Nebelung / Palingenesis
Palingenesis Spielzeit: 52:29
Medium: CD
Label: Temple Of Torturous, 2014
Stil: Neofolk

Review vom 19.02.2014


Steve Braun
Wenn die Stilrichtung 'Neofolk'- vor allem, wenn sie mit gotischen Lettern angepriesen wird - meinen Schreibtisch 'kreuzt', gehen bei mir sämtliche Alarmglocken an. Zu viele stinkende braune 'Tretminen' verbergen sich in den esoterischen Nebeln zwischen Stonehenge-Mystik und Sonnwendfeiern, zwischen Paganismus und Germanenkult. Dort fischen mit Akustikgitarren bewaffnete rechte 'Liedermacher' nur zu gerne, bevorzugt im trüben Bodensatz.
Das geht natürlich zu Lasten romantischer Musikanten, die sich zumeist völlig unpolitisch - und wenn doch dann eher wertkonservativ geprägt - dem Wahren, Schönen und Guten hingeben, sich ganz dem Geist der Romantik verschrieben haben.
Nebelung gehören nach meinen Eindrücken vermutlich in das letztere Lager - zumindest liegen mir derzeit keine gegenteiligen Informationen vor. Sollte es begründete Zweifel geben, so bitte ich um Benachrichtigung!
Der Name passt vortrefflich ins romantische Bild. 'Nebelung' ist der altdeutsche Name des Monats November, der bekanntlich mit seinen mystischen, nebelverhangenen Stunden melancholische Sehnsüchte befeuert. Und gerade der Nebel stellt eine Grundstimmung in der Romantik - ob literarischer oder bildender Art - dar. Das Konzept von "Palingenesis" scheint also stimmig und schlüssig...
Nach dem 2008er Album "Vigil" und zwei nachfolgenden Singles kommt dieser Tage ein weiterer Longplayer (als CD und Doppel-Vinyl) in den Handel, von dem eine einfache Promoversion ohne Booklet zur Besprechung vorliegt. Der Titel "Palingenesis" bedeutet 'Wiedergeburt' und die sechs Stücke stellen quasi eine Meditation zu diesem Thema, zu Tod und Verfall, zu Verwandlung und Erneuerung dar - ein Thema, das semantisch hervorragend zu 'Nebelung', also dem herbstlichen November, passt.
Die Arrangements sind gegenüber "Vigil" deutlich verändert, die Songstrukturen nahezu völlig aufgelöst und auf Gesänge verzichtet worden. Gut so, der mit Moritaten beladene Bänkelsang - mit relativ dünnem Stimmchen vorgetragen - war nicht so mein Fall. Außerdem gesellt sich zu den beiden Gründungsmitgliedern nun die Cellistin Katharina Hoffmann - eine exzellente Ergänzung zu den vorherrschenden Instrumentierungen mit den klassischen Gitarren von Stefan Otto und Thomas List, mit höchstens mal einem schwermütigen Akkordeon als Farbtupfer eingestreut.
Für "Palingenesis" braucht man Zeit - viel Zeit... etwas, was man in unserer volldigitalisierten Ära quasi 'stehlen' muss. Es handelt sich um völlig 'entschleunigte' Musik, um dieses selten dämliche Modeadjektiv an dieser Stelle mal passgenau zu platzieren. »Panta rhei« - alles ist im Fluss - um die von Heraklit geformte und von zeitgenössischen 'Esos' vielzitierte Sentenz einmal zu bemühen. Alles ist dem ewigen Wandel von Werden und Vergehen unterworfen - worin sich der Albumtitel, "Palingenesis", widerspiegelt.
Einem Mantra gleich werden die musikalischen Themata immer wieder repetiert, bis das Innerste des Hörers in einer kraftvoll-mächtigen Ruhe schwingt. In der Ruhe liegt bekanntlich die Kraft - die Gelassenheit, die es ermöglicht, eine andere Haltung zu seiner unmittelbaren Lebenswelt zu entwickeln. Friedlich, idyllisch und verträumt, aber immer in Moll, fließt die Musik in einem breiten mächtigen Strom dahin, der den Hörer förmlich dazu nötigt, in sich zu versinken, meditative Einkehr in sich zu halten...
"Palingenesis" erfordert zwingend andere Hörgewohnheiten. Hier wird auffällig, wie sehr wir heutzutage Musik einfach en passant konsumieren, dazu neigen, uns bereitwillig berieseln zu lassen. Sich einfach mal fallenlassen und tief in sich eintauchen - dazu laden Nebelung mit ihrem neuen Album regelrecht ein.
Kleines Bonmot am Rande: Der Systematik zur Folge wurde Nebelung beim Abspeichern auf meinem PC direkt vor Novalis, genauer gesagt vor Augenblicke abgelegt. Deren "Danmark" schließt nahezu perfekt an "Innerlichkeit" an...
Line-up:
Stefan Otto (Akustikgitarre, Akkordeon, indisches Harmonium, Dulcimer, Percussion)
Thomas List (Akustikgitarre)
Katharina Hoffmann (Cello)
Tracklist
01:Mittwinter (6:03)
02:Polaris (7:11)
03:Nachtgewalt (6:43)
04:Aufgang (6:23)
05:Wandlung (14:30)
06:Innerlichkeit (9:19)
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