Unser Fachmann für (New-)Country-Fragen befindet sich gerade in Urlaub - zum Glück, sonst hätte dieses bemerkenswerte Country Rock-Scheibchen vielleicht nicht den Weg auf meinen Schreibtisch gefunden... Und so hat Jay Ottaway nun einen beinharten Fan mehr. Dass das erst mit seinem siebten Album geschieht,... shame on me!!
Der aus Boston stammende Musiker hat - nebenbei bemerkt - eine enge Affinität zu Deutschland. Nach seinem Studium am renommierten Bostoner Berklee Collage of Musik lebte er lange Zeit in Köln und lernte in dieser Zeit die Gedichte des Wilhelm Müller kennen und lieben. Wie dessen Zeitgenosse Heinrich Heine ein Romantiker, der wie dieser mit seiner Lyrik die erste deutsche Demokratiebewegung befeuerte, allerdings leider viel zu jung starb, um ebenfalls Weltruhm zu erlangen. Wenn dann Jay Ottaway noch das 'Gesamtkunstwerk' John Cage zu seinen geistigen Vätern zählt, darf mit anspruchsvollen Texten gerechnet (und sollte dahingehend garantiert nicht enttäuscht) werden.
Obwohl Ottaway mittlerweile wieder in Massachusetts lebt, bestehen noch sehr enge Kontakte in die Rheinmetropole. Mehrere Monate im Jahr lebt er dort und hat eine feste, eingespielte Band um sich geschart. Seine Alben spielt er allerdings in seiner Heimat, mit einer Truppe um die Nashville-Größe Pat Buchanan ein. Für das hier zu besprechende "Carry On" waren fast die gleichen Musiker wie beim Vorgänger, Coming Home To You (2012), zugange.
Mit "Carry On" wildert der von Neil Young und Bob Dylan inspirierte Musiker vorwiegend im Country-Genre - zumeist in den rockigeren, gelegentlich aber auch in 'klassischen' Ecken. Folkige Einflüsse - beim Vorgänger anscheinend noch vorherrschend - sind ebenfalls auszumachen, vor allem wenn Andrea Zonn und Andy Leftwich zur Fiddle greifen.
Überhaupt hat Jay Ottaway für "Carry On" eine exquisite Schar fähiger Instrumentalisten im Studio versammelt. Zu der filigranen Gitarrenarbeit Pat Buchanans muss man nicht viele Worte verlieren; hier spricht schon der Name wahre Bände. Für die berühmten Gänsehautmomente sorgen ein ums andere Mal Jim Hoke - völlig egal, ob er dabei gerade die Pedal Steel oder das Saxofon zwischen den Fingern hat - und die deutsche Saxofon-Virtuosin Christina Christ. Göttlich, diese beiden!
Steve Conn bringt seine Hammond B3 zwar eher mannschaftsdienlich, dafür aber enorm einfühlsam-seelenvoll ein - auch das ist eine Kunst für sich. Die gesamten Arrangements sind nicht nur abwechslungsreich, sondern wirken stets konzentriert durchdacht und (vor allem) perfekt produziert - und hier meine ich wirklich 'meisterlich'!
Die Idee zum Titelsong ist Ottaway offenbar bei einem Auftritt in der Haftanstalt Köln-Ossendorf gekommen - "Carry On", diese lyrische Grundstimmung durchzieht auch das gesamte Album.
Der Songreigen ist vielgestaltig und dabei routiniert zusammengestellt: knackige Abrocker wechseln sich mit herzzerreißenden Balladen, fröhlichen Country- oder lässig entspannten Westcoast-Nummern ab. Zu keinem Zeitpunkt kommt bei dieser, mit gut einer Stunde bestens gefüllten CD der Wunsch zum Gähnen oder gar Skippen auf. Die Spannung wird stets auf Zug gehalten. Jay Ottawys Gesang passt sich dabei Tonlage und Stimmung in den Songs großartig an - ist mal feinsinnig, mal makant, aber stets mit der prägnanten Hook, die einen hohen Wiedererkennungswert garantiert, ausgestattet.
Ich beschränke mich mal auf meine ganz persönlichen Favoriten, die Primi inter Pares. Da wären zunächst mal die ebenso anspruchsvollen wie knackigen Rocker - wahre Abrechnungen mit dem Alltagsfrust: Das eröffnende "All Right Now" und "I Woke Up To Find You" gehören dazu. Aus der Kiste mit den Balladen würde ich "Blessings In My Disguise" sowie "Sally And I" hevorkramen.
"Old World Wine" - yes, eine Vorliebe für wirklich guten Wein hat Mr. Jay auch - erinnert mich in seiner gleichermaßen entspannten wie zupackenden Weise an "Before The Deluge" eines gewissen Westcoast-Barden. Eine bessere Referenz gibt's doch kaum, oder?
"Old Messiah" muss ich nennen, weil es von Wilhelm Müllers "Lindenbaum" (aus der "Winterreise") inspiriert wurde und eine Ode an die Macht von Liebe und Natur darstellt - "Dirty Moon Rising", weil dieser Bluegrass meinen morschen Knochen wieder Leben einhaucht - "One Man's Coming", weil dieses Sax mich ebenso 'scharf' wie das Gegenstück in Us And Them macht - "Even Moses Is Crying", weil es den Opfern des Bombenanschlags auf den 'Boston Marathon' gewidmet ist... und, und, und...
Wer bis hierhin die wirklich unterschwellig-diskrete, überaus subtile Botschaft nicht verstanden haben sollte: Ja, ich bin von Jay Ottaways "Carry On" tatsächlich begeistert und zwar hochgradig. Ein heißer Kandidat für mein 'Album des Jahres' - ein ganz siedend-heißer...
Line-up:
Jay Ottaway (lead vocals, acoustic guitars)
Pat Buchanan (electric guitars)
Steve Conn (piano, Hammond B3)
Jim Hoke (pedal steel, saxophone)
Christina Christ (saxophone)
Andrea Zonn (violin)
Andy Leftwich (violin)
Davis Francis (bass)
Glen Caruba (drums, percussion)
Melissa Hooker (background vocals)
Frank Tetzner (background vocals)
Julian Mueller (electric guitar, background vocals)
Tracklist |
01:All Right Now (4:32)
02:Old Messiah (4:05)
03:Carry On (3:59)
04:Blessings In Disguise (3:45)
05:Walking Next To Me (3:19)
06:Old World Wine (4:12)
07:Ringing Through My Head (4:27)
08:Sally And I (3:31)
09:One Man's Coming (4:28)
10:Reason In The Noise (3:57)
11:I Woke Up To Find You (3:18)
12:What About You? (3:35)
13:Deep Freeze (2:46)
14:Even Moses Is Crying (4:08)
15:Dirty Moon On Risin'(3:31)
16:Man Down (4:15)
|
|
Externe Links:
|