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Wir schippern über den Rock-Ozean und bringen all die Schätze mit, die wir unterwegs auftreiben
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10 Jahre Sireena Interview mit dem Labelgründer Tom Redecker
Interview vom 28.06.2010
Ulli Heiser
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RockTimes: Tom, im Jahre 2000 hast du zusammen mit dem 2006 verstorbenen Lothar Gärtner Sireena Records gegründet. Warum gründet man ein Label? Manche Musiker - du bist ja auch einer - tun das ja, weil sie sich bei den bereits existenten Labels nicht gut aufgehoben fühlen. War das auch mit ein Grund?
Tom: In diesem Falle hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Auf die Idee, ein Wiederveröffentlichungslabel zu gründen sind wir schon vor gut 17 Jahren gekommen. Ich war zu der Zeit bei Strange Ways Records unter Vertrag, und es gab halt unheimlich viel gute bedeutende Musik, die es noch nicht auf CD gebracht hatte. Aber erst 1999 hat Lothar Gärtner Strange Ways verkauft und wir konnten Sireena Records aus der Taufe heben. Um einen Labelcode zu erlangen, muss man einen fertigen Tonträger vorweisen, und das war der Einfachhalt halber "Pueblo Woman" von meiner Electric Family. Zum großen Teil Live-Aufnahmen, also eine preiswerte Produktion.
Aber gleich dieser Einstand war erfolgreich, und Sireena hat sich recht schnell einen Namen gemacht. Nach Lothars Tod bin ich in eine Art Schockstarre gefallen und war gar nicht sicher, wie es weitergehen soll. Dann kam Bernd Paulat an Bord und brachte frischen Wind mit. Seitdem hat die MS Sireena wieder Dampf aufgenommen und wir schippern über den Rockozean und bringen all die Schätze mit, die wir unterwegs auftreiben.
RockTimes: Eurer Repertoire ist wohl einzigartig. Neben fast vergessenen Krautrockschätzen (was habe ich mich z.B. über Octopus gefreut) und namhaften Rockern geht es über ausgesuchte NDW-Klassiker bis hin zu Lale Andersen, der erst vor ein paar Tagen verstorbenen Heidi Kabel und Henry Vahl.
Du must zugeben, ein mehr als breites Spektrum. Wo, bzw. was ist der gemeinsame Nenner dieser sehr unterschiedlichen Musik?
Tom: Das Programm spiegelt in der Tat auch unsere persönlichen musikalischen Geschmäcker wieder. Sowohl Bernd als auch ich sind vernarrt in Musik und haben von Jugend an immer damit zu tun gehabt. Das ist unser gemeinsamer Nenner. Es gibt sicher leichte Geschmacksunterschiede. Bernd hat beispielsweise wenig Berührung mit Alternative Musik in den Achtzigern gehabt, dafür kennt er sich in Funk und Disco der Siebziger gut aus. Bei anderen Tönen wie Krautrock oder Jazzrock sind wir beide gut informiert. Das gilt auch für klassische Themen wie Henry Vahl und Heidi Kabel.
RockTimes: Für Leute meines Alters ist das Sireena-Angebot eine Fundgrube. Ja, mehr noch, es ist quasi eine Rückschau bis zur Kindheit. Mit dem damaligen TV-Angebot (hätten wir das bloß auch heute noch!) aufgewachsen, sind Heidi und Henry natürlich nicht nur bekannt, sondern genießen eine Art Kultstatus. Darf ich fragen, wie sich so etwas verkauft und wisst ihr vielleicht sogar, wer das kauft?
Tom: Unsere Henry Vahl-CD ist in der Tat ein Phänomen, denn sie verkauft sich gut und ständig. Selbst Punks fahren auf Opa Henry ab, der kommt eigentlich bei den meisten Leuten gut an. Ist einfach ein kantiger Typ, der im Gedächnis geblieben ist, praktisch der Fernseh-Opa mehrerer Generationen. Die Lieder sind aber auch wirklich klasse! Es gibt solche Figuren heute ja gar nicht mehr.
RockTimes: Das Internet mit seinen Such- und Finde-Möglichkeiten ist ein Segen. Henry, Lale und Heidi sind aber sicher auch für Altersklassen interessant, die mit diesem Medium nichts am Hut haben. Wie kommen diese Menschen und Sireena zusammen?
Tom: Es gibt ja noch den klassischen Fachhandel, auch wenn er sicherlich an Bedeutung verliert. Aber unterschätze unsere Oldies nicht, die wissen durchaus, wie man im Internet an CDs kommt. Ich mache mir mehr Sorgen um die nachrückenden Generationen. Bleiben sie die Digital-Zombies oder gibt's da noch eine Trotzreaktion zum physischen Tonträger hin. Darauf hoffen wir.
RockTimes: Apropos Suchen und Finden: Wo um Himmels Willen grabt ihr eure Schätze aus? Ich geb' es zu, auch wenn man denkt, sich halbwegs auszukennen, finden sich in eurem Programm Bands, deren Namen (mir) nicht mal bekannt sind. Wie kommt ihr an das Material, an die Mutterbänder?
Tom: Recherchen sind das Ein und Alles in unserem Job, damit verbringe ich einen Großteil meiner Zeit. Alte Listen, Kataloge, Musikzeitungen - unser Archiv ist inzwischen durchaus beeindruckend. Dann Rechte klären, Bänder, Musiker oder Zeitzeugen auftreiben. So setzt sich nach und nach ein Puzzle zusammen. Kann zermürbend lange dauern, manchmal gehts auch erstaunlich flott. Anregungen kommen auch von außen, Fans stoßen uns auf Themen, das ist wirklich prima. Ohne Fans würde es gar nicht laufen.
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RockTimes: Passend zur Musik, gibt es bei Sireena auch Vinyl. Damit seid ihr einige der wenigen, die auf Bewährtes setzen. Ich persönlich liebe dieses Medium. Eine Wohnung ohne Bücher und Langspielplatten könnte nicht die meinige sein. Musik ist Kunst und neben den Ohren, kann so eine Langrille bzw. die Verpackung auch die Augen erfreuen. Wird Vinyl von euren Kunden gerne angenommen?
Tom: Vinyl war in unserer Nische eigentlich immer ein Thema, aber in den letzten zwei drei Jahren hat es wirklich rasant zugenommen. Uns kommt das sehr gelegen, denn wir sind mit Vinyl aufgewachsen, und Schallplatten sind einfach das überlegene Medium. Es ist immer wieder etwas Besonderes, wenn ein neues Album aus dem Presswerk kommt. Es ist eben nur teurer in der Produktion, beim Versand und beim Lagern. Wir produzieren auf hochwertigem schweren Vinyl von den Originalbändern. Trotzdem versuchen wir, den Preis angemessen zu kalkulieren. Ich kann immer nur wieder beteuern, unsere Platten sind wirklich jeden Cent wert. Das gilt auch für die CDs. Unsere Kunden bestätigen das.
RockTimes: Man liest hier und da, dass die Zukunft der physischen Tontraeger dem Ende entgegen steuert. Viele Labels und Promoter schwenken ja bereits zur digitalen Bemusterung. Wenn uns das auch nicht gefällt, ist das die eine Seite. Aber richtig schlimm wird es, wenn es in Zukunft Musik nur noch als Download zu kaufen gibt. Glaubst du, es wird wirklich mal soweit kommen?
Tom: Ich befürchte, dass im Mainstream genau diese Entwicklung bereits eingetreten ist. Wir sind als Wiederveröffentlicher allerdings davon nicht so sehr betroffen. Unsere Kunden sind in erster Linie Sammler, die wollen nach wie vor einen physikalischen Tonträger. Etwas zum Auspacken, Anschauen, in der Hand halten! Wir bieten zwar einen Großteil unseres Kataloges auch als digitale Downloads an, aber die CD oder die Schallplatte sind immer noch das, was unsere Kunden wollen. Ich denke auch, dass sich das nicht großartig verändern wird. Wir sind halt ein Nischenlabel.
RockTimes: Sireena ist das Label und mit Shack Media hast du auch eine Promotionfirma am Laufen. Daneben bist du selbst auch als Musiker aktiv. Wie viele Stunden hat dein Tag?
Tom: Meine Hauptaufgabe ist seit geraumer Zeit Sireena Records, da stecke ich alle Kraft und Zeit rein. Nachdem Bernd in die Firma eingestiegen ist, haben wir den Turbo angeworfen. Da wir aber aus verständlichen Gründen den Personalaufwand gering halten, bleibt eben eine Menge zu tun. Darunter leiden natürlich viele andere Sachen - auch die Musik. Aber diese wunderbaren Tonträger, die dabei entstehen, entschädigen für all die Mühe. Auch wenn nur eine Woche Urlaub im Jahr dabei herausspringt. Wir haben's uns ja so ausgesucht, also ist nichts mit Jammern.
RockTimes: Auf deiner Seite steht bei "Associated Labels" Freiland, Dred Fox und Tribal Stomp. Gehören diese Label als seine Art "Unterlabel" zu Sireena?
Tom: Freiland habe ich gegründet, um Neuveröffentlichungen betreuen zu können, da Sireena Records sich ausschließlich um Wiederveröffentlichungen kümmern soll. Dredfox als Buchverlag und Tribal Stomp als Plattenlabel für Psychedelic Musik betreibe ich zusammen mit Werner Fuchs. Es sind alles eigenständige Labels - keine Unterlabel, die zu Sireena gehören.
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RockTimes: Wir sprechen ja über das 10-jährige Labeljubiläum, aber es bietet sich auch irgendwie an: Taras Bulba, The Perc Meets The Hidden Gentleman, Electric Family - Ist neuer Output geplant?
Tom:Von Taras Bulba und von The Perc Meets The Hidden Gentleman sind ja letztes Jahr Retrospektiven auf CD erschienen. Mit der Electric Family befinden wir uns schon länger im Studio, um ein neues Album aufzunehmen. Da gibt's aber noch keinen Veröffentlichungstermin. Fertigzusammengestellt ist allerdings der dritte Teil meiner Archivauswertungsreihe Electric Kindergarten , der wird noch in diesem Jahr erscheinen wird.
RockTimes: Tom, was wünscht du dir für die nächsten 10 Jahre? Gibt es weitere Nuggets zu heben und kannst oder willst du unseren Lesern etwas verraten?
Tom: Ich hätte dir vor 10 Jahren darauf keine Antwort geben können, ich kann's auch jetzt nicht. Dass es Sireena in dieser schnelllebigen Zeit bereits 10 Jahre gibt ist schon ein Erfolg. Wir graben und buddeln weiter, denn es gibt noch eine Menge zu entdecken. Sowohl auf CD als auch auf Vinyl. Egal ob Krautrock, Punk, NDW oder Jazz. Wir bleiben am Ball. Den Herren der Schöpfung sei verraten, dass wir noch in diesem Jahr ein besonderes Schmankerln auf CD rausbringen: "Ingrid Steeger singt Klimbim". Da macht der Job besonders Spaß!
RockTimes: Was willst du Lesern, die Sireena noch nicht kennen, sagen, damit sie mal reinschauen? (Ob allerdings so jemand hier mitliest, wage ich zu bezweifeln).
Tom: Wer sich wirklich für zeitlose gute Popmusik interessiert, einen ausgeprägten vielseitigen Musikgeschmack besitzt und sich selbst keine Schranken aufzeigt, der ist bei Sireena Records bestens aufgehoben und herzlich willkommen!
RockTimes: Wir wünschen dir weiterhin das berühmte Händchen beim Graben nach Goodies, Erfolg für Sireena und natürlich nur das Allerbeste für den Mensch und Musiker Tom Redecker, aka The Perc.
Tom: Danke dafür - auch im Namen von Bernd und dem Rest der Meute.
RockTimes: Bis in 10 Jahren …
Zum 10-jährigen Labeljubiläum spendiert Sireena 5 CDs von Sameti
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