Man könnte leicht befürchten, dass sich die alten Recken von Pendragon bei all den neu um sie herum auftrumpfenden Neo Prog-Bands die Butter vom Brot nehmen lassen. Allein in Polen entstehen fast im Jahresrhythmus neue Gruppen, die es wirklich draufhaben - Satellite, After oder Riverside, um nur ein paar zu nennen. Aber nix da - Mastermind Nick Barrett hält die britische Flagge hoch und wartet zum 30-jährigen Bandjubiläum mit einem Paukenschlag auf: "Pure" ist ein wahres Werk, das mit seinen zahlreichen Facetten überrascht und fasziniert.
Klar gibt es die psychedelischen, Floyd'schen Atmosphären-Seelen reinigende, meditative Melodien, die in bezaubernden Harmonien wie auf Wolken durch den Quintenzirkel getragen werden, mit einer intensiv zupackenden Zartheit (ja, das gibt es!) in Keyboard-Atmosphären verpackt. Unerwartet harte Klänge bilden jedoch ein Gegengewicht, das man in dem Genre nur selten zu hören bekommt. Zu Beginn von "Eraserhead" und "The Freak Show" beispielsweise rockt Nick Barrett gewaltig mit modern anmutenden, mutmaßlich tiefer gestimmten Gitarren, die schon recht 'alternative' klingen.
Und was im Dreiteiler "Comatose" mit der Halbwertzeit weniger Takte alles enthüllt wird… der reinste Wahnsinn! Tieftraurige Stimmungen aus Klavier und Violine, geordnet-schizophrenes, effektbeladenes Up Tempo-Gefrickel, tief tönende, breitwandige Metal-Riffs, bedrückende Atmosphären mit Vocals, die mit viel Hall und verzerrt erklingen wie verzweifelte Hilferufe aus unendlicher Entfernung. Wie aus dem Nichts übernimmt ein rockiger, optimistischer Drive, der genau so gut von The Who stammen könnte. Das passt alles ganz wunderbar zusammen in einem vertrackt-verrückten Konzeptstück, das die innere Zerrissenheit eines Jungen ausdrückt, der, mit sich und der Welt am Ende, eines Tages die Knarre mit in die Schule bringt.
Nicht nur hier präsentieren Pendragon ein im positivsten aller Sinne Schwindel erregendes Prog-Potpourri mit ganz vielen Ideen und ganz wenig Zeit zum Durchschnaufen. Wechselhaft-vertrackte Feinkost mit unzähligen Klangvarianten von Gitarre und Keyboards. Mal zerschmilzt man in betörenden Atmosphären wie auf Genesis' neo-proggigem Ray Wilson-Album "Calling All Stations", mal wird rhythmisch variantenreich und klangtechnisch bombastisch im Stile von Keyboarder Clive Nolans zweiter Heimat Arena gerockt, mal halten den Hörer aberwitzig-anarchistische Wechsel im Stile von Spock's Beard in Atem.
Streichquartett mit Bratschen-Solo, Mundharmonika oder Lap Steel-Gitarre, orientalische Skalen, alles dabei. Mal geht's kompakt zur Sache wie in "The Freak Show", mal lässt man sich Zeit wie im bedrückten und bedrückenden "It's Only Me" in RPWL-Style. Weiblichen Solo-Gesang in ekstatischen Gefilden gibt es auch - die entsprechende Passage in "Indigo" wird damit sozusagen zu einem "Small Gig In The Sky". Der fast 14 Minuten lange Opener ist das Glanzstück des Albums und hinterlässt den Hörer mit einem Weltrekord an einprägsamen Hooklines trotz epischer Anti-Pop-Attitüde in einer wundersamen Hypnose.
Erwähnen muss man zu guter Letzt auch, dass sich Neu-Drummer Scott Higham - das einzige Bandmitglied, das nicht mindestens 20 Jahre bei Pendragon spielt - sich perfekt einfügt. "Pure" ist, teuflisch kompliziert und zugleich genial eindringlich und eingängig, ein gelungenes musikalisches Mosaik geworden, das über den Tellerrand des Altbewährten hinausschaut und sich niemals in süßlich-schwelgende Atmosphären ergibt, in denen über Minuten nichts passiert. Und damit wird "Pure" auch zum Tipp für all jene Prog Rocker, die eigentlich gar nicht so auf die britisch neo-proggige Schiene stehen.
Line-up:
Nick Barrett (guitar, vocals, keyboard programming)
Peter Gee (bass)
Clive Nolan (keyboard, backing vocals)
Scott Higham (drums, backing vocals)
Tracklist |
01:Indigo (13:43)
02:Eraserhead (9:05)
Comatose:
03:I. View From The Seashore (7:40)
04:II. Space Cadet (4:02)
05:III. Home And Dry (5:55)
06:The Freak Show (4:26)
07:It's Only Me (8:15)
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