Geschlagene neun Jahre hat uns Randy Newman auf ein neues Studio-Album warten lassen. Neun viel zu lange Jahre, in der die USA einen Mann wie ihn, einen punktgenauen Beobachter, ja, einen Realisten mit bitterbösem, tief schwarzen Humor nötiger gehabt hätte, als jemals zuvor. Am Anfang vielleicht etwas zur Vorgeschichte des Kaliforniers für die Freunde der Songwriterkunst, denen Newman (sicherlich nur unbewusst) bisher nicht geläufig war: Im Jahr 1969 erschien sein erstes, gleichnamiges (noch weitgehend unbeachtetes) Album, dem er aber bald Meisterwerke wie "Sail Away" (mit der Originalversion des Songs "You Can Leave Your Hat On", 1972), "Good Ol' Boys" (1974) oder vor allem "Little Criminals" (1977) folgen ließ.
Apropos "Little Criminals": Darauf befand sich sein ironischer, weitestgehend verkannter und wohl größter Hit "Short People". Ein Track, den sich unter anderem ein gewisser Marius Müller Westernhagen das ein oder andere Mal genauer angehört haben dürfte, bevor er seine ganz eigene Adaption ("Dicke") dazu verfasste. Wie schon erwähnt, ist Randy Newman ein bitterböser Zyniker, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Genauso perfekt beherrscht er jedoch die Kunst, wirklich großartige, gefühlvolle Balladen zu schreiben. Darüber hinaus ist er ein (sich selbst unterschätzender) Meister der Filmmusik.
Nun gut, was will uns diese Vorgeschichte sagen, wenn es nun zu "Harps And Angels" kommt? Ehrlich gesagt: Alles und nichts, denn Randy ist genau derselbe geblieben, der er war. Wobei über dem Weißen Haus in Washington aber wahrscheinlich schwarze Wolken aufzogen, als bekannt wurde, dass ein neues Werk des Komponisten ansteht. Zu Recht, denn Newman erzählt auf "Harps And Angels" von einem Amerika der Gegenwart, das kurz vor dem Zusammenbruch steht. Sicherlich mit der ein oder anderen Übertreibung, aber das ist schließlich ein Grundrecht und Stilmittel der Kunst.
Der Titelsong entführt uns mit seiner Musik nach New Orleans, in eine Seitenstraße der City, wo ein Mann sterbend im Straßengraben liegt. Nur für den Fall, dass es ja doch eventuell was bringen könnte, spricht er noch ein letztes Gebet, nur um umgehend Engelsgesang zu vernehmen und eine höhere Macht vor ihm auftauchen zu sehen, die ihm allerdings etwas verlegen mitteilen muss, dass seine Zeit noch nicht gekommen sei und einem ihm sehr nahe stehenden Bekannten leider ein kleiner Fehler im Ablaufplan passiert wäre, bevor dieser sich mit den Engeln wieder davon macht. 'Sowas kann auch nur mir passieren', sagt der Sterbende/Überlebende zu sich selbst, 'naja, dann geh' ich jetzt halt mal schön einen trinken'. Der aufmerksame Zuhörer wird natürlich trotz allem Sarkasmus nicht darum herumkommen, dass der (gerade eben noch) im Sterben liegende eigentlich nur eine Metapher für die Stadt New Orleans ist, die sich nach der Flutkatastrophe vor ein paar Jahren momentan damit abmüht, wieder auf die Beine zu kommen.
Wie dem auch sei, mit dem ersten Song ist der Ton des Albums gesetzt. Mit Songs wie "Korean Parents" (über die Zielstrebigkeit und den Willen junger Asiaten in Amerika mit einem Eifer zu lernen, den er den meisten Einheimischen abspricht) oder "Easy Street" (über die unbeschwerte Willkür derjenigen, die die Macht haben und noch so großen Bockmist bauen können, ohne irgendwelche Konsequenzen befürchten zu müssen) wird er sich in bestimmten Kreisen sicherlich auch keine Freunde machen. Den Abschuss liefert Randy aber mit "A Few Words In Defense Of Our Country" ('Ein paar Worte zur Verteidigung unseres Landes'), der sich rein vom Songtitel patriotisch anhört, dies im Endeffekt auch ist, aber im Verlauf des Textes nichts anderes als eine bitterböse, tiefschwarz-sarkastische Abrechnung mit der Bush-Regierung darstellt, die er bezüglich Intelligenz und Willkür gerade noch eine kleine Stufe höher stellt, als den bekannten römischen Kaiser, der sein eigenes Pferd zum Konsul von Rom erklärt hatte.
So, das war jetzt jede Menge über die textliche Seite des alten Zynikers. Verpackt sind alle diese Kurzgeschichten in angenehm kurze Songs, die selten die Fünf-Minuten-Grenze überschreiten. Wie meistens hat der Meister eine Mischung aus Singer/Songwriter-, Blues-, Jazz-, Country- und Filmmusik-Szenarien auf der Pfanne, die die (leider nur) zehn Songs nie auch nur im Ansatz langweilig erscheinen lassen. Das absolute Gegenteil ist der Fall. So ergiebig die Songs auch von den Lyrics her sind, man kann "Harps And Angels" genauso als ganz besonderes Album erkennen, wenn man die Texte nicht versteht, bzw. nachvollziehen kann, da die Musik ebenso gelungen ist.
Ja, und dann ist da auch noch die andere Seite von Randy Newman. Nämlich die Seite seiner persönlichen Gefühlswelt, die er in wunderschönen Balladen wie "Losing You" (das klingt, als wäre es einem Tom Waits auf den Leib geschrieben) oder "Feels Like Home" zum Ausdruck bringt. Eine solche Gabe hat man, oder auch nicht, sowas kann man nicht lernen. Das Gesamtbild wird in "Potholes" von dem Mann von nebenan abgerundet, der alle unschönen und peinlichen Situationen seiner Vergangenheit einfach so behandelt, als wenn sie nie geschehen wären, weil er sich somit nicht weiter damit belasten muss, dabei aber nicht bemerkt, dass alle anderen (inklusive seiner Ehefrau) nichts als Spott und Verachtung für ihn übrig haben.
Das mag sich eventuell alles sehr schwer und tragend anhören/lesen, ist es aber überhaupt nicht, da Randy Newman so gewieft mit der Sprache umgeht, dass einem vielmehr die Lacher locker aus dem Bauch kommen. Selbst, wenn einige davon einem nach ein paar Sekunden eventuell plötzlich im Hals stecken bleiben. Sehr geile Songs mit sehr coolen Texten schmücken "Harps And Angels" und machen es, da lege ich mich gerne fest, zu einem seiner vier besten Alben. Und wenn euch diese Aussage zu wage klingen sollte, dann kennt ihr das durchgehend sehr starke Gesamtwerk Newmans nicht.
"Harps And Angels" ist ein ganz dicker und fetter Tipp! Vielleicht nicht für die Metaller-only und die beinharten Rocker (denen ich hier jeweils keinesfalls die Vielfältigkeit absprechen will), aber ansonsten für jeden, der sich an guten Songs und als Bonus an guten Texten mit Tiefgang erfreut. Dieses Album kostet die Redaktion teure 9 von 10 RockTimes-Uhren! Aber die bezahlen wir gerne. Nicht weil wir müssen, sondern weil sie es wert und wir uns höchster Qualität bewusst sind!
Line-up
Randy Newman (piano, vocals)
Greg Cohen (bass)
Steve Donnelly (guitars)
Pete Thomas (drums)
Greg Leisz (pedal steel, acoustic slide)
Mitchell Froom (additional keyboards)
Plus:
The Orchestra (conducted and arranged by Randy Newman)
Tracklist |
01:Harps And Angels
02:Losing You
03:Laugh And Be Happy
04:A Few Words In Defense Of Our Country
05:A Piece Of The Pie
06:Easy Street
07:Korean Parents
08:Only A Girl
09:Potholes
10:Feels Like Home
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