Pannach und Kunert / Für uns, die wir noch hoffen
Für uns, die wir noch hoffen Spielzeit: CD 1 (60:48), CD 2 (78:06), CD 3 (35:02 + Bonus)
Medium: 3-CD
Label: Marktkram/Buschfunk, 2013
Stil: Liedermacher, Prosa

Review vom 04.04.2013


Sabine Feickert
»Weia, was hab ich mir da nur 'angetan'?« Mehr als nur einmal ging mir dieser Gedanke bei den Vorbereitungen und auch noch beim Schreiben dieses Reviews durch den Kopf.
'Lieder und Prosa Leipzig 1976, West Berlin 1977' ? nee, der Groschen fiel bei mir erstmal nicht. Liedermacher fallen ganz klar mit in mein Gebiet, politisches und historisches Interesse ist auch vorhanden, aber (und damit stehe ich in meiner Generation hoffentlich nicht ganz auf einsamem Posten) deutsch-deutsche Teilung war Mauerbau und -fall und dazwischen lag eine davon weitgehend unberührte Kind- und Schulzeit.
Ausweisung von Dissidenten, ja sogar der Name Wolf Biermann in diesem Kontext ? das waren Themen, die in ziemlich dunkler Erinnerung noch irgendwo bei den »ich will noch nicht ins Bett«-Diskussionen mit den Tagesschau-enden Eltern aus der Glotze quäkten... aber nichts genaues weiß die damals Achtjährige nicht (mehr).
In der Schule war das kein Thema. Nicht für den Geschichtsunterricht (»das war doch erst«), nicht in Deutsch und gleich gar nicht in Sozialkunde - »wir lernen politische Theorien (keine Praxis)!«. Beim obligatorischen Berlinbesuch in der zehnten Klasse mag es irgendwo untergeordnet in irgendeiner Broschüre versteckt gewesen sein, aber da stand die Mauer im Mittelpunkt und all diejenigen, die bei waghalsigen Fluchtversuchen in den goldenen Westen auf der Strecke geblieben waren.
Denn dass da welche gar nicht zu uns ins Paradies wollten, war im Selbstverständnis der BRD nicht vorgesehen ? zumindest nicht dem der Oggersheimer-Aussitzer-Ära und ergo lehrplantechnisch nicht relevant. Für das außerschulische politische Interesse Mitte der Achtziger gab es Friedens-, Öko- und Frauenbewegung. So wie schon mein geschätzter Kollege Steve hier, zweifelte ich daran, für dieses Review wirklich kompetent zu sein.
Und doch begegnen mir so manche 'Ost-Spezialitäten' jenseits von Thüringer und Bautzener Senf in meiner RockTimes-Tätigkeit immer wieder. Die Sache mit den Auftrittsgenehmigungen und -verboten beispielsweise, die sich auch in den Biografien der Mittelalterrockbands In Extremo und
Subway To Sally finden lassen. Nur wer über eine entsprechende Ausbildung verfügte und darüber hinaus systemkonform genug erschien, erhielt diesen begehrten Zettel, von dem auch BAP oder der Udo, der so gerne im Republikpalast gespielt hätte, ein Liedchen singen konnten. Doch war das Versagen selbiger für die West-Größen eine mehr oder weniger große Enttäuschung, hatte es für ihre Ost-Kollegen eine ganz andere Dimension. Der Lyriker Jürgen Fuchs beispielsweise, hatte sein Psychologie-Examen schon mit 'sehr gut' bestanden, wurde aber trotzdem noch 1975, kurz vorm Studienabschluss, von der Universität Jena 'relegiert' (um hier mal den im Booklet verwendeten, feineren Ausdruck für 'Rausschmiss' beizubehalten). Gerulf Pannach, Texter für die Renft Combo, hatte die Erlaubnis als »freischaffender Songinterpret« aufzutreten schon 1974 verloren, als sich die Band mit ihm solidarisierte, ereilte sie das gleiche Schicksal. Auch Renft-Keyboarder Christian Kunert war davon betroffen.
Als Wolf Biermann, der schon seit 1965 mit Auftrittsverbot belegt war, 1976 auf Einladung der IG Metall zu einer Konzertreise in die BRD ausreisen durfte, stand er auf dem Heimweg vor verschlossener Tür, respektive Grenze: Die DDR-Regierung hatte ihm kurzerhand die Staatsbürgerschaft entzogen, ihn 'ausgebürgert'.
Fuchs, Pannach und Kunert sowie viele andere namhafte Schriftsteller und Künstler schlossen sich einer Petition an die Regierung an. Daraufhin landeten sie im November 1976 in Stasi-Untersuchungshaft. Gut einen Monat zuvor hatten sie in einem kirchlichen Gemeindehaus in Leipzig ein Konzert gegeben und auf Tonband aufgenommen. Dieses wurde in den Westen geschmuggelt und im Dezember in Auszügen vom Hessischen Rundfunk und danach komplett vom RIAS gesendet.
Die erste CD in diesem Dreierpack enthält genau diese Aufnahmen. Eingeleitet durch eine Anmoderation von H.-G. Soldat, kommt Wolf Biermann zu Wort, der sich unter anderem für Fuchs und Pannach einsetzt. Der größte Anteil dieser CD ist jedoch DEN legendären Aufnahmen, die auf Tonband außer Land geschmuggelt wurden und so große Folgen nach sich zogen, überlassen.
Wer darauf aber böses, womöglich eindeutig-einseitiges Geschimpfe gegen die DDR erwartet, wird vermutlich enttäuscht. Die Kritik ist vorhanden, aber durchaus mehr oder weniger verpackt und verklausuliert. In einem weniger ängstlichen Staat, hätte vermutlich kein Hahn danach gekräht, wenn über den Vertrauensmann gesungen wird, der kein Vertrauen verdient oder in der Ballade vom schlechten Schlaf die Befürchtung, verhaftet und inhaftiert zu werden, thematisiert wird. Auf gar keinen Fall aber ist die Kritik einseitig, denn der 'kapitalistische' Westen kriegt auch massiv sein Fett ab. Biermann, Pannach, Kunert und Fuchs wollten ja nicht 'rübermachen', sondern in der DDR ein besseres System erreichen.
Hervorragende Arbeit haben dabei die Tontechniker geleistet, denn - klar klingt das nicht wie aus dem feinsten Tonstudio - doch bedenkt man die Entstehungsumstände, wurde das Material richtig gut aufbereitet.
Der zweite und dritte Silberling enthält das ein Jahr später stattgefundene erste Konzert im Westen in der Berliner Akademie der Künste sowie das Bonusmaterial. Der Publizist Hannes Schwenger hält die Eröffnungsrede, in der er an die anderen, noch in der DDR 'festgesetzten' Dissidenten (unter anderem Rudolf Bahro und Robert Havemann) und ihre aktuellen Lebenssituationen erinnert. Gerade hier zeigen sich die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten zwischen Ost und West, denn so manches Lied erhält vorangestellte Erklärungen ? nicht nur von Abkürzungen. Viele Alltagsszenen ziehen sich durchs Programm, gespickt mit verklausulierter, feinhumoriger Kritik.
Und die Musik? Ich will den Kompositionen auf keinen Fall Unrecht tun, doch wage ich zu behaupten, dass sie - fast schon selbstredend - ganz stark auf die Texte fokussiert sind.
Teils arbeiten Pannach und Kunert mit der 'typischen Liedermachergitarrenbegleitung', die die Worte unterlegt und betont. So stimmig und selbstverständlich wie das hier zusammenpasst, ist es schon hohe Schule. Genauso das Klavier, das beispielsweise in der (herrlichen) "Leibzscher Messe" eine Art Leierkastenatmosphäre verbreitet.
Zweifelsohne handelt es sich hier um mehr als 'nur' Musik; "Für uns, die wir noch hoffen" repräsentiert ein wichtiges Kapitel unrühmlicher deutscher Geschichte. Die jetzt vorliegende Veröffentlichung wäre geradezu prädestiniert, dieses Thema (notfalls über den 'Umweg' Musikunterricht) in die Schulen zu bringen. Und dann gemeinsam mit den Schülern nach den Textstellen forschen, die zu Verboten - [warum denn eigentlich?] - geführt haben. So wie beispielsweise die von Steve zitierte Zeile »Eine Sonne die unter die Haut geht, wie die Stimme von Bob Dylan, etwas rau«. [Anm. der Ost-Insider: Dieser Song wurde, 1974 für eine Renft LP vorgesehen, von AMIGA abgelehnt und zwar aus folgendem Grund: Da Dylan ja noch lebt weiß man nicht, wie der sich mal über die DDR äußert. Falls kritisch - müsste man die LP wieder einstampfen, weil der Text dann dissidentische Wirkung erlangen könnte.]
Line-up:
Christian Kunert (Gesang, Gitarre, Piano)
Gerulf Pannach (Gesang, Gitarre)
Jürgen Fuchs (Prosa)
Tracklist
CD 1:
01:Anmoderation Hans-Georg Soldat und Begrüßung durch Hannes Schwenger
02:Wolf Biermann
03:Wolf Biermann über Fuchs und Pannach
Aufnahmen aus Leipzig vom 16./17.10.1976:
04:Überholen ohne einzuholen
05:Das Erwachen
06:Ballade vom schlechten Schlaf
07:Eintragung
08:Zitat I
09:Eintragung 1:Juli, I - III
10:Vom Vertrauensmann, der kein Vertrauen hat
11:Eintragung 1:Juli, IV
12:Zitat II
13:Glaubensfragen
14:Der Frühsport
15:Frage
16:Der Friseur
17:Friedenslied 14.Februar
18:Du stehst an der Strasse
19:Vom Rot, das brennt
20:Die jenischen Berge
21:Westberlin-Steglitz, Zitat
22:Gegen die Angst
23:Der Stuhl
24:Für uns, die wir noch hoffen
CD 2:
Konzert in der Akademie der Künste am 31.10.1977
01:Vom Rot das brennt
02:Rede Hannes Schwenger
03:Klaviertakte + Rede Gerulf Pannach
04:Zwischen Liebe und Zorn
05:Vom Vertrauensmann, der kein Vertrauen hat
06:Sonne wie ein Clown
07:Dein Weg bleibt dein Weg
08:Lied vom FDJ-Funktionär
09:Glaubensfragen
10:Gedicht: Ein Prager Frühlingstag in Berlin
11:Plauderei zum 1. Mai
12:Leibzscher Messe
13:Die Lehre des Bernd Rolle
14:Gegen die Angst
15:Lied für meine Frau Amie
16:Ballade vom schlechten Schlaf
17:Wie konnt ich
18:Trommellied
19:Ach die erste Liebe
CD 3:
Konzert in der Akademie der Künste am 31.10.1977 (Fortsetzung)
01:Über den Frieden
02:Die Verdammung des christlichen Luftfahrers Bill Paker
03:Ballade vom Kameramann
04:Wir sind nicht mehr wir selber
05:Wenn das Volk tanzt, müsst ihr gehen
06:Für uns, die wir noch hoffen
07:Der rote Karl
08:Überholen ohne einzuholen
09:Sozialistischer Biedermeier

Bonus-Videos im CD-ROM-Teil von CD 3:

01:Erklärung von Fuchs, Pannach & Kunert nach ihrer Abschiebung in den Westen
02:ZDF-heute vom 03.09.1977
03:Interviews und Songs aus dem ersten Pannach & Kunert-Konzert in der Akademie der Künste
04:Beitrag aus ZDF-Kennzeichen D vom 1.11.1977
Externe Links: