Overhead / Live After All
Live After All Spielzeit: 147:00
Medium: DVD
Label: Metal Mind Productions, 2009
Stil: Prog Rock

Review vom 21.07.2009


Boris Theobald
In schöner Regelmäßigkeit produziert das polnische Label Metal Mind Productions nun schon seit Jahren Live-DVDs und filmt dazu alles, was im Prog-Bereich Rang und Namen hat im schicken Theater in Katowice: Arena, Andromeda, Final Conflict und und und...
'Fließbandarbeit', irgendwie. Aber was für eine großartige! Die Location - nicht zu groß und nicht zu klein - mit einem treuen und begeisterungsfähigen Publikum auf Parkett und mehrere Balkon-Ränge verteilt ist einfach klasse. Und für die immer aufs Neue herausragende Kamera-Arbeit und die brillante Bild- und Tonqualität sorgt das an Ort und Stelle perfekt eingespielte Team.
Zu Gast im polnischen Prog-Theater waren im Februar 2009 ein paar besonders schräge Vögel - die Finnen von Overhead, die spätestens seit ihrem zweiten Album "Metaepitome" von 2005 schwer von sich reden gemacht haben. Overhead sind ein Fall für sich - und nicht für jeden. Hochinteressant ist diese 5er-Combo, die schon 2002 mit ihrem noch kaum beachteten Album "Zumanthum" debütierte aber auf jeden Fall. Die ersten, fast gespentisch sanftmütig wirkenden Worte von Sänger Alex Keskitalo aus der Dunkelheit heraus:
»Welcome. Welcome to the world. The world you see - and the world that is, there's a difference there, isn't it?! Let me tell you a story to illustrate my point. «
Nun kann man gar nicht mehr anders als gespannt zuzuhören, oder?
Die Geschichte, die er mit Unterstützung seiner Bandmitglieder zu erzählen hat, heißt "Metaepitome", dauert an die 20 Minuten, ist der Titeltrack des Albums, das die Band bekannt gemacht hat, so etwas wie das Magnum Opus für Overhead und dadurch gleich als Opener eine dicke Überraschung.
"Metaepitome" ist ein im wortwörtlichen Sinne 'fantastisches' Gebilde aus Nebelschwaden-umwitterter Ambient-Atmosphäre, malerisch-balladesken Psychedelic-Passagen, feurigem Classic-Rock, einem rauen Heavy Metal-Chorus und sogar finsteren Death-Growls. Mal episch wachsend, mal nahezu avantgardistisch wechselnd ergeben all diese Bestandteile ein großes Ganzes - und der Fixpunkt, dem die Musik folgt und auf den alle Augen und Ohren gerichtet sind, das ist Frontmann Alex Keskitalo.
So versteckt sein Gesicht hinter seinem Vollbart ist, so geheimnisvoll erscheint auch sein ganzes Auftreten - der scheinbar ins Unendliche gerichtete Blick, spontan mitgeheulte Gitarrenmelodien, vokales Mikrofon-'Rauschen', die vorsichtige Gestik, die zuweilen sogar bei verschlossenen Armen ein Unbehagen auszudrücken scheint, wie die Musik eben auch. So passt bei dem Auftritt alles zusammen - eine minimalistische 'Show', wenn man es überhaupt so nennen kann - sehr emotional, meist düster, wehmütig, nachdenklich, aber zwischenzeitlich auch von einer nach vorn drängenden Dynamik getrieben.
Ein wichtiger Bestandteil der ergreifenden Overhead-Atmosphäre ist natürlich auch die Querflöte des Frontmanns. Er setzt sie nicht nur für Melodien ein, sondern auch recht ausgeprägt als Rhythmus-Instrument und nicht zuletzt als Geräuschgeber.
Die geheimnisvolle musikalische Erzählkraft der Band wird vom Bildschnitt außergewöhnlich gut unterstrichen. Was für ein Aufwand... auf etlichen Schienen fahren die Kameras vor der Bühne und hinter der Bühne entlang, liefern punktgenau Detailschnitte von Fußpedalen und Fingern an den Saiten, verblüffen plötzlich mit einem Aufzieher von der Deckenperspektive und setzen ganz bewusst - so entrückt wie eben auch die Musik ist - ein 'halbes Gesicht' mit Querflöte in Szene. Ferner überzeugt die Beleuchtung - je nach vorgegebener Stimmung mit kunstvollen Kegeln, die mystisch in Luft zu stehen scheinen oder mit unruhigen Lichtblitzen, die über die Bühne sausen. Hier waren Profis am Werk, die sich mit der Musik der Band auseinandergesetzt haben.
Die frühe Präsentation von "Metaepitome", die dank ihrer Lebendigkeit deutlich gegenüber der Studio-Version hinzugewinnt, lässt der Show keinesfalls die Luft ausgehen. Overhead haben noch einige Asse im Ärmel - übrigens ausschließlich von den letzten beiden Alben; das erste wird komplett ausgelassen. Weitere Höhepunkte sind auf der einen Seite die epischen Songs "Captain On The Shore" (von einer echten Spieluhr am Mikrofon eingeläutet) und das neo-proggig an Sylvan erinnernde "Dawn".
Und auf der anderen Seite die (verhältnismäßig) kompakten Stücke: der sich unbändig steigernde Doppelpack "A Method..." und "...To The Madness" mit seiner aufgeregten, immer explosiver werdenden Stimmung. Und das tänzerisch-folkige "Butterfly's Cry". Und das regelrecht eingängige "Entropy" mit seinen unwiderstehlichen Wechseln aus schwermetallischer Aggressivität und dem ruhigen, melodischen Refrain.
Was aufgefallen? Richtig. Es gibt nur Höhepunkte; denn jedes dieser Stücke ist ein Juwel. Doch ist diese Band sicherlich nicht jedermanns Sache mit ihrem Mix aus stark retrospektiven Art Rock-Einflüssen und moderner Aggressivität und nicht zuletzt dem recht speziellen Frontmann - mal in sich versunken, mal monströs aus sich heraus schreiend. Ausgeprägt expressiv gibt er sich auch bei der Zugabe, "21st Century Schizoid Man" von King Crimson, die sicherlich ein wichtiger Einfluss der Band sind. In fast der doppelten Länge des Originals beweisen Gitarrist Jaakko Kettunen und Keyboarder Tarmo Simonen mit nicht enden wollenden Frickeleien ihr außergewöhnliches Können.
Nach knapp einer Stunde und 34 Minuten ist das Konzert vorbei, dessen außergewöhnliche Atmosphäre sich doch stark von allen anderen Prog Rock-Aufnahmen aus dem Theater in Katowice unterscheidet. So sind beispielsweise die Zuschauer komplett in Dunkelheit gehüllt und absolut nicht zu sehen - ein wenig seltsam ist das schon; aber 'seltsam' sind ja auch die Akteure auf der Bühne.
Für die geringe Spieldauer gibt es als Bonus außer dem üblichen Krimskrams (Foto-Galerie, Biografie, Diskografie und Desktop-Wallpapers) auch noch eine Reihe von Bonus-Videos. Die Stücke wurden bei Auftritten in Frankreich, Belgien und Finnland zwischen 2007 und 2008 aufgenommen - unter ihnen auch viel Finnisches mit dem traditionellen "Konevitsan Kirkonkellot" (hatten Sentenced auch schon mal vertont) und "Wainamoinen And Youkahainen", mit dem Overhead ein Stück einheimischer Mythologie vertonen. Das Problem: Die gut 50 Minuten Material sind von durchwachsener Bootleg-Qualität - das sehen und hören sich nur absolute Overhead-Spezialisten freiwillig an. Und so bleibt unterm Strich zu wenig (wenn auch die diversen Wachstumsphasen von Alex Keskitalos noch recht junger Haarpracht interessant zu beobachten sind).
Sehr unterhaltsam ist jedoch der in der 'Radio'-Version nur 4:03 Minuten lange Clip zu "Butterfly's Cry" aus animierten Strichmännchen-Zeichnungen. Und ein knapp 20-minütiges Interview mit dem Frontmann, bei dessen komplizierten Antworten auf einfache Fragen auch dem Letzten klar wird, dass Alex Keskitalos in einer eigenen Gedankenwelt lebt - eine Art verrücktes Genie. Die eigene Musik nennt er übrigens 'Transcendental Rock' - und was so heißt, in das sollte man vorher mal reinhören. Und dann: Love it or leave it.
Line-up:
Alex Keskitalo (vocals, flute)
Jaakko Kettunen (guitar)
Janne Pylkkönen (bass)
Tarmo Simonen (keyboard)
Ville Sjöblom (drums)
Tracklist
01:Metaepitome
02:Time Can Stay
03:Butterfly's Cry
04:A Methos...
05:...To The Madness
06:Captain On The Shore
07:Entropy
08:Dawn
09:21st Century Schizoid Man

Bonus Videos:
Interview with Alex Keskitalo
Butterfly's Cry (Video Clip)
Live At Prog'Sud :
Time Can Stay
Live At Semifinal:
Lost Inside
Wainamoinen And Youkahainen
Live In Versailles:
Warning: Ending (Without Warning)
Point Of View
Live At Spirit Of 66:
Konevitsan Kirkonkellot
Externe Links: