Tim Morse hat keine echte Band, dafür aber viele Freunde. Mit denen hat er sein Album "Faithscience" aufgenommen. Unter den musikalischen Bekannten sind Giitarristen, Basser, Percussionisten, Background-Stimmen, Bläser und Streicher ... unter anderem auch mindestens ein Promi, und das ist Kansas-Geiger David Ragsdale. Tim Morse ist nicht verwandt und nicht verschwägert mit Neal Morse - zumindest nicht, dass es landläufig bekannt wäre - und doch schneidet er sich er sich seine Scheiben stilistisch vom Namensvetter ab. Bei der Stilrichtung bleibt es aber auch schon. Denn einem Neal kann Tim trotz ein paar Lichtblicken zu keiner Zeit das Wasser reichen.
Der Opener "Descent" startet mit einer Aneinanderreihung von Klavier-, Synthie- und Orgelklängen sowie natürlich elektrischer Gitarre als Melodieträger. Der Sound ist ein (zu) oft gehörter aus der Kategorie 'zeitlos retro'. Die Rhythmik tastet sich ganz vorsichtig ein paar Schritte rauf aufs Prog-Terrain, traut sich aber nicht wirklich rüber. Es zündet nichts, man wartet ab, die Handbremse bleibt angezogen.
Es folgt mit "Voyager" - gut neun Minuten lang - der erste Longtrack. Da muss jetzt schon was passieren. Die Akustische versucht, ein wenig Mystik hervorzurufen und etwas Episches in Gang zu setzen. Leider wartet man endlos auf die nächsten Zündstufen. Es gibt gute Momente - keine Frage - wenn diverse Melodieinstrumente einander nett die Klinke in die Hand geben. Es bleibt aber bei Allerweltskram, der nicht nur reichlich unspektakulär daher kommt, sondern auch emotional keine Regung hervorruft. Einflüsse von Prog-Granden der 70er schimmern durch ... aber wie in einem dumpfen Spiegel, ohne Magie, es wirkt lieblos. Nach fünf Minuten folgt ein komplettes Break - eine Pause, bevor irgendetwas passiert wäre, mit dem man sich die Pause verdient hätte.
"Closer" ist kaum kürzer als "Voyager" und macht genau so weiter. Auf Dauer erschreckend: Es gibt praktisch keine Tempowechsel. Fast (unfreiwillig?) stoisch hangeln sich die Kompositionen durch. Nicht nur im Tempo, auch in der Gesamtintensität schafft man es nicht, Spannung aufzubauen. "Closer" versucht es tatsächlich zwischendurch mit einer dramatischen Passage - harmonisch eingetrübt, rhythmisch schlagartig vereinfacht und mit anschwellendem Synthie-Teppich. Es kommt aber fast nichts beim Hörer an. Alles bewegt sich auf einem gefühlten Einheitslevel. Auch im Ansatz gute Variationen und Spielereien bleiben unglaublich zäh. Spock's Beard in Zeitlupe.
Hinzu kommt, dass Tim Morse kein sonderlich guter Sänger ist - wohlwollend könnte man die Vocals als robust bis solide bezeichnen. Im ruhigen Akustikstückchen "Numb" kommt der vordergründige Gesang noch ganz gut rüber - nachdenklich, schlicht und bodenständig. Doch spätestens "Found" löst Unbehagen aus. Die Nummer startet tatsächlich mal vielversprechend: Nach einem sphärischen Synthie-Intro ertönen recht brachiale Heavy-Riffs. Endlich mal Power (wenn auch erneut etwas träge). Dann ein Break, und der Gesang macht ziemlich viel kaputt. Hier ist es nicht nur lieblos, sondern sogar schräg. Laut Line-up hat Tim Morse eine beachtliche Zahl an Background-Sänger(inne)n engagiert. Warum sind sie nicht zu hören? Nur minimal, ab und zu, ganz kurz, schade.
Auch die Instrumentalisten tragen kaum zum Gelingen der Veranstaltung bei. Bestes Beispiel ist (ausgerechnet) das rein instrumentale Stück "The Last Wave". Es passiert unheimlich viel zwischen Prog Rock, Avantgarde, Fusion und Jazz. Aber es gibt weder Spannung noch irgendwelche technisch oder melodisch bemerkenswerten Einzelleistungen. Überraschungen bleiben auf Überraschungen der sehr schrägen Art wie dem reichlich deplatzierten Trompeten-Einwurf beschränkt. "The Last Wave" bleibt abstruses Stückwerk aus dem Zufallsgenerator, gefüttert mit gähnend dumpfem Prog-Allerlei.
Ein Lichtblick ist "Rome". Der Song hat einen guten Drive, der Gesang in etwas höheren Gefilden klingt okay, und zudem gibt noch eine intelligent verpackte Aussage. Tim Morse vergleicht Gesellschaft und Politik in seiner Heimat USA mit dem ollen Rom. Das Volk will 'Brot und Spiele' und Nero zündelt, aber die Band spielt weiter, während Rom in Flammen steht. Diejenigen, die es sich leisten können, gieren nach immer mehr Belustigung, während das Imperium bröckelt:
»Welcome to Rome / I hope you enjoyed the view
These ringside seats / Were available to few
The audience is hungry / For circuses and bread
And there's lions to be fed«
Hier taucht auch Gaststar Ragsdale auf, allerdings bloß als launiger Outro-Solist - abgekoppelt statt integriert, schade.
Auch der letzte Song, "Afterword" ("The Corners" ganz am Ende ist eher eine Art 'Nachhall') hinterlässt einen eingermaßen ordentlichen Eindruck. Er fährt wie zum Beispiel auch Presto Ballet auf dieser gewissen Retro-Schiene mit null Angst vor Käsigkeit. Wenn schon, dann richtig. Die erste Hälfte besteht aus einfühlsamem Gesang (wiederum in Höhen, die Tim Morse liegen) in nachdenklicher Atmosphäre, die zweite Hälfte aus einer kleinen multiinstrumentalen Solo-Show über solidem Hard Rock. Auch hier passiert nichts wirklich Überraschendes, aber die positive Energie vermittelt sich - ein Beispiel dafür, dass es gar nicht mal 'spektakulär' zugehen muss, um gute Musik zu machen. Trotz versöhnlicher Ausnahmen ist das Tim Morse aber auf "Faithscience" viel zu selten gelungen. Unterm Strich zwar ein sehr persönliches Album - um so mehr ein Jammer, dass es musikalisch so lauwarm ausgefallen ist.
Line-up:
Tim Morse (keyboards, lead and backing vocals, acoustic guitars,bass, percussion, electric guitar)
Jerry Jennings (lead and rhythm guitar)
Gordon Stizzo (drums)
Jim Diaz (bass)
Mark Dean (drums, guitar - #9, drums, bass - #7, guitar - #3, vocals)
Bret Bingham, Marcelle Maldonado, Helen Nelson, Casey Wells (backing vocals)
Jim Annis, Clayton Argo, Levi Dean Miller, Ruby Sketchley (voice)
David Ragsdale (violin)
Timothy Stanley (cello)
Spencer Byrnes (trumpet)
Moss Hudson (guitar solo - #6)
Sean McMillion (bass - #2)
Scott Southard (string bass)
Danny Barringer (dulcimer, auto harp)
AJ Glasmacher (ozone cymbal)
Jim Hefter (trap drum kit - #9)
Nic Caciappo (bodhran, shaker)
Jill Soha and the Borror Lab of Bioacoustics, The Ohio State University (crickets - #4)
Tracklist |
Part One
01:Descent (2:45)
02:Voyager (9:10)
03:Closer (8:22)
04:Window (1:17)
05:Numb (3:43)
06:Myth (6:39)
07:Found It (8:46)
08:Rome (5:30)
09:The Last Wave (9:45)
10:Afterword (5:26)
11:The Corners (1:56)
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