Overhead / Of Sun And Moon
Of Sun And Moon Spielzeit: 48:46
Medium: CD
Label: Progressive Promotion, 2012
Stil: Prog

Review vom 15.07.2012


Boris Theobald
Gleich mal 'nen Satz mit Ü und X: Überraschend, aber extrem interessant ist das, was Overhead auf ihrem vierten Studioalbum da abliefern. Da kauft man es den Finnen wirklich ab, dass die ihre ersten drei CDs als gedanklich zusammenhängende Trilogie verstehen und nun mit "Of Sun And Moon" einen größeren Schritt wagen und 'alte Zöpfe abschneiden'. Der Zopf ist in diesem Fall nicht bloß der gerodete Vollbart von Frontmann Alex Keskitalo. Im übertragenen Sinn ist das auch eine kleine musikalische Metamorphose. Oder sagen wir: Overhead ändern gar nicht so viel an ihrem Stil, kommen aber anders rüber.
Für das Mit- und Aneinander verschiedenster Facetten von psychedelischen Sound-Schwaden bis hin zu aggressiven Schwermetallattacken standen sie ohnehin schon. Aber diese vergeistigte Grundhaltung, aus der das alles erwachsen ist, wie beim fabelhaften Longtrack "Metaepitome", die ist plötzlich weg. Das Album geht sofort auf die Zwölf. Der Opener "Lost Inside 2", das ist dramatischer Bombast, unterbrochen von ruhigen, aber prickelnd angespannten Passagen. In diesem Cocktail wurde Neo Prog mit Progressive Power Metal verrührt; es gibt Spuren von Sylvan und von
Pain Of Salvation.
Mit "Berlin" bleibt die Band offensiv - das ist stampfender Bombast mit einer Gothic-getränken Keyboard-Melodie. Die Power-Attitüde und die Neigung, beim fast mechanisch nach vorn pushenden Chorus mit prall gefüllten Klangräumen - das erinnert schon fast an melodischen Power Metal à la Disturbed. Und Overhead bleiben eigenwillig. Der Quasi-Titeltrack "An Afternoon Of Sun And Moon" beginnt mit einer Art 'psychedelischem Raggae'. Keyboards, die nach Retro, Space und Fantasy klingen, arbeiten unermüdlich in allen vorhandenen Freiräumen. Der Refrain übt seinen Druck wieder bemerkenswert geradlinig aus - das ist schon beinahe 'Power Pop' ... garniert mit Tüftel-Prog - eine Spur von Muse!
Mit "Aftermath" schaltet man recht spät einen Gang runter und bedient sich vielerlei Effekte. Und nun kommt auch endlich eines der Markenzeichen der Band zum Zuge, nämlich Alex Keskitalos Querflöte - warum so spät? In diesem Fall leider etwas zu unmotiviert.. Sei's drum - der Song ist ein gelungenes Atmo-Chamäleon - wieder gehen die Gedanken in Richtung Pain Of Salvation. Auch "Syriana" hat etwas angenehm 'Unstetes'. Denn bislang war die Ausrichtung der Songs zu ... sagen wir: 'frontal'. Kurze Songs mit eingängigen Hooklines. Dem ausgetüftelten Bombast fehlt es zu oft an Tiefgang.
"Grotte" ist ein reines Instrumentalstück - eine starke Nummer! Dynamisch und mysteriös zugleich verstricken sich Gitarre und Querflöte geschickt ineinander - endlich erhält die Flöte die Gewichtung, die ihr zusteht. "Last Broadcast" als siebter Track kommt nun so daher, wie das von Overhead viel eher zu erwarten gewesen wäre. Es beginnt als introvertierte Gefühls- und Melodie-Studie. Im Instrumentalpart nach vier Minuten wird die gewaltige Gitarre von der grazilen Querflöte gezähmt - wunderbar gemacht ...
Dass das Album bis dahin ungewohnt klang, ist natürlich nichts Schlechtes. Im Gegenteil - Overhead überraschen; und was wäre das langweilig, wenn sie stattdessen ihre eigenen Blaupausen verwendet hätten! Aber es fehlt an Tiefgründigkeit. Auch "Alive" kommt wieder viel zu direkt daher. Erneut prägen sehr straight Pop-Einflüsse die Musik. Freilich gibt es einen - auch handwerklich - hervorragenden und wieder erstaunlich Metal-lastigen B-Part. Die Flöte mischt sich absolut hörenswert mit ein. Aber der Refrain ist viel zu eingängig, zu übersichtlich. Overhead sind ungedulig geworden, lassen dem Hörer wenig Zeit, um auch mal genüsslich zu zappeln.
"Angels And Demons" verdrängt diesen Gedanken zum Schluss nochmal mit dem Überraschungseffekt. Der Song beginnt regelrecht symphonisch. Sind das Einflüsse von Kansas? "Magnum Opus", "Lamplight Symphony", "Noboys's Home"? Dann ein Rock'n'Roll-Piano im Instrumentalpart. Nicht übel. Und die Querflöte kommt, nachdem sie anfänglich unverständlicherweise im Koffer blieb, immer besser zum Zug. Wieder sind Overhead erstaunlich heavy - und die Flöte passt da als unverzerrter Gegenspieler sehr gut ins Klangbild. Overhead machen Laune - "Of Sun And Moon" ist sehr kurzweilig und 'anders'. Welche Band traut sich das schon? Aber schon beim zweiten Hören wird ein Monster-Track wie "Metaepitome" vermisst - etwas mehr zu 'Knabbern' fürs Gehirn, das fehlt zu einem wirklich herausragenden Werk.
Line-up:
Alex Keskitalo (vocals, flute)
Jaakko Kettunen (guitars)
Janne Pylkkönen (bass, backing vocals)
Tarmo Simonen (keyboards)
Ville Sjöblom (drums, backing vocals)
Tracklist
01:Lost Inside 2 (4:57)
02:Berlin (4:11)
03:An Afternoon Of Sun And Moon (5:15)
04:Aftermath (5:11)
05:Syriana (4:05)
06:Grotte (3:38)
07:Last Broadcast (6:17)
08:Alive (7:46)
09:Angels And Demons (7:24)
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