Es ist immer vorteilhaft, wenn man den Privatkalender, den geschäftlichen Kalender und den Tourkalender seiner Lieblingsbands unter einen Hut bringen kann. Der 15.11.2012 war so ein Tag. Geschäftlich musste ich am 14.11. ins mittelhessische Laubach und am 15.11. wieder heim in die Pfalz.
Doch Stop! Laut Tourkalender spielen am 15.11. Ohrenfeindt in Aschaffenburg. Eine meiner Lieblingsbands in meiner Lieblingslocation. Und das noch fast genau auf dem Heimweg. Die Entscheidung war einfach.
Noch einfacher, als die Zusage von Chris Laut kam, dass er sich für ein Interview zur Verfügung stellt.
Kurz gesagt: Der 'Pälzer Bu' fährt vom hessischen Laubach ins bayerische Aschaffenburg, um die Hamburger... äh sorry, St. Paulianer (schreibt man das so?) Band Ohrenfeindt zu sehen. Dass ich auf dem Heimweg kurz durch Baden Württemberg musste, ist nur eine Randnotiz.
Da ich schon früh in Aschaffenburg ankam, spazierte ich noch ein wenig durch die schöne Innenstadt. Kam mir doch in der Nähe des ColosSaal ein glatzköpfiger, an den Armen tätowierter Typ entgegen, der aussah wie Chris Laut, seines Zeichens Mastermind von Ohrenfeindt. Und er ist es tatsächlich. Chris macht den Einweiser für den Tourbus, in dem die restlichen Teammitglieder sitzen.
OK. Die Band war schon mal da. Also auch meine Interviewpartner.
Während Ohrenfeindt sich im Colos Saal häuslich einrichtete, streifte ich weiter durch die Gassen von Aschaffenburg um aber pünktlich zum Einlass wieder da zu sein.
Eine Vorgruppe gab es an diesem Tag nicht, so dass ich mich auf 100% Ohrenfeindt freute.
Kurz vor 20.00 Uhr waren nur wenige Zuschauer anwesend. Das sollte sich aber zum Beginn des Auftritts ändern. Wo kamen denn die vielen Leute auf einmal her? Pünktlich zum Beginn war der Colos Saal gut gefüllt. Das ist doch eine gute Basis zum Abrocken.
Und los ging es mit dem allseits bekannten Statement, das ich nur unterstützen kann:
» Nieder mit dem Gehörschutz, Vollgasrock für alle und drei Punkte für St. Pauli!« 'Roggenrohl' von der Reeperbahn. Let's go!
Von Beginn an wird das Gaspedal durchgedrückt. Vier Lieder in Folge ("'N Job in der Bank", "Zu jung, zu schnell", "Rock'n'Roll Mädchen" und "Mit Vollgas und Blaulicht") treffen sofort den Nerv des Publikums. Textsicher und lautstark singt die Masse mit. Das liebe ich am Colos Saal. Die körperliche und menschliche Nähe zwischen Band und Publikum fasziniert mich immer wieder. Manchmal hatte man das Gefühl, Band und Publikum verschmelzen zu einer Einheit. Ohrenfeindt machen es den Leuten aber auch einfach. Sympathisch, nah am Publikum und vor allem authentisch wirken die Nordlichter. Das ist es, was die Menschen hören und sehen, wenn Ohrenfeindt rockt.
Lieder aus allen möglichen Lebenssituationen, die jeder nachvollziehen kann, gepaart mit einem tollem Sound. Was will man mehr?
Drei Mann reichen aus, um exzellenten 'Roggenrohl' zu spielen. Zur Auflockerung griff Bassist und Sänger Chris immer wieder zur Mundharmonika und zeigte mehrmals sein Können an diesem Instrument.
Dennis groovt an der Gitarre 'wie die Sau'. Flash Ostrock am Schlagzeug sorgte für die größte Überraschung des Abends. Astrein und exakt im Takt überraschte er seine Bandkollegen mit einem ca. 10 sekündigem (!!!) Schlagzeugsolo. »Ich will auch mal ein Solo spielen «, war sein knapper Kommentar. Etwas kurz, aber sehr witzig und spontan.
Super harmonisch, ehrlich und durchdacht, was Ohrenfeindt hier ablieferten. Sie sind aus meiner Sicht auf dem besten Weg die, oder eine der besten deutschsprachigen Rockbands zu werden. Weiter so!!
Mein Fuß verselbstständigte sich schon nach Sekunden und wippte hektisch im Takt mit. Erst nach dem zweistündigen Auftritt gelang es mir, wieder die Kontrolle über dieses eigenwillige Körperteil zu erlangen. Dies aber nicht ohne Nachwehen. Habt ihr schon einmal Muskelkater auf dem Spann gehabt? Seit gestern weiß ich, wie sich so etwas anfühlt. Sehen wir es positiv: Ohrenfeindt hat Körperteile von mir trainiert, die ich bisher nur 'entfernt' kannte.
Das Publikum feierte die Band und sang alle Lieder lautstark mit.
Der Colos Saal war mal wieder kolossal!!
Meine persönlichen Highlights waren "Valerie", "Sie hat ihr Herz an St. Pauli verloren" und "Ohrenfeindt". Aber es wäre unfair, einzelne Lieder herauszuheben. Ausnahmslos alle Stücke von Ohrenfeindt haben ihren Reiz und kommen live mit einer unglaublichen Wucht rüber. Soundtechnisch war es wie immer hervorragend im Colos Saal. Knackig und direkt kamen die Signale aus den Amps. Herrlich trocken und geradlinig, was die Jungs dem Publikum um die Ohren föhnen. Vor allem Dennis, mit seinem trockenen Gitarrensound treibt tierisch an. Gelegentliche Wah-Wah und Bottleneck-Parts würzen seinen Sound. Keine großartigen Effektorgien, sondern purer Rocksound. Yes!
Nach drei Zugaben ("Rock'n'Roll Sexgott", "Harley-Luja" und dem obligatorischen "Ohrenfeindt") war dann leider Schluss. Doch kaum war der letzte Ton verklungen, standen alle drei auch schon am Merchandise-Stand, schrieben fleißig Autogramme und zeigten 'Volksnähe'. Die Party ging also dort weiter. Und wirklich jeder hat auch sein Autogramm bekommen und es war immer Zeit für ein kleines Schwätzchen. Hier wird an der Basis gearbeitet und hier werden Kundenbeziehungen gepflegt.
Ihr merkt schon. Ich bin gar nicht näher auf die einzelnen Lieder eingegangen. Die sind alle in der Setlist abgedruckt. Es war ja auch nicht zu erwarten, dass sich an der Setlist groß was ändert. Die Jungs vermarkten schließlich immer noch Schwarz auf Weiß, ihre letzte Scheibe.
Womit wir schon beim Gespräch mit Dennis und Chris sind, die mir freundlicherweise nach dem Auftritt unabhängig voneinander als Gesprächspartner zur Verfügung standen.
Meine erste Frage ging dann auch gleich in Richtung 'Neuigkeiten':
RockTimes: Wann dürfen wir eine neue Ohrenfeindt-Scheibe erwarten?
Chris: Ich hoffe, dass wir es bis zum Spätsommer 2013 schaffen, eine neue Scheibe zu veröffentlichen. Das Songwriting ist schon in einem fortgeschrittenen Status und es wird wieder eine typische Ohrenfeindt-Scheibe sein. Also typische Rocknummern. Aber auch langsame Parts werden vertreten sein. Lasst Euch überraschen.
RockTimes: Wie entstehen Ohrenfeindt-Lieder?
Dennis: Chris schreibt die Songs und sorgt für das Grundgerüst. Dann fügen wir das Ganze zu einer Einheit zusammen.
Chris: Themen für unsere Lieder finde ich immer wieder im täglichen Leben. Während einer Unterhaltung am Tresen oder in ganz normalen Alltagssituationen schnappe ich immer wieder etwas auf. Manchmal steht der Song in einer Stunde. Manchmal dauert der Entstehungsprozess Jahre oder sogar Jahrzehnte. "Valerie" ist da so ein Beispiel. An dem Lied habe ich ewig geschrieben. Der Text stand zwar früh fest. Aber an der Musik habe ich immer wieder gefeilt. Man kann das nicht planen. Es kommt aus dem Gefühl heraus.
RockTimes: Was macht Ihr eigentlich neben Ohrenfeindt?
Dennis: Ich gebe unter der Woche Gitarrenunterricht. Am Wochenende sind wir ja immer mit Ohrenfeindt unterwegs. Da bleibt nicht viel Zeit für weitere Tätigkeiten.
Chris: Für mich ist Ohrenfeindt ein Fulltimejob. Ich bin Bassist, Sänger, Songschreiber, Manager, Homepage- und Facebookseitenbetreiber und zuständig für die Finanzen. Außerdem Ansprechpartner für Presse, Behörden und sonstige Einrichtungen. Ich kann mittlerweile leben von dem was ich tue. Muss aber natürlich immer am Ball bleiben. Meine Wochenarbeitszeit liegt sehr weit über einer 40-Stunden Woche. Aber es macht Spaß.
RockTimes: Thema 'Motivation'…
Chris: Jede unserer Platten hat besser abgeschnitten als die Vorgängerscheibe. "Schwarz auf Weiß" hat es in die Charts geschafft. Das ist Motivation.
RockTimes: Ist Rockmusik eine Sucht?
Dennis: Eindeutig ja!! Rockmusik muss einfach sein und grooven. Der Rest kommt von alleine. Wenn dann die Atmosphäre zwischen Band und Publikum stimmt, kann man nicht genug davon haben. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was ich machen würde, wenn ich z.B. die Finger nicht mehr bewegen und somit keine Gitarre mehr spielen könnte. Da will ich gar nicht drüber nachdenken (verzieht entsetzt das Gesicht und fuchtelt mit den Händen).
RockTimes: Thema 'Download-Zeitalter'…
Dennis: Im Download-Zeitalter ist es schwer, wenn nicht sogar unmöglich mit CDs Geld zu verdienen. Du musst raus zu den Leuten und spielen. Sogar große Bands verdienen kaum noch Geld mit dem Verkauf von Platten. Mit Live-Auftritten und Merchandise verdient man hauptsächlich die Kohle.
RockTimes: Mir ist Euer soziales Engagement aufgefallen. Ihr unterstützt soziale Einrichtungen wie Kinderhospize (Sternenbrücke und Kinderhospiz Sterntaler) und eine Entwicklungshilfeorganisation mit Namen Viva con Agua. Für diese Organisation steht auch eine Spardose am Merchandise Stand. Was steckt dahinter?
Chris: Wir in den sogenannten wohlhabenden Ländern vergessen oft, wie gut wir es haben. Ist Dir bewusst, dass in Afrika viele Menschen kilometerweit zu Fuß gehen müssen, um an Wasser zu kommen? Wir drehen hier einfach den Wasserhahn auf und fertig. Darüber muss man mal nachdenken und das Thema den Menschen hierzulande näher bringen. Bei Viva con Agua kenn ich die Leute, die dahinter stecken. Da weiß ich, dass das Geld nicht in irgendwelchen Nobelkarossen für Vorstandsmitglieder verschwindet. Hier kommt jeder Cent an. Außerdem kommt die Organisation auch aus St. Pauli. Auch das Thema Kinderhospiz liegt uns am Herzen. Die Sternenbrücke ist ein Kinderhospiz in Hamburg und das Kinderhospiz Sterntaler hat seinen Sitz in Mannheim. Beide Einrichtungen unterstützen wir.
Wir alle werden älter. In den letzten Jahren sind Freunde und Bekannte verstorben. Da wird einem bewusst, wie nahe der Tod manchmal ist. Auch dieses Thema muss man offen ansprechen. Um so mehr, wenn es sich um Kinder handelt, die gar keine Chance auf ein langes Leben haben. Wenn wir hier bei unseren Auftritt für diese Einrichtungen Werbung machen und um Unterstützung bitten, kommt das von Herzen. Und unsere Fans spenden immer wieder. Dafür sind wir dankbar.
RockTimes: Auch ich bedanke mich, dass Ihr euch die Zeit noch genommen habt.
Wir sehen uns wieder am 05.01.13 in Bensheim.
Für alle, die sich für das sozialen Engagement von Ohrenfeindt interessieren, hier die Links:
Sternenbrücke
Kinderhospiz Sterntaler
Viva con Agua
Line-up:
Chris Laut (Bass, Gesang, Mundharmonika)
Dennis Henning (Gitarre)
Flash Ostrock (Schlagzeug)
Setlist
'N Job in der Bank
Zu jung, zu schnell
Rock'n'Roll Mädchen
Mit Vollgas und Blaulicht
Ein allerletztes Mal
Motormädchen
Spiel mit dem Feuer
Kalter Kaffee
Kann ich dich nach ä'Hause fahrn
Valerie
Was der Doktor mir verschrieben hat
Schwarz auf Weiß
Sie hat Ihr Herz an St. Pauli verloren
Alles auf Rot
Energie
Es wird Tag auf St. Pauli
Parasit incl. Harp Solo
Zum Rocken geboren
Zugabe:
Rock'n'Roll Sexgott
Harley-Luja
Ohrenfeindt
Externer Link:
|