Novalis / Augenblicke
Augenblicke Spielzeit: 35:51
Medium: CD
Label: MiG Music (Ahorn Records), 2012 (1981)
Stil: Deutschrock


Review vom 26.06.2012


Steve Braun
Wenn man sich mit seinem eigenen dummen Geschwätz als 'Anfangzwanziger', mit 'Lebenserfahrung' damals bis zu den Haarwurzeln prall aufgeladen, konfrontiert sieht, hat das i. d. R. zwei Effekte: zum einen ist man peinlich berührt - zum anderen kann man erkennen, zum Glück damals nicht stehengeblieben zu sein. Die Rede ist konkret von Platten, die man seinerzeit gnadenlos 'verrissen' hat und heute mit bedeutend mehr Weitblick völlig anders beurteilt. Auch wenn man Jüngeren, von all ihrem brennenden Enthusiasmus befeuert, zuhört, erinnert man sich wissend. Mann, ist man alt geworden...
Ein schönes Beispiel ist Pink Floyds Animals - aber auch die hier vorliegende Neuveröffentlichung der Novalis'schen "Augenblicke" ist so ein 'Augenblick'. Gut, entschuldigend darf ich ins Feld führen, dass ihr Vorgänger Flossenengel mich damals als friedensbewegten Umweltaktivisten direkt ins Mark getroffen hat. Das ist eine der ganz wenigen alten Vinyls deutscher Künstler, die ich über all die Jahre immer wieder aufgelegt habe. Noch 'grün hinter den Ohren', hätte wohl kein Nachfolger meine Gnade gefunden. Obwohl schon damals für mich klar war, dass "Augenblicke" keineswegs ein 'schlechtes' Album war - nur eben anders. Statt einem umfassenden Konzept gibt es hier eher Momentaufnahmen - "Augenblicke" eben.
Im Rückspiegel betrachtet ist "Augenblicke" gar nicht sooo viel anders, als die beiden zuvor erschienenen Alben. [Hartwig Biereichel ermöglichte kürzlich in einem Interview diesbezüglich interessante Einblicke hinter die Kulissen.] Hier wurden die 'proggigen' Strukturen einfach noch konsequenter 'eingedampft' - die Songs noch stärker auf das Wesentliche konzentriert. Nur ein Song, "Als kleiner Junge", reißt die magische Fünf-Minuten-Marke. Geschickt wechseln sich Instrumentalstücke mit gesungenen ab. Gerade bei den Instrumentals scheint sich die These vom 'Eindampfen' zu bestätigen. Diese Nummern hätte man, vom Potenzial her betrachtet, allesamt auf über zehn Minuten auswalzen können. Stattdessen beschränken sich Lutz Rahn und Detlef Job, die jeweils zwei davon beisteuerten, auf ein Thema, das in 'verdaulichen' Drei-Minuten-Dreißig - also quasi im Singleformat - dargeboten wird. Völlig klar, dass die 'alten' Fans damit ihre Probleme hatten. Im Nachhinein betrachtet sind das vier überaus starke Songs! Die beiden von Rahn, "Danmark" und "Mit den Zugvögeln", setzen dabei auf keyboardlastige, weite Melodiebögen - während Job (wen wunderts, als Gitarrist) mit "Cassandra" und "Sphinx" härtere Töne anschlägt. Alle vier reihen sich nahtlos in die reichhaltige Novalis'sche Perlenkette ein.
Bei den Mühlböck-Nummern wird's im Nachhinein gelegentlich unfreiwillig komisch, was - und das möchte ich ausdrücklich betonen - nicht (!!) an den Texten, sondern an dem damaligen Zeitgeist liegt. Herr der Himmel und Höllen, war 'Mann' damals verkrampft - der verunsicherte Mann!! 'Neu' sollte er sein, wie ein damaliger Riesenhit von Ina Deter ausdrücklich verlangte. Sozialisiert war er allerdings mit dem 'Mief der tausend Jahre' - ein die Seele von empfindsamen Männern (wie Mühlböck) zerreißender Spagat, wie der Text zu "Ich hab noch nicht gelernt zu lieben" eindrucksvoll verdeutlicht. Hier gelingt ein tiefer Einblick in Gefühlswelten der frühen Achtziger, der musikalisch sehr gefällig im Hardrock-Gewand daherkommt. Sehr eingängig - hätte ein Hit werden können...
Nicht weniger apart kommt "Herbstwind" daher. Auch dies ist ein typischer Novalis-Song, der - etwas 'aufgeblasen' - auch auf "Vielleicht bist Du ein Clown" hätte erscheinen können. Bei "Als kleiner Junge" hört man die klassisch inspirierte Komposition Lutz Rahns deutlich heraus - Fred Mühlböck singt hier für meinen Geschmack etwas zu theatralisch. Mit dem stampfend-fröhlich abrockenden "Magie einer Nacht" gelingt ihm die gesangliche Umsetzung überzeugender, wenngleich 'progressive' Elemente hier etwas zu kurz kommen. "Begegnungen" ist ein vorzüglicher, sehr melancholischer Song - bestens zum Ausklang von "Augenblicke" platziert. Besonders eindrucksvoll 'stechen' hier Rahns an ein Synclavier erinnernde Keyboardsounds ins musikalische Langzeitgedächtnis.
Fazit: "Augenblicke" ist eine seinerzeit völlig unterbewertete Scheibe, deren Wiederentdeckung sich absolut lohnt. Das geschmackvolle Digipak erinnert an das LP-Outfit - sogar an den Farbstreifen, der für die sich beim Herausziehen des Booklets farblich verändernden Augen der Katze verantwortlich ist, hat man gedacht. Da kann man nur sagen: liebevoll restauriert...
Line-up:
Fred Mühlböck (vocals, guitar, flute)
Lutz Rahn (keyboards)
Detlef Job (guitar, backing vocals)
Heino Schünzel (bass, backing vocals)
Hartwig Biereichel (drums)
Tracklist
01:Danmark (3:30)
02:Ich hab' noch nicht gelernt zu lieben (3:30)
03:Cassandra (3:26)
04:Herbstwind (4:46)
05:Mit den Zugvögeln (3:16)
06:Sphinx (3:25 )
07:Als kleiner Junge (5:16)
08:Magie einer Nacht (3:55)
09:Begegnungen (4:47)
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