Spielzeit: 70:27 Medium: CD Label: Freiland, 2009 (1974-1987) Stil: Underground Review vom 15.09.2009 Ulli Heiser

Es ist wieder soweit: Tom 'The Perc' Redecker hat sein Archiv geöffnet und nach Teil 1 den "Electric Kindergarten Vol. 2" ans Licht der Öffentlichkeit geholt. Auf 500 Stück limitiert wird die schmucklose Archiv-Ausgabe allerdings nur Wenigen vorbehalten sein. Akribisch der DIN-A5 Beipackzettel, der über die Raritäten informiert.

Hauptdarsteller ist seine alte »berühmt berüchtigte« Carola Orgel (ein Casio MT400V), die mich das ein oder andere Mal an alte "Flash Gordon"-Filme denken lässt. In Verbindung mit einer Slide Gitarre ("Bluegrass Furioso") ergibt das eine interessante Komposition. Wenn in "La Strada" die Gitarre jault und der MT400V abspact, hat das was Kultiges. Aber man kann ruhig sagen, dass diese Tondokumente aus dem deutschen Untergrund in erster Linie dazu dienen, zu 'informieren'. Kaum jemand wird die Platte auflegen, um sie genüsslich zu hören und sich dabei zu entspannen - zu progressiv (selbst die wildesten Prog-Vertreter sind zahnlose Friedenstauben dagegen) beackern Tom und ab und an Ralf Krieger ihr Untergrund-Feld. Aber auch durchaus Melodisches ("Some Japanese Cops Told Me Not To Climb The Only Active Volcano") lässt sich vernehmen - um dann vom schrägen Gesang des Folgetracks abgelöst zu werden. Und immer wieder und über allem quäkt 'Carola'.

Die ersten zehn Stücke stammen vom Duo Pissrinne, das aus Tom und Ralf bestand. Ebenso wie Toms Solo-Output ("The Fingers Of Sky Saxon") ursprünglich Tape-Produktionen.
Geräusche sind stets präsent und machen klar, dass eine Nummer wie "Water Flushing" eigentlich genau so klingen kann. Nomen est Omen. Aber es gibt durchaus auch was aus der 'Ist der Hammer'-Kategorie und das hört auf den Namen "Ode". Schwer schleppend mit packender Gitarre und einer 'verliebten Carola'.

Wenn ich heutige Independent-Musik höre, müsste man eigentlich jedes Mal eine Kopie vorliegenden Albums an die Band schicken und sie zum Reinhören bitten... damit sie die Definition des Wortes Independent 'ohral' aufnehmen können.
"Chaos In The Toilet": Faszinierend, wie in scheinbar heillosem Durcheinander aus Maultrommel, Flöte, Saxofon und allerlei undefinierbarem Gezirpe irgendwie ganz subtil und doch vordergründig Canned Heats "Fried Hockey Boogie" seine Runden dreht. Nicht minder stark Youngs "I'm A Child" in typischer Pissrinne-Manier.

Höre ich da Duran Duran's "Wild Boys"? Auf jeden Fall bollern die Drums bei "Fingers" ähnlich und auch die Elektronik lässt darauf schließen. Crank up the volume und der Synthie sortiert die Wohnzimmereinrichtung neu! The Percs "The Fingers Of Sky Saxon" unterscheidet sich von den Pissrinne-Stücken erst mal durch mehr 'Gesang', bzw. Sprachsequenzen. Da Ralfs Gitarre fehlt, liegt der instrumentale Fokus hauptsächlich bei 'Carola', die von Drum Machine, Tapes und - natürlich - Noise unterstützt wird. Das Ganze bietet nun auch mehr elektronische Sequenzen. Gibt es einen deutschen Musiker, dem man eine gehörige Portion Zappa-Humor attestieren kann? Nein? Dann raus aus dem Tal der Ahnungslosen, "French Pie Personals" abspielen und aus dem Nein wird flugs ein Ja.

Sicher ist es so, dass, egal wie viele Nüsse unter dem Baum auch liegen, jedes Eichhörnchen beim Erklingen des "Electric Kindergarten" sofort fluchtartig gen Himmel klettert (man kann Nüsse durch Flaschenbier und Eichhörnchen durch Stromlinienhörer ersetzen), ich jedenfalls kann mich nur selbst zitieren und dieses Review mit den gleichen Worten beenden, die auch unter dem ersten Teil stehen:
»Keine leichte CD. Mit Sicherheit nicht, aber man sollte den "Electric Kindergarten" im Hause haben, um auch diese Facette deutscher Musikgeschichte zu kennen. Authentischer und aus berufenerer Feder wird man dieses Kulturgut wohl schwerlich finden.«