Manchmal braucht es eine neue Platte bzw. die Presseinfo dazu, um sich bewusst zu werden, in welcher Zeit wir leben. Damals, als die Tracks dieses Albums in ihrer Urform enstanden sind, kamen Omas Mottenkuglen auf den Müll und wurden nicht bei ebay verkauft. Man ging (so man sich traute) in richtige Sexshops, man schaute (so man es brauchte) in physisch vorhandenen Puffs vorbei und all die kleinen Wichtigtuer blieben in ihrer Ecke und hatten kein MySpace-Forum mit 'Freunden', die sie nicht kennen. Sogar das Internet als Wort existierte im allgemeinen Wortschatz noch nicht und die, die das 'damalige' Internet nutzten, hatten keine Ahnung, was daraus einmal werden sollte. Das war die Zeit, als » die Menschen noch Schallplatten kauften«. Richtig, ich erinnere mich nur noch schwach an Omas Mottenkugeln, aber das mit den Schallplatten ist korrekt. Allerdings kaufte man 1987 auch schon mehr oder weniger fleißig CDs, denn der Silberling war etabliert, wenn es in der Tat auch noch LPs zu kaufen gab. Am Rande sei bemerkt, dass auch jetzt immer mehr Bands wieder auf Vinyl veröffentlichen.
1987 trafen sich nicht nur Erich Honecker und Helmut Kohl zum ersten Mal in Berlin - auch Tom Redecker aka The Perc und Emilio Winschetti aka The Hidden Gentleman begegneten sich und beschlossen, fortan zusammen zu musizieren. Sie veröffentlichten ein paar Alben, von denen "Lavender" für Furore sorgte. Danach war es ruhig und jeder ging seiner Wege. "Telegram From The Meantime" könnte ein Hinweis dafür sein, dass es eine Fortsetzung des Duos (hoffentlich) mit neuen Songs gibt. Auf vorliegendem Album gibt es eine Art »Werkschau« ihre alten Nummern ("Lavender" blieb jedoch außen vor). Manche davon sind nur auf Vinyl erschienen und einige finden gar zum ersten Mal den Weg in des Höreres Ohr.
Auf dem Cover des 1990er "The Fruits Of Sin & Labor"-Booklets sieht man die beiden mit geschlossenen Augen unter einem dicht gewebten Spinnennetz. Auf dem 2008er Pendant sind Tom und Emilio, sichtlich gereift, immer noch unter dem Netz. Aber selbiges ist nur noch schwach und die Augen der Protagonisten sind offen. Wir können also hoffen ... .
Die Auswahl dieses Albums trafen neben Winschetti und Redecker auch der verstorbene Lothar Gärtner, Toms ehemaliger Freund und Sireena-Partner. Als Gäste finden sich im Line-up illustre Mitstreiter von z.B. Philip Boa's Voodoo Club, Kastrierte Philosophen und Grobschnitt.
Wie sehr ich Toms Stimme liebe, habe ich in früheren Reviews bereits wiederholt geschrieben. Emilio ist diesbezüglich auch gesegnet und die zwei ergänzen sich perfekt. Die Musik ist derart, dass die oft von vielen verpönten, synthetischen Drums hier nur punkten. Ja ich behaupte gar, sie geben die Würze, die so herrlich für die passende Stimmung sorgt. Gerade in Verbindung mit Speedy Sheppards Bass wirkt das phänomenal. Passende Stimmung... das bedeutet Fernweh, Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Schwermut - transportiert durch die beiden genialen und ausdrucksstark eingesetzten Stimmen. Unterstützt an den passenden Stellen z.B. durch Geige, traumhafte Backings und Keyboards wie aus einer anderen Dimension.
Welche Botschaften The Perc Meets The Hidden Gentleman ihren Stücken mitgeben, kann man auf ihrer Website Wort für Wort mitlesen. 18 Tracks und kein einziger Durchhänger. Kaum meint man, den Anspieltipp schlechthin ausgemacht zu haben, bringt der Folgesong einen neuen Hammer. Das mag sicher auch daran liegen, dass man eine Compilation vor sich hat. ABER: Vom bekanntesten Album "Lavender" ist kein einziges Stück dabei. Ich für meinen Teil werde mir "Lavender" besorgen, denn was muss es dort erst zu hören geben?
Die Gitarren weben zum einen süße, sphärische Netze, zum anderen wunderschöne, akustische Begleitung. Das Keyboard vibriert, wie einst die Musik zu uralten Sience Fiction-Filmen. Jede der Nummern begeistert und wenn ich das Gehörte einsortieren müsste, dann täte ich mich unendlich schwer. Wie soll man eine Gesangsmischung aus Lee Hazlewood und Frank Zappa, die stellenweise nach David Bowie klingt, auch nennen?
Sicherlich ist das (im weitesten Sinne) Rock. Und doch auch so viel mehr... .
Christoph Dallach (Der Spiegel), der den Promotext geschrieben hat, sieht das ähnlich und zitiert John Peel, der mal sagte »... Voraussetzung für die allerbesten Platte« sei »das aufregende Gefühl etwas Neues zu hören, etwas, das man so noch nicht erlebt hat«. Das kann man durchaus so sehen, denn obwohl fast jedes der Lieder recht unkonventionell daherkommt, schaffte man es, ihnen einen Ohrwurm als Haustier mitzugeben. Anders ausgedrückt: Alles wäre im Radio zu spielen und doch auch nicht. Ich weiß, das ist schwer vorzustellen, darum ist es das Beste, sich selbst davon zu überzeugen.
Höchste Kaufempfehlung und dann wartet auch noch "Lavender" auf Entdeckung... .
Line-up:
Tom Redecker (vocals, bass, guitars, keyboards, piano, drum programming, percussion)
Emilio Winschetti (vocals, mental saz)
Guest appreances on some tracks:
Henning Gehrke (keyboards, drum programming)
Katja And Sue (backing vocals)
Birdbox (percussion)
Speedy Sheppard (bass, double bass)
Komo (violin)
Ralf Küfner (bass)
Der Rabe (drums, percussion)
Clive Gray (guitar, backing vocals)
Stefan Walkau (bass)
Piet Hantke (div. instruments)
Gün Yan Sen (div. instruments)
Rüdiger Klose (drums)
Katrin Achinger (bass)
Majid Katzer (drum programming, keyboards)
Yomano (drum programming, keyboards)
Jochen Schobert (guitar)
Harry Schröder (bass)
Torsten Glade (drums)
Rainer Burmann (percussion, bass)
The Cook (guitar)
Mathias Schneeberger (bass)
Theo Von Thyssen (organ)
Tracklist |
01:Niteride (Der Raben Mix) [6]
02:Respect & Devotion Part One [1]
03:Viveca [2]
04:Emily My Dear [3]
05:Melkweg Baby [2]
06:Body Language [1]
07:Candle [3]
08:The Towersong [1]
09:In the Meantime [4]
10:Fruits [2]
11:The Fleece (Yomano Remix) [6]
12:The Archer [3]
13:Standing By Your Hero [2]
14:Respect & Devotion Part Two [1]
15:Sireena [2]
16:Hungry [1]
17:Respect & Devotion Part Three [2]
18:The Widow On Strings [5]
[1] Two Fozzles At The Tea-Party
[2] This Maid Of Delphi
[3] Ages
[4] In The Meantime (Vinyl only)
[5] The Fruits Of Sin And Labor (Vinyl only)
[6] Previously unreleased
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Externe Links:
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