stimme geht mit der Musik in manchen Momenten eine geradezu magische Verbindung ein. Das sollte und muss man anerkennen.
Der große Kritikpunkt war aber immer der Klang. Und genau diese Kritik war auch immer berechtigt. Es klang dumpf, verwaschen, die beiden Live(?)-Tracks ("Come On In My Kitchen" und "Evil") gar arg eng mit einer Art 'Spechtbass' auf "Evil". Die Frage ist nur immer gewesen: Soll ich lieber "The Joker" in mäßiger Qualität oder lieber Cindy & Bert in ausgewiesener Top-Klangqualität hören? Eine reine hypothetische Frage. Sollte ich jemals der zweiten Option den Vorzug geben, bringt mich ins Heim...
Mit diesem 'JVC'-Reissue ist aber mit den gekannten Klangeinbußen endgültig Schluss: Die CD klingt (gemessen am Alter) wie von einem anderen Stern, oder soll ich einfacher sagen: Wie heute vormittag aufgenommen. Das ist nichts weniger als ein Klangfest! Die imaginären dicken Vorhänge vor den Lautsprechern sind wie weggezogen; das Klangbild ist sowohl druckvoll als auch mit satten Klangfarben sehr sauber durchgezeichnet. Selbst "Come On In My Kitchen" fasziniert nun mit einer Direktheit, bei der kein Rutschen auf den Saiten unterschlagen wird.
Einzig das daran nahtlos anschiessende "Evil" fällt auch hier klanglich, wie auch beim 73er Original, etwas ab. Aber jeder Hörer wird begeistert feststellen, dass das, was die Japaner alles anstellten, um diese generelle und exzellente Aufmöbelung des Sounds möglich zu machen, Bewunderung verdient. Auf der Website dort heißt es, dass beim 'XRCD'-Verfahren keinerlei aktive Klangbeeinflußung stattfindet und sie halten ihre erfolgreiche Rezeptur auch logischerweise unter Verschluss. Wie auch immer, so und nicht anders muss ein solcher Klassiker klingen!
Ärgerlich 1: Bei "Come On In My Kitchen" wird als Songautor "Payne" angegeben, es war aber doch 1973 schon klar, das dies kein geringerer als Robert Johnson war. Genau diese Unsitte hatten sich schon die Stones bei "Love In Vain" auf Let It Bleed erlaubt. Das ist ein Vorwurf gerade an Herrn Miller: Wenn man schon den Blues ausschlachtet, sollte man wenigstens die Quellen richtig benennen. Das fiel aber ja auch Led Zeppelin nie ein, auch dafür gibt leider es eine Menge Beispiele.
Ärgerlich 2: Die CD bietet nur die Songs des Originalalbums, also gerademal knapp 37 Min. Da hätte man doch noch aus den Sessions andere Songs draufpacken können. Ausdrücklich solche, die schon im 'Ready to release'-Status waren! Das Archiv muss doch auch bei Steve Miller mit solchen Outtakes voll sein. Nun ja...
So bleibt zu hoffen, dass diese unendlich lahmen 'Classic Rock'-Stationen auch mal anderes als nur den Titelsong spielen. Da zumindest in meinem Empfangsgebiet alles, was 20 Jahre alt und englischsprachig ist, als 'Classic Rock' durchgeht, kann man kaum drauf hoffen. Den Titelsong dieser Platte haben sie immer, jeden Tag, ich kann meine Uhr danach stellen. Unendlich schade, dass diese Sender nicht das über den Äther jagen, was sie vorgeben tun zu wollen. Denn dann könnte man sicher auch mal "The Lovin' Cup" aus dieser Platte im Radio hören. Vielleicht bin ich zu ignorant, denn mir will sich nicht erschließen, was das dort auch jeden Tag gespielte "Yesterday" von den Beatles mit 'Classic Rock' zu tun hat.
Zurück zur Technik: Diese 'Superior Audiophile Quality'-Reissues von 'JVC' sind jeden Cent wert, leider werden aber recht wenige alte Rockplatten bedient. Das Augenmerk liegt wohl im Bereich der klassischen Musik und da gibt es auch genug Menschen, die gewillt sind, für magische Vintage-Aufnahmen bei fast unglaublicher Klangverbesserung einen Preis jenseits von 30 € zu akzeptieren. Mir liegt aus dieser Serie eine weitere CD mit Dvorak's "Symphonie No. 9" mit dem Chicago Symphony Orchestra unter Fritz Reiner vor, und auch hier ist das Erlebnis atemberaubend. Eine Aufnahme von 1958 klingt so gut wie eine Neuproduktion aus 2005! Dieser alte Mitschnitt ist seitdem auch interpretatorisch unerreicht und somit ein würdiges Mitglied dieser Serie! Diese unsägliche 'Geiz-ist-geil'-Masche scheint bei Klassik-Fans nicht zu grassieren.
Sicher sind 30+ € eine Menge Geld, aber man muss ja auch nicht jede Veröffentlichung haben wollen. Es geht hier um kleinste Liebhaberauflagen. Deshalb liegt es auch an uns, ob wir dem Besseren nicht nur eine Chance geben, sondern auch mit unserem Kaufverhalten zum Ausdruck bringen, daß wir eine solche überlegene Klangqualität wollen. Denn nur so kann man auf weitere überragend verbesserte Klassiker mit 'XRCD'-Technik hoffen. Das Ergebnis ist es wert. Manche Zeitgenossen geben hunderte € aus, um sich mal gerade so ein Stereo-Verbindungskabel zu kaufen. Ohne entsprechend gut klingende CDs bringt das ja wohl auch nichts...
An Wunschklassikern im Rockbereich hätte ich eine Menge und man kann sogar bei JVC vorschlagen, was sie überarbeiten sollen. So schön, so schlecht, denn gibt es überhaupt noch Klangfreaks unter den Rockfans oder ist jeder in seinen datenreduzierten iPod gefallen? Jeder will Musik überall, aber der Klang ist egal? Nicht mehr meine Welt...bringt mich doch lieber ins Heim, da steht bestimmt noch eine richtige Stereoanlage...
Spielzeit: 36:31, Medium: CD, JVC, 1998 (Erstveröffentlichung auf Capitol 1973), Rock
1:Sugar Babe 2:Mary Lou 3:Shu Ba Da Du Ma Ma Ma Ma 4:Your Cash Ain't Nothin' But Trash 5:The Joker 6:The Lovin' Cup 7:Come On In My Kitchen 8:Evil 9:Something To Believe In
Manni Hüther, 24.06.2006
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